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Unterwasserarchäologie: Millionengrab Ostsee

Schon bald wird russisches Gas unter dem Grund der Ostsee nach Deutschland strömen. Beim Verlegen der Pipeline stieß die Betreiberfirma auf zahllose bedeutende Schiffswracks – für die Archäologen ein Glücksfall im doppelten Sinn: Denn für die teure Erforschung und Bergung kommt der Konzern auf.
Forschungstaucher in der Ostsee
Früher, als alles viel einfacher war, tauchte man zu einem Wrack und kehrte – wenn man Glück hatte – mit einer Schatztruhe voller Gold zurück. Heutzutage ist das Geschäft der Unterwasserarchäologen teuer und aufwändig: Wer ohne finanzkräftigen Partner dasteht, braucht an die Erkundung unter Wasser nicht zu denken. Das weiß auch Göran Ankarlilja. Doch der schwedische Unterwasserarchäologe muss sich um das Geld für seine Arbeit nicht sorgen – vorerst jedenfalls. Seit Ende 2007 erforscht er ein Wrackfeld vor der Küste Gotlands, das so groß ist, dass "für die Erkundung ein Menschenleben bei Weitem nicht ausreicht", sagt Ankarlilja.

Dass er nun schon seine dritte Grabungskampagne abschließen kann, verdankt er Nord Stream, der Betreibergesellschaft jener Ostseepipeline, durch die ab 2012 russisches Erdgas nach Deutschland strömen soll. Nord Stream ist einziger Sponsor seines HUMA-Projekts, des "Heritage Underwater Maritime Archaeology Gotland".
Dieser Artikel stammt aus epoc 3/2011
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Systematisch erkunden die Taucher aus Ankarliljas Team den quadratkilometergroßen Schiffsfriedhof vor der Haustür der Gotländer und bergen, was Jahrhunderte des Wellengangs von den 15 während eines fürchterlichen Sturms vor 500 Jahren gesunkenen Segelschiffen der Dänisch-Lübischen Flotte übrig ließen.

Es ist ein mühsames Geschäft. Mit Hilfe eines Sonargeräts verschaffen sich die Archäologen einen ersten Überblick, dann durchkämmen sie entlang eines Rasters aufgespannter Vermessungsleinen systematisch den Meeresboden. Sie kartieren, zeichnen, spülen, sieben und bergen schließlich die interessantesten Objekte. Dabei unterliegt seine Firma AquaArkeologen Sverige, die für die Ausgrabungen verantwortlich ist, stets den strengen Kriterien der Wissenschaftlichkeit. Denn wenngleich Ankarliljas Ausgrabungen von Nord Stream finanziert werden, erfolgen sie gleichwohl in enger Abstimmung mit den schwedischen Denkmalbehörden und müssen jedes Jahr aufs Neue umfangreiche Genehmigungsverfahren durchlaufen.

Ein Großteil seines über 20-köpfigen Teams arbeitet für freie Kost und Logis. "Wir haben doppelt so viele Interessenten wie Plätze", erzählt Ankarlilja. Meist sind es Archäologiestudenten, die bei ihm eine Zusatzqualifikation in der Unterwasserforschung erhalten wollen. Mit der Urlaubstaucherei in der Karibik habe das wenig gemein, erzählt eine Taucherin, die bereits zum dritten Mal dabei ist. "Das hier ist vor allem – harte Arbeit!"

Stürmische Wetter

Besonders wenn das Wetter so unangenehm ist wie heute. Die Forscher von HUMA haben zum Tag der offenen Tür in ihr Basislager geladen. Gerade als das Team ins Wasser watet und letzte Hand an die Ausrüstung legt, geht ein kalter Platzregen auf Krusmyntagården nieder. Von dem idyllischen Seegrundstück nahe Visby, das die Taucher für die Saison mitsamt dem typisch schwedischen Ferienhaus gemietet haben, sind es nur ein paar Meter zu den Funden im Schlick der Ostsee.

Auch einige Vertreter des Sponsors Nord Stream trotzen dem Schauer. Doch haben die schon schlimmere Wetter überstanden. Seit Beginn der Voruntersuchungen zum Bau der Gaspipeline weht ihnen ein scharfer Wind ins Gesicht. Der Plan, zwei 1224 Kilometer lange Röhren zu verlegen – quer durch die Ostsee und damit auch quer durch die territorialen Einflussgebiete von Russland, Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland –, hat ostseeweit für Kritik gesorgt. Mittlerweile sind die Arbeiten weit fortgeschritten. Noch in diesem Jahr soll der erste Strang der Pipeline in Betrieb gehen und russisches Erdgas in die westeuropäischen Netze speisen. 2012 wird plangemäß die Inbetriebnahme der zweiten Röhre folgen.

