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Umweltverschmutzung: Millionen Tonnen Nanoplastik in den Ozeanen entdeckt

Mikroplastik ist ein bekanntes Problem in der Umwelt. Doch die vielleicht noch größere Gefahr könnte durch Massen an Nanoplastik bestehen. Es zu finden, ist aufwändig.
Eine Person in einem blauen Taucheranzug und einer Tauchmaske schwimmt unter Wasser inmitten von Plastikmüll. Sie hält ein Stück Plastik in der Hand, umgeben von verschiedenen Abfällen wie Plastiktüten und Flaschen. Das Bild thematisiert die Verschmutzung der Ozeane durch Plastikmüll.
Die Freitaucherin und Meeresschutzaktivistin Şahika Ercümen taucht in einen Müllstrudel ab. Eine gewaltige Menge von Müll könnte bislang übersehen worden sein.

Plastikmüll in den Ozeanen schafft es immer wieder auf die Titelseiten – meistens mit Bildern von erstickten Seevögeln oder von PET-Flaschen, die an den Strand gespült werden. Doch Forscherinnen und Forscher stoßen inzwischen überall auf winzige Mikroplastikfragmente: in dicht besiedelten Metropolen ebenso wie auf unberührten Berggipfeln – und sogar in menschlichem Gewebe, etwa im Gehirn und in der Plazenta. Eine im Fachmagazin »Nature« veröffentlichte Studie legt nun eine weitere, bislang verborgene Quelle dieses tödlichen Abfalls offen: nanometergroße Plastikpartikel im Ozean. Sie seien buchstäblich allgegenwärtig, sagt Koautor Dušan Materić, Umweltanalytiker am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.

Materić und sein Team entnahmen im Nordatlantik Wasserproben in drei Tiefen, die jeweils unterschiedliche marine Lebensräume abbilden. In allen fanden sie drei Typen von Nanoplastik: Polyethylenterephthalat (PET), Polystyrol (PS) und Polyvinylchlorid (PVC). Die mittlere Konzentration lag bei 18 Milligramm pro Kubikmeter– hochgerechnet sind das rund 27 Millionen Tonnen Nanoplastik allein in der obersten Schicht des gemäßigten bis subtropischen Nordatlantiks. »Nanoplastik stellt den dominierenden Anteil der Kunststoffverschmutzung im Meer dar«, sagt Materić. Zum Vergleich: Weltweit treiben Schätzungen zufolge etwa drei Millionen Tonnen schwimmender Plastikabfälle auf den Ozeanen– Nanoplastik nicht eingerechnet.

Was sind Nanoplastikpartikel? Und wie unterscheiden sie sich von Mikroplastik?

Als Nanoplastik definieren Fachleute Partikel mit einem Durchmesser von weniger als einem Mikrometer, also einem tausendstel Millimeter. Bei diesen winzigen Größenordnungen verhalten sich Materialien anders: Die Leipziger Studie zeigt, dass Nanoplastik nicht einfach zu Boden sinkt, sondern sich im gesamten Wasserkörper verteilt. Statt durch Gravitationskraft wird es durch die brownsche Bewegung verfrachtet. Sie ergibt sich aus Stößen und Kollisionen mit Teilchen der Umgebung, vor allem dem Wasser. Als Mikroplastik definieren Experten solche Plastikpartikel, die größer als ein Mikrometer und kleiner als fünf Millimeter sind.

So spürte das Team die Partikel auf

Für ihre Messungen nutzte die Gruppe eine Reise mit dem Forschungsschiff »Pelagia« des Niederländischen Instituts für Meeresforschung (NIOZ) im November 2020. Proben wurden an zwölf Stellen genommen: fünf im Subtropenwirbel des Nordatlantiks, vier im offenen Ozean und drei in Küstennähe über dem europäischen Kontinentalschelf. An jeder Station schöpften die Forschenden Wasser in zehn Metern Tiefe, in 1000Metern Tiefe und 30Meter über dem Meeresboden.

Die Analyse erfolgte mittels thermischer Desorption, gekoppelt mit Proton-Transfer-Reaktions-Massenspektrometrie. »Wir mussten mehrere Hürden überwinden«, berichtet Materić – etwa Fremdstoffe aus den Proben entfernen. Jede Zehn-Milliliter-Probe wurde zunächst durch einen Filter im Mikrometerbereich gepresst, um das größere Mikroplastik auszusieben. Anschließend erhitzte man das Material langsam, trieb organische Substanzen aus und konnte die verbleibenden Kunststoffe bestimmen.

»Nanoplastik kann noch weitaus tiefer in jedes Ökosystem und jede Zelle eindringen, als man es von Mikroplastik und größeren Kunststoffteilen kennt«Tony Walker, Umweltwissenschaftler

Dabei ergab sich eine Überraschung: »Wir standen vor einem Rätsel«, sagt Materić. Ein sehr verbreiteter Kunststoff, Polyethylen (PE), tauchte in den Daten nicht auf, obwohl dieser Stoff sicher ins Meer gelangt. »Das deutet darauf hin, dass der Kreislauf von PE-Nanoplastik im Ozean eine ungewöhnliche Entwicklung durchmacht – sei es, dass er sich schneller chemisch umwandelt oder mineralisiert, sei es, dass er eben doch rasch absinkt«, erklärt er.

Ist das Nanoplastik im Ozean ein unerwartet großes Problem? 

Tony Walker, Umweltwissenschaftler an der Dalhousie University in Halifax, Kanada, überrascht das Ergebnis nicht: »Mich erstaunt das nicht, denn ich kenne das Ausmaß des Problems seit Längerem«, sagt er. Das macht das Problem jedoch nicht kleiner. »Nanoplastik kann– anders als Mikroplastik – Zellmembranen durchdringen. Es ist also bereits im Phytoplankton, der Grundlage des marinen Nahrungsnetzes, eingebaut und kann so entlang der Nahrungskette weitergereicht werden«, erläutert Walker.

Gerade wegen seiner Allgegenwart müsse Nanoplastik ernst genommen werden, warnt Materić: »Angesichts ihres toxikologischen Potenzials könnten Nanopartikel die problematischste Größenklasse für das Leben im Meer darstellen.« Walker sieht das ähnlich: »Das sollte uns alle wachrütteln«, mahnt er. »Nanoplastik kann noch weitaus tiefer in jedes Ökosystem und jede lebende Zelle eindringen, als man es von Mikroplastik und größeren Kunststoffteilen kennt.«

Was kann man gegen die Verschmutzung tun?

Im August beginnt in Genf die wohl letzte Verhandlungsrunde für ein rechtlich verbindliches UN-Abkommen gegen Plastikverschmutzung. Zur Debatte steht unter anderem eine Obergrenze für die künftige Kunststoffproduktion– ein Punkt, den einige rohstoffexportierende Länder jedoch ablehnen.

»Eine der wirksamsten Maßnahmen, um künftige Nanoplastikeinträge zu verringern, ist eine Deckelung der Plastikproduktion«, sagt Walker. »Man muss den Hahn zudrehen.«

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  • Quellen
Ten Hietbrink, S. et al., Nature 10.1038/s41586–025–09218–1, 2025
Kaandorp, M. et al., Nature Geoscience 10.1038/s41561–023–01216–0, 2023

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