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Top-Innovationen 2020: Der schmerzfreie Piks

Medikamente spritzen ohne schmerzhaften Piks. Mikronadeln sind der nächste Schritt im Bereich der Injektionen und Tests. Und sie machen die medizinische Versorgung zugänglicher.
Mikronadeln

Kaum sichtbare Nadeln, auch Mikronadeln genannt, sind auf dem besten Weg, eine neue, schmerzfreie Ära der Injektionen und Bluttests einzuläuten. Egal ob sie Teil einer Spritze sind oder an einem Pflaster befestigt, Mikronadeln haben einen entscheidenden Vorteil: Sie minimieren Schmerzen, weil sie nicht mit den Nervenenden in tieferen Hautschichten in Kontakt kommen. Denn die Nadeln sind in der Regel nur 50 bis 2000 Mikrometer lang und könnten somit höchstens ein typisches Blatt Papier durchstechen, sowie 1 bis 100 Mikrometer breit, etwa wie ein menschliches Haar.

Unangenehme Schmerzen verhindern sie, weil sie lediglich die tote, oberste Hautschicht durchdringen, um zur darunterliegenden Epidermis durchzustoßen. Diese Schicht besteht aus lebenden Zellen, die von der so genannten interstitiellen Flüssigkeit umgeben ist. In die noch tiefer liegende Dermis dringen die mikroskopisch dünnen Nadeln dagegen kaum oder gar nicht vor. Und erst dort unten liegen – gemeinsam mit Blut- und Lymphgefäßen – die Nervenenden, die von einer Nadel gereizt und aktiviert werden können.

Die spannendsten Technikinnovationen des Jahres 2020

Welche technischen Fortschritte haben das Potenzial, das Gesundheitswesen, ganze Industriezweige oder gar Gesellschaften in drei bis fünf Jahren zu revolutionieren? Die zehn besten aus 75 nominierten »Innovationen des Jahres 2020« hat ein Team aus Fachleuten gewählt, einberufen vom Weltwirtschaftsforum sowie vom US-Wissenschaftsmagazin »Scientific American«.

Wir stellen die Top-10 in den letzten zwei Wochen des Jahres vor:

Für die Verabreichung von Impfstoffen werden bereits Mikronadelspritzen und Pflaster verwendet. Aktuell testen klinische Studien, ob sie für die Behandlung von Diabetes und Krebs taugen oder gegen neuropathische Schmerzen helfen, die durch Schädigungen am Nervensystem verursacht werden können. Mit den Nadeln lassen sich Medikamente wesentlich effizienter verabreichen als beispielsweise über transdermale Pflaster. Das sind Pflaster, in deren Klebeseite ein Medikament eingearbeitet ist. Die Wirkstoffe diffundieren von dort und ziehen in die Haut ein.

Zuletzt haben Forschende eine Methode zur Behandlung von Hautkrankheiten wie Schuppenflechte, Warzen und bestimmten Krebsarten vorgestellt: Sie mischten dafür therapeutische Cremes oder Gele mit sternförmigen Konstrukten aus Mikronadeln. Die Nadeln perforieren die Hautoberfläche schonend und erlauben es dem Therapeutikum, leichter durch die oberste Hautschicht zu gelangen.

Auf dem Weg zur Anwendung

Viele Produkte mit Mikronadeln sind auf dem Weg zum kommerziellen Einsatz: als schnelles, schmerzfreies Werkzeug für den Einsatz bei diagnostischen Tests oder die Überwachung von Gesundheitsparametern und um Blut oder interstitielle Flüssigkeit abzunehmen. Das klappt, da die winzigen Löcher, die von den Nadeln gestochen werden, den Drucks in der Epidermis oder der Dermis lokal verändern, so dass die interstitielle Flüssigkeit oder das Blut in einen Auffangbehälter gedrückt werden. Wenn die Nadeln mit Biosensoren gekoppelt sind, lassen sich mit den Geräten innerhalb von Minuten biologische Marker messen, also zum Beispiel Glukose-Werte, Cholesterin, Alkohol, Abbauprodukte von Wirkstoffen oder Immunzellen.

Einige Produkte ermöglichen es, etwa Blutproben zu Hause zunehmen, die normalerweise medizinisches Fachpersonal nehmen muss. Mindestens ein solches Produkt hat die regulatorischen Hürden für eine solche Verwendung bereits genommen: In den USA und der EU wurde kürzlich das »TAP«-Blutentnahmegerät von Seventh Sense Biosystems zugelassen. Damit können Laien selbst kleine Blutproben nehmen, um sie dann entweder an ein Labor zu schicken oder vor Ort zu analysieren. In der Forschung werden Mikronadeln zudem an drahtlose Kommunikationsgeräte angeschlossen.

Mit Hilfe der Nadeln messen die Geräte biologische Marker, nutzen die daraus gewonnene Information, um die richtige Dosis eines Medikaments zu bestimmen, und verabreichen dann das Medikament. Ein Ansatz, der Anwenderinnen und Anwender der personalisierten Medizin einen Schritt näher bringt. Auch in Regionen, die medizinisch unterversorgt sind, könnten Mikronadelgeräte für Tests und Behandlungen einen Vorteil bringen. Vor allem, weil sie keine kostspielige Ausrüstung oder aufwändige Schulungen erfordern. Der Biopharmazeutika-Hersteller Micron Biomedical hat ein solches einfach zu handhabendes Gerät entwickelt: ein Pflaster von der Größe eines Verbandes, das sich jeder selbst anlegen kann.

Ein anderes Unternehmen namens Vaxxas entwickelt ein Mikronadel-Impfpflaster, das in Tierversuchen und frühen klinischen Tests am Menschen Immunreaktionen mit einem Bruchteil der üblichen Dosis auslöst. Mikronadeln können auch das Risiko der Übertragung von Viren verringern, die durch Blut übertragen werden. Zudem sollen sie den Sondermüll reduzieren, der mit der Entsorgung herkömmlicher Nadeln anfällt.

Winzige Nadeln sind nicht immer von Vorteil – sie werden nicht ausreichen, wenn von einem Medikament große Dosen verabreicht werden müssen. Außerdem passieren weder alle Medikamente die Mikronadeln noch können sämtliche Biomarker durch sie entnommen werden. Weitere Forschungsarbeiten müssen klären helfen, ob Faktoren wie Alter und Gewicht von Patienten die Wirksamkeit der Mikronadel-Technologien beeinflussen und ob der Ort der Injektion und die Art der Verabreichung dabei eine Rolle spielen. Man kann aber davon ausgehen, dass der schmerzlosen Mikropiks die Möglichkeiten von Medikamentengabe und Diagnostik drastisch ausweiten wird. Neue Anwendungsmöglichkeiten dürfen sich zudem ergeben, wenn Forschende Wege finden, um die Mikronadeln nicht nur auf der Haut, sondern auch darunter einzusetzen – in den Organen des Körpers.

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