Verlauf der Ostseepipeline | Die zweisträngige Pipeline beginnt an der russischen Küste und endet im Greifswalder Bodden, unterwegs berührt sie die Hohheitsgebiete von mehreren Anrainerstaaten. Entlang der gesamten Route wurden Wracks entdeckt, viele davon jedoch soweit von den Verlegearbeiten entfernt, dass sie nicht geborgen werden mussten.
Nord Stream, das mehrheitlich zum russischen Energieriesen Gazprom gehört, sieht in der Unterwasserleitung eine kostengünstige Alternative zu vergleichbaren Installationen an Land. Rund 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr würden am Ende laut dem Unternehmen vom russischen Wyborg aus nach Lubmin an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns geliefert: genug für 26 Millionen Haushalte und immerhin ein Viertel des für 2025 prognostizierten zusätzlichen Bedarfs an Gasimporten, rechnet das Konsortium vor.

Energie für Millionen

Wirtschaftlich profitieren davon insbesondere die beiden Länder an Start und Zielpunkt der Strecke: Russland und Deutschland. In den anderen Anrainerstaaten hielt sich die Begeisterung für das Megaprojekt indes in Grenzen. Insbesondere Polen und die baltischen Staaten bangen um die lukrativen Transitgebühren, vor allem aber, dass ihnen Russland aus politischen Gründen nun den Gashahn abdrehen kann, ohne zugleich den wichtigen Kunden Deutschland zu treffen.

Die Umweltauflagen der deutschen Behörden seien zu lax, monierten hingegen Verbände wie der World Wildlife Fund (WWF) oder der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Zwar ist der Transport von Gas durch eine untermeerisch verlegte Pipeline viel ungefährlicher als die Beförderung per Schiff oder durch oberirdische Leitungen – bei einer Beschädigung würde lediglich für kurze Zeit Gas in die Atmosphäre entweichen –, Sorgen bereiten den Umweltschützern vielmehr die baubedingten Eingriffe in das labile Ökosystem Ostsee. Laut WWF würde das Verlegen der Röhren beispielsweise große Mengen Stickstoff und Phosphor aus dem Meeresboden aufwirbeln. Überdüngung, Algenblüten und womöglich sauerstofffreie Todeszonen wären die Folge. Erst als Nord Stream Gegenmaßnahmen und Ausgleichszahlungen für Naturschutzprojekte in zigfacher Millionenhöhe zusicherte, lenkten WWF und BUND im April 2010 ein.

Zu diesem Zeitpunkt hatte eine der größten Herausforderungen des Bauprojekts bereits begonnen. Denn im Schlick der Ostsee lauern über Bord geworfene Kühlschränke und sonstiger Schrott, vor allem aber gefährliche Relikte aus den beiden Weltkriegen: Unzählige Fliegerbomben, Minen und Gasgranaten mussten entweder vor Ort gesprengt oder, im Fall chemischer Waffen, geborgen und an Land entsorgt werden. Immer wieder drohen auch nach der jahrzehntelangen Lagerung unter Wasser noch Explosionen.

Das Verlegeschiff "Castoro Sei" | Die 152 Meter lange "Castoro Sei" ist eines der drei Verlegeschiffe von Nord Stream. Die einzelnen Pipelinesegmente werden an Bord zusammengeschweißt und ins Wasser gelassen – bei Bedarf rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche.
Suchschiffe des Unternehmens spulten daher im Vorfeld rund 40 000 Kilometer ab, um sämtliche Hindernisse im geplanten Trassenverlauf – einem 125 Meter breiten Korridor – aufzuspüren und aus dem Weg zu räumen. Doch davon profitierten nicht nur die Pipelinebetreiber. "Wir hatten immer ein Archäologenteam in der Nähe", sagt Firmensprecher Steffen Ebert. Und das aus gutem Grund: Wie alle Träger von Baumaßnahmen ist auch Nord Stream gesetzlich verpflichtet, historisch bedeutsame Funde ausgraben zu lassen. Jede Entdeckung drohte, den knappen Zeitplan zu sprengen – und am Boden der viel befahrenen Ostsee wimmelt es von Wracks. Anhand von Aufzeichnungen in den Schifffahrtsarchiven taxieren Historiker die Zahl gesicherter Untergänge allein vor Gotland auf mindestens 2500. Die Gesamtzahl der Wracks dürfte ostseeweit in die Zehntausende gehen.

Unscheinbares Schiff mit Geschichte

Erwartungsgemäß wurde der Pipelinebauer fündig. Rund 70 Wracks lokalisierte das Unternehmen – darunter zahlreiche teils jahrhundertealte Segelschiffe, aber auch Zerstörer und sogar ein Flugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg. Die meisten Schiffsleichen ruhen an Stellen, an denen sie durch die Baumaßnahmen gar nicht in Mitleidenschaft gezogen würden. In manchen Fällen war dies indes nicht der Fall.

So auch vor Deutschlands Küste. Hier kam der neuen Pipeline ein Schiff in die Quere, ein einfacher Kahn, der trotz seiner Unscheinbarkeit eine besondere Geschichte erzählt. Er stammt aus dem Jahr 1715, dem Jahr der entscheidenden Wende im Großen Nordischen Krieg, der von der Schwedischen Krone gegen Dänen, Russen, Sachsen und später auch Preußen geführt wurde und 15 Jahre währte.

Es ging, wie so oft, um die Vormachtstellung im Ostseeraum. Am Ende rüstete ein über 60 000 Mann starkes Heer der Alliierten zum finalen Schlag gegen die schwedischen Truppen in Stralsund und Rügen, beides Teile des damaligen Schwedisch-Pommern. Ziel war es, Schwedenkönig Karl XII. die verbliebenen Besitztümer im heutigen Mecklenburg-Vorpommern zu entreißen. Sein Aufenthaltsort Stralsund sollte, nach missglückten Belagerungsversuchen in den Jahren zuvor, nun endlich fallen.

Bei ihrer Verteidigung setzten die Schweden auf die geografischen Gegebenheiten. Weil die Alliierten durch den Greifswalder Bodden in den Strelasund und zur Südküste Rügens mussten, versenkten die Schweden hier eilig rund 20 Kähne – um auf diese Weise eine fast einen Kilometer lange Sperre zu errichten. Wie Perlen an einer Schnur setzten sie die Schiffe im Abstand von 40 bis 60 Metern auf den Grund der hier nur wenige Meter tiefen Ostsee. Tatsächlich konnte so mindestens ein Angriff der Dänen zurückgeschlagen werden.

Zwar lotste ein Einheimischer die Alliierten schließlich doch noch durch die Seesperre. Den so genannten Pommernfeldzug Preußens und seiner Verbündeten entschied das allerdings nicht: Von Stettin aus hatten sich die Angreifer nämlich längst über Usedom bis in den Greifswalder Bodden vorgearbeitet und waren schließlich auf Rügen gelandet. Damit konnten sie Stralsund auch von der Seeseite her einschließen.
Auf dem Boden des Bodden | Im Greifswalder Bodden fanden die Archäologen des Landesamts für Kultur und Denkmalpflege Sachsen-Anhalt mehrer Wracks, die durch die Bauarbeiten in Mitleidenschaft hätten gezogen werden können. Obwohl durch Wellengang und Strömung von den Schiffen nicht viel übrig geblieben ist, liefern die Funde wertvolle Erkenntnisse über das damalige Schiffsbauhandwerk.
Fast drei Jahrhunderte später waren es diese versenkten Boote, die die Pipeline auf ihren letzten Metern behinderten. Durch diese Sperre führt die Trasse der Gasleitung, bevor sie bei Lubmin unweit von Greifswald an Land geht. "Eigentlich hätte die Lücke zwischen zwei Wracks für unser Verlegeschiff leicht ausgereicht", erklärt Nord-Stream-Sprecher Ebert. Weil gerade bei schwerem Wetter eine Beschädigung aber nicht auszuschließen war, habe man gemeinsam mit dem Landesamt für Kultur und Denkmalpflege in Schwerin beschlossen, einen der Kähne zu bergen.

