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Mildere Verläufe: Omikron greift die Lunge weniger an

Dass die neue Variante mildere Verläufe verursacht, scheint sich zu bestätigen. Nun gibt es erste Hinweise auf den Grund dafür. Omikron ist schlecht darin, die Lunge zu befallen.
Auch bei jüngeren Covid-19-Patienten dauert es manchmal viele Monate, bis Lunge und Atemmuskulatur wieder voll leistungsfähig sind.

Bereits erste Daten aus Südafrika und dem Vereinigten Königreich deuteten darauf hin, dass die Omikron-Variante von Sars-CoV-2 weniger gefährlich ist als ihr Vorläufer Delta. Jetzt bietet eine Reihe Laborstudien vorab eine verlockende Erklärung für den Unterschied. Demnach infiziert Omikron Zellen tief in der Lunge nicht so bereitwillig wie Zellen der oberen Atemwege.

»Das ist eine sehr attraktive Beobachtung, die erklären könnte, was wir in Patientinnen und Patienten sehen«, sagt Melanie Ott, Virologin am Gladstone Institute of Virology in San Francisco, die an den Untersuchungen nicht beteiligt war. Sie merkt allerdings an, dass Omikrons starke Übertagbarkeit dennoch dazu führe, dass Krankenhäuser sich schnell füllen – mildere Erkrankungen in oder her.

Am 30. Dezember jedenfalls vermeldeten Südafrikas Behörden, dass das Land den Höhepunkt der Omikron-Infektionen überschritten habe, ohne dass es zu einem bedeutenden Anstieg der Todesfälle gekommen sei. Und ein Bericht der britischen Regierung vom 31. Dezember besagt, dass mit Omikron infizierte Personen in England nur mit halb so hoher Wahrscheinlichkeit ins Krankenhaus müssen wie jene mit Delta.

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Dennoch ist es schwierig zu sagen, ob Omikron schon aus sich selbst heraus mildere Infektionen verursacht. Denn die Zahl der Menschen, die durch Impfung, Ansteckung oder beides eine Immunität erworben haben, ist im Laufe der Zeit deutlich gestiegen. Um zu klären, welche Rolle Omikron selbst spielt, wenden Fachleute sich nun Tierversuchen und Studien an Zellkulturen zu.

Ist Omikron wirklich intrinsisch milder?

Eine Arbeitsgruppe um den Virologen Michael Diamond von der Washington University in St. Louis infizierte Hamster und Mäuse mit Omikron und anderen Varianten, um den Verlauf der Krankheit zu verfolgen. Die Unterschiede waren gravierend. Nach einigen Tagen war die Virenkonzentration in den Lungen der im Omikron infizierten Tiere mindestens um den Faktor zehn niedriger als bei Nagern, die andere Varianten beherbergten. Weitere Arbeitsgruppen stellten außerdem fest, dass Omikron im Vergleich zu anderen Varianten in geringeren Mengen im Lungengewebe auftaucht.

Diamond sagt, am schockierendsten fand er, dass mit Omikron infizierte Tiere ihr Körpergewicht beibehielten. Die anderen dagegen verloren schnell an Gewicht, ein Zeichen, dass die Infektion eine schwere Erkrankung verursachte. »Jede Version von Sars-CoV-2 hat bisher Hamster sehr leicht und mit hohen Virusmengen befallen«, sagt er, »und es ist klar, dass diese Variante anders ist.«

Weitere Experimente identifizierten einen möglichen Grund für den Unterschied. Omikron befällt weit schlechter Lungenzellen und als Organoide bezeichnete kleine Lungenmodelle, als es frühere Varianten tun. Ursache ist ein als TMPRSS2 bezeichnetes Protein, das die Oberflächen vieler Zellen in der Lunge und zahlreichen anderen Organen besetzt, aber bei Zellen in Nase und Rachen auffällig fehlt.

Frühere Varianten nutzen jenes Protein, um in Zellen einzudringen. Omikron allerdings bindet nicht an TMPRSS2, stellten die Fachleute fest. Stattdessen dringt es in Zellen ein, wenn es von diesen quasi verschluckt wird. Weniger infizierte Lungenzellen könnten, wie es diese Studien andeuten, insgesamt mildere Verläufe bedeuten. In den Lungen verursacht das Coronavirus die größten Schäden. Es ist der Befall der Lunge, der eine entzündliche Immunreaktion auslösen kann, die nicht infizierte Zellen ebenso dezimiert wie infizierte. Das lässt die Lunge vernarben und führt zu Sauerstoffmangel.

Warum Omikron ansteckender ist

Umgekehrt könnten die Schwierigkeiten beim Infizieren der Lunge erklären helfen, warum Omikron in den oberen Atemwegen erfolgreicher ist, sagt der Virologe Ravindra Gupta von der University of Cambridge, der an einer dieser Untersuchungen beteiligt war. Andere Daten liefern sogar direkte Belege, dass Omikron sich besser in den oberen Atemwegen vermehrt als in der Lunge. Das wiederum könnte der Grund sein, weshalb Omikron – zumindest nach manchen Einschätzungen – beinahe so ansteckend ist wie die extrem ansteckenden Masern. Wenn sich die Variante in den oberen Atemwegen aufhält, reisen die Virenpartikel leichter in Teilchen mit, die aus Mund oder Nase ausgestoßen werden. Das Virus könne so besser neue Wirte finden, sagt Gupta.

Die aktuellen Resultate könnten bedeuten, dass »das Virus eine lokale Infektion in den oberen Atemwegen auslöst und weniger Gelegenheit hat, Schäden in der Lunge auszulösen«, wie Ott sagt. Das wären willkommene Nachrichten. Allerdings spielt auch das Immunsystem des Wirts eine wichtige Rolle für die Schwere der Krankheit. Fachleute benötigen deshalb mehr klinische Daten, um zu beurteilen, welchen Anteil die grundlegenden Eigenschaften von Omikron an den beobachteten milderen Verläufen der Krankheit haben.

Der veränderte Verlauf einer Infektion mit Omikron könne auch für Kinder bedeutsam sein, sagt die Kinderärztin und Infektionsmedizinerin Audrey John vom Children’s Hospital of Philadelphia. Kleine Kinder haben vergleichsweise enge Nasenhöhlen und Säuglinge atmen ausschließlich durch die Nase. Solche Besonderheiten können Erkrankungen der oberen Atemwege für Kinder gefährlicher machen als für Erwachsene, sagt John. Aber sie habe bisher keine Daten gesehen, nach denen mehr kleine Kinder mit Krupp oder anderen Krankheiten in der Klinik landen, die auf schwere Erkrankungen der oberen Atemwege hindeuten.

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