Vier-Sekunden-Schlaf: Zügelpinguine nicken mehr als 10 000-mal am Tag ein
Wer schonmal übernächtigt Auto gefahren ist, kennt das Gefühl: Ständig drohen die Augen zuzufallen. Es wird zu einem echten Kraftakt, wach und vor allem wachsam zu bleiben. Schon wenige Sekunden der Unachtsamkeit können schlimme Folgen haben. Zwar schwören manche Menschen auf kurze Nickerchen in der Mittagszeit, doch generell sind lange Schlafphase in der Nacht deutlich erholsamer. Für nistende Zügelpinguine (Pygoscelis antarcticus) hingegen zählt jede wache Sekunde. Schlafen sie zu lange, besteht die Gefahr, dass sich Raubvögel oder Artgenossen über ihr Gelege hermachen. Wie ein französisch-südkoreanisches Forschungsteam herausgefunden hat, schlafen sie daher über den Tag verteilt mehr als 10 000-mal für im Schnitt nur vier Sekunden ein. Insgesamt kommen sie so auf gut elf Stunden Schlaf. Es ist das erste Mal, dass ein solches Schlafverhalten beobachtet und untersucht wurde. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin »Science« veröffentlicht.
Schlaf ist im gesamten Tierreich allgegenwärtig. Es ist ein Ruhezustand, der in der Regel durch Unbeweglichkeit und den relativen Verlust der Fähigkeit gekennzeichnet ist, die Umgebung wahrzunehmen und auf sie zu reagieren. Bei Primaten und anderen höheren Lebewesen sinken im so genannten Non-REM-Schlaf, damit ist die Tiefschlafphase gemeint, Puls, Atemfrequenz und Blutdruck ab. Auch die Gehirnaktivität verändert sich messbar. Doch Sinn und Zweck des Schlafs sind erst teilweise aufgeklärt. Sicher ist, dass Menschen und Tiere schlafen müssen, um zu überleben. Bislang war unklar, ob Mikroschlafphasen die gleiche Erholung bieten wie längere Schlafphasen. Für die Zügelpinguine, so mutmaßen die Studienautoren, scheinen sie eine Anpassungsstrategie zu sein, um sich auf Bedingungen einzustellen, die ständige Wachsamkeit erfordern.
Die Forscher untersuchten den Schlaf von 14 Pinguinen, die Anfang Dezember 2019 in einer Kolonie auf der antarktischen König-Georg-Insel Eier ausbrüteten. Mit ferngesteuerten, nichtinvasiven Sensoren zeichneten sie die schlafbezogene EEG-Aktivität beider Hirnhälften auf, erstellten ein Elektromyogramm (EMG) der Nackenmuskulatur, überwachten die Körperbewegungen und -haltung mit Hilfe von Beschleunigungsmessungen, bestimmten den Standort mit GPS und das Tauchverhalten mit einem Drucksensor. Zudem machten sie Videoaufnahmen. Die Forscher beobachteten immer wieder kurze REM-Schlafphasen (rapid eye movements), die sich durch eine wachähnliche EEG-Aktivität, das Schließen der Augen und das Fallenlassen des Kopfes charakterisieren lassen. Wie bei anderen Vögeln, einschließlich Pinguinen, nahm das EMG während des REM-Schlafs jedoch nicht zuverlässig ab. Daher habe man sich auf den Non-REM-Schlaf konzentriert.
Wie das Team dabei feststellte, ist der Schlaf von brütenden Zügelpinguinen unter allen Bedingungen und in allen Positionen an Land stark fragmentiert. Auch der Elternteil, der mehrere Tage am Stück zur Nahrungssuche unterwegs ist, zeigt ein ähnliches Schlafverhalten. »Obwohl wir den erholsamen Wert des Mikroschlafs nicht direkt gemessen haben, deutet die Fähigkeit der Zügelpinguine, trotz dieses stark fragmentierten Schlafs erfolgreich zu brüten, darauf hin, dass der Mikroschlaf zumindest einige der erholsamen Funktionen des Schlafs erfüllen kann«, schreiben die Autoren. Die kurzzeitige Pause der Hirnaktivitäten, die jede kurze Schlafphase auslöst, könnte ein Zeitfenster für neuronale Erholung bieten, deren Vorteile sich unabhängig von der Dauer der Phasen offenbar aufaddieren.
In einem zugehörigen Perspective-Artikel schreiben Christian Harding und Vladyslav Vyazovskiy als unabhängige Experten: »Die von der Gruppe berichteten Beobachtungen könnten eines der extremsten Beispiele dafür sein, dass sich die Vorteile des Schlafs auch schrittweise einstellen können.« Es sei ein starker Beweis dafür, dass Tierarten ihre Schlafarchitektur sehr effizient an die Umgebungsbedingungen anpassen können. Da von Menschen verursachte Lichtverschmutzung und Lärm die Menge sowie die Qualität des Schlafs von Wildtieren beeinträchtigen könnten, seien »Schlafstudien in freier Wildbahn auch im Zusammenhang mit dem Naturschutz von entscheidender Bedeutung«.
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