Einblick in ein längst vergessenes Handwerk

Die Unterwasserarchäologen um den Dezernatsleiter Archäologie Detlef Jantzen machten sich schließlich an eine intensive Vorabuntersuchung und Dokumentation der Fundstelle, trafen allerdings nur noch auf spärliche Reste. Der Seegang in dem Flachwasserbereich hatte dem Holz stark zugesetzt. Mit neun Meter Länge und drei Meter Breite gehörte der Kahn ohnehin zu den kleineren Schiffen der Sperre – die anderen waren bis zu 15 Meter lang. Nach und nach brachten die Schweriner Archäologen im Juli 2010 rund 50 Einzelteile an die Wasseroberfläche.

"Sie verraten uns einiges über das damalige Schiffsbauhandwerk", erklärt Jantzen. "Kaum etwas wurde damals schriftlich niedergelegt. Daher sind wir auch auf die Untersuchung solch kleinerer Wracks angewiesen." Auf die teure Langzeitkonservierung der Holzbalken verzichtete das Denkmalamt jedoch – zum einen, weil das monatelange Lagern in Polyethylenglykol das Budget der notorisch klammen Behörde gesprengt haben dürfte, zum anderen, weil der wissenschaftlichen Aufarbeitung mit einer Dokumentation Genüge getan war, wie die Archäologen versichern. Jedenfalls wurden die Planken an einem geschützten Ort erneut versenkt und so auf natürliche Weise konserviert.

Forschungstaucher bei der Arbeit | Vor der Bergung der Wracks steht die umfangreiche Dokumentation der Teile in Fundlage – kein einfaches Geschäft in der trüben Ostsee. Osteeweit dürfte die Zahl der Wracks in die Zehntausende gehen.
Eine erste Erkenntnis, die die Forscher aus der Untersuchung des Wracks zogen, ist, dass der Rumpf des Kahns in Klinkerbauweise konstruiert war – das heißt überlappende Planken aufwies – und dass das Schiff vor seiner Versenkung rund 50 Jahre Dienst getan hatte. Offenbar vergriffen sich die Schweden nicht an den Schmuckstücken der Rügener Flotte.

Immer wieder rief Nord Stream nach den Schweriner Denkmalpflegern. Im vergangenen Jahr etwa kam im Bodden ein mit Kupfer beladenes Schiff zum Vorschein, dessen Überreste die Archäologen ebenfalls hoben. Auch hier planen sie nach der eingehenden Untersuchung eine erneute Versenkung.

Versetzen statt bergen

Im Sommer 2010 schließlich stießen Taucher im Greifswalder Bodden auf einen Metallgegenstand, den sie zunächst für eine weitere Bombe hielten. "Tatsächlich entpuppte sich das Stück aber als Kanonenofen, der zu einem kompletten Frachtsegler gehörte", erzählt Ebert. Ein Zufallsfund, der bei der Voruntersuchung übersehen worden war, denn nicht jedes Fundstück ist auf den Bildern des Sonargeräts gleich zu erkennen.

Der Kanonenofen war es wohl auch, der das Schicksal des aus dem frühen 19. Jahrhundert stammenden Schiffs besiegelte. Brandspuren lassen die Unterwasserarchäologen nämlich vermuten, dass er einst im Heck stand und in Brand geraten war. Von dort aus fraß sich das Feuer vermutlich langsam Richtung Bug. Ob sich die Seeleute retten konnten, ist nicht bekannt, die letzte Reise ihres Gefährts endete jedenfalls im kaum sechs Meter tiefen Wasser des Boddens. Hier grub es sich über die Jahrhunderte tief in den Sedimentboden ein. "Das Schiff war in einem Zustand, der eine gefahrlose Bergung erlaubte", sagt Jens-Peter Schmidt, ebenfalls Archäologe vom Landesamt für Kultur und Denkmalpflege. "Wir konnten es in einem Stück heben, um es an anderer Stelle in sicherem Abstand wieder einzuschwemmen." So bleibe es für spätere Untersuchungen erhalten und könne womöglich eines Tages als Ziel für Hobbytaucher dienen.

Die Versetzung des Schiffs nahmen niederländische Bergungsspezialisten vor. An einem Tragegerüst wurde das Wrack angehoben und in rund 100 Meter Entfernung wieder in sein nasses Grab gelassen. Da der restliche Trassenverlauf mittlerweile genau untersucht wurde, rechnet Ebert nicht mit weiteren Überraschungen.

Die größte Schiffskatastrophe der Ostsee

In Krusmyntagården sind unterdessen die schwedischen Taucher an die Oberfläche zurückgekehrt. Während sie sich unter der Dusche aufwärmen, präsentieren Kollegen die Ausbeute des Tages in wassergefüllten Plastikpäckchen.

Wieder sind die rätselhaften Bleizylinder darunter, von denen die Taucher schon ein paar Hände voll an die Oberfläche geholt haben. Wozu sie dienten und warum sie immer paarweise mit halb fertigen Musketen kugeln auftreten, weiß niemand genau: Man findet sie nur im Wrackfeld vor Gotlands Küste, und auch zeitgenössische Quellen schweigen darüber.

Am Strand von Krusmyntagården | Taucher des HUMA-Projekts waten ins Wasser: Die Wracks vor der Küste Gotlands liegen in nur wenigen Metern Wassertiefe und sind vom Strand aus zu erreichen.
Die Archäologen des HUMA-Projekts fahnden nach dem Ergebnis einer katastrophalen Fehlentscheidung, die im Jahr 1556 zu einem der schlimmsten Schiffsunglücke der Ostsee führte. In der Nacht vom 28. auf den 29. Juli sanken hier 15 Karavellen der dänisch-lübischen Flotte – nachdem ihr Admiral Warnungen über ein bevorstehendes Unwetter ignoriert hatte. Bis zu 7000 Seeleute fanden schließlich den Tod.

Dabei waren die Mannschaften gerade erst bei einer Seeschlacht vor Öland mit dem Leben davongekommen. Ein Sturm hatte ihre Gegner, die Schweden, in den Schären Zuflucht suchen lassen – im "Dreikronenkrieg" stand das Land von 1563 bis 1570 einer Allianz von Dänemark und Lübeck gegenüber. Auch die Kapitäne aus Lübeck wollten ihre Schiffe in Sicherheit bringen. Doch die dänische Admiralität hatte andere Pläne: Der alles in allem 36 Segler starke dänisch-lübische Verbund sollte zur Bestattung eines gefallenen Adligen das damals dänische Gotland anlaufen.

Zu spät für jede Rettung

Die Warnungen des dortigen Statthalters vor den schwierigen Gewässern seiner Insel und einem neuerlichen Unwetter schlug der Oberbefehlshaber in den Wind. "Stürme gibt es nicht an jedem Tag", soll er der Legende zufolge gesagt haben. So blieben die schlanken, hoch aufragenden Karavellen auch in der Nacht nach dem Begräbnis in Landnähe vor Anker. Chroniken berichten, an diesem Abend habe der Himmel eine seltsame Farbe angenommen und das Wasser sei aufgewühlt gewesen, obwohl kaum ein Lüftchen wehte. Als schließlich der Sturm losbrach, begann die hektische Flucht in tiefere Gewässer. Doch für zwölf Schiffe der Dänen und drei Schiffe der Lübecker war es da schon zu spät. Sie zerschellten an den Riffen oder zerrieben sich aneinander zu Kleinholz.

Als der Morgen anbrach, muss sich den Gotländern ein Bild der Verwüstung geboten haben. Ohne Ansehen von Rang und Namen legte die Inselbevölkerung die im Wasser treibenden Leichen in Massengräber. Zugleich retteten sie, was nicht niet- und nagelfest war – insbesondere die wertvollen Kanonen.

Noch immer erinnern Plaketten und Gemälde im Dom zu Visby an diese Katastrophe. Entsprechend stolz ist Göran Ankarlilja, der schon vor vielen Jahren als Freizeittaucher Teile der Wracks entdeckt hatte, diesen wichtigen Teil der gotländischen Geschichte erforschen zu dürfen.

Freiwilliges Engagement

Doch in einem Punkt unterscheidet sich das schwedische Projekt von der Arbeit der Schweriner Denkmalpfleger: Wracks vor Gotlands Westküste waren durch die Pipeline nie bedroht. HUMA ist vielmehr Teil des freiwilligen kulturellen Engagements von Nord Stream – beziehungsweise, so unterstellen es jedenfalls die schwedischen Grünen auf der Insel, Teil eines Präsentkorbs, mit dem sich die Firma die Zustimmung der Gotländer für die Benutzung des Inselhafens Slite sichern wollte – das Unternehmen hatte zudem versprochen, den maroden Hafen für mehr als sieben Millionen Euro zu sanieren