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Mikrobiom: Darmbakterien machen Babys mehr oder weniger furchtsam

Ob ein Baby mehr oder weniger Angst vor Ungewohntem hat, hängt von seiner Persönlichkeit ab. Und von den Bakterien in seinem Darm, vermuten Forscher.
In den Schlaf weinen

Die Mikroorganismen im menschlichen Darm spielen eine enorm wichtige Rolle für die Gesundheit, und das schon von Geburt an. Dabei kommt es sehr auf die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft, des Mikrobioms an: Wissenschaftler untersuchen etwa, ob auf natürlichem Weg geborenen Babys einen andere Bakterienmix auf die Welt mitbekommen als etwa Kaiserschnittbabys und ob sie deshalb ein geringeres Risiko für verschiedene Krankheiten später im Leben tragen. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass das Mikrobiom Gehirn und Psyche des Menschen beeinflussen kann. Und auch das gilt womöglich schon bei Babys, wie ein Forscherteam im Fachblatt »Nature Communications« schreibt: Zumindest sei die Zusammensetzung des Mikrobioms bei ängstlichen und weniger ängstlichen Einjährigen eindeutig unterschiedlich.

Das Team um die Wissenschaftlerinnen Cathy Propper von der University of North Carolina und Rebecca Knickmeyer von der Michigan State University hatte 34 Babys vom ersten Lebensmonat bis zum Alter von einem Jahr beobachtet und gleichzeitig die typische Besiedlung des Darms der kleinen Testkandidaten verglichen. Dabei interessierten sie sich für das im ersten Lebensjahr allmählich reifende Furchtverhalten der Babys: eine natürliche Reaktion, die sich meist nach dem sechsten Lebensmonat auszuprägen beginnt. Die Kleinen reagieren nun etwa auf Gesichter mit einem Furcht einflössenden Ausdruck und entwickeln mehr oder weniger starken Respekt vor Absturzgefahren, fremden Personen oder merkwürdigen unbekannten Objekten. Meist steigert sich das ganz natürliche Furchtverhalten bis zum Alter von elf oder zwölf Monaten und lässt dann allmählich wieder nach.

Das Forscherteam musste für das Vorhaben einen Versuchsplan entwerfen, um die Babys in einer harmlosen Alltagssituation ein wenig, nicht aber zu sehr zu erschrecken. Dazu setzen sie auf Halloween-Masken: Versuchsteilnehmer trugen sie und betraten den Raum, in dem die rund zwölf Monate alten Babys im Beisein der Eltern warteten. Auf diesen Anblick reagierten die kleinen Probanden je nach Stimmung und Charakter mehr oder weniger heftig.

Die Angst der Kleinen hing aber eindeutig auch mit einer typischen Zusammensetzung ihres Mikrobioms zusammen, erkannten die Forscher beim Vergleich des über rund elf Monate hinweg gesammelten und immer wieder penibel analysierten Bakteriengemischs. Vor allem eine in den Bakterienarten ausbalancierte Zusammensetzung der Darmfauna scheint die Reaktion der Kleinen eher in Maßen zu halten. Das Gemisch verschiedener Spezies im Mikrobiom unterscheidet sich schon im Darm von vier Wochen alten Babys deutlich: Es gibt Babys, in deren Mikrobiom zu diesem Zeitpunkt wenige Arten deutlich dominieren, andere weisen ein eher gleichmäßiges, diverses Mischungsverhältnis auf. Die Babys mit wenig ausbalanciertem Mikrobiom am Anfang ihres Lebens zeigen beim Versuch als Einjährige eher mehr Furcht.

Auch im Darm der Einjährigen unterscheidet sich das Mikrobiom: Bei den furchtsameren Babys fallen einige typische Keime auf, die deutlich häufiger sind als andere. Dazu zählen etwa Keime der Gattungen Bacteroides sowie Veillonella, Dialister, Bifidobacterium, Lactobacillus und Vertreter der Clostridiales. Die Forscher weisen aber darauf hin, dass die unterschiedlichen Reaktionen durchaus in einem gesunden Rahmen bleiben: Ein wenig mehr oder weniger furchtsam zu sein, ist zwar messbar und womöglich auch in der Darmflora ablesbar – unnatürlich oder untypisch ist dies aber keineswegs; alle Babys im Versuch waren prinzipiell ziemlich normale Einjährige.

Es bleibe auch unklar, welche Schlussfolgerungen die Ergebnisse zulassen. So unterscheiden die Babys sich auch in ihrer der Reaktion auf Menschen mit Halloween-Masken sowie auf Fremde, die ohne Maske in den Raum kommen: Hier sind ebenfalls verschiedene Babys ängstlicher als andere, das Mikrobiom spielt in diesem Fall aber offenbar keine entscheidende Rolle. Die Reaktion auf einfach Ungewohntes (wie eine Masken) und komplexe soziale Reize, wie sie ein anderer, fremder oder vertrauter Mensch liefert, wird durch verschiedene Hirnprozesse reguliert und überlagert. Das Mikrobiom spielt dabei nicht immer eine Rolle, sagen die Wissenschaftler: Eindeutig korrelieren aber von der Amygdala ausgehende, schnelle Angstreaktionen mit dem Gemisch der Bakterien im Darm.

Wie die Keime im Darm die Gehirnfunktionen verändern könnten, ist noch unbekannt. Untersuchungen an künstlich keimfrei aufgezogenen Nagetieren haben aber gezeigt, dass das Gehirn von Tiere ohne Mikrobiom anders reift als üblich: Hirnzellen und Gesamtstruktur von Amygdala, Hippocampus und präfrontalem Kortex des Hirns sehen deutlich unterschiedlich aus, zudem verändert sich die mikroRNA-Poduktion der Zellen. Ein gesundes Mikrobiom scheint die Reifung des Hirns also zu verändern.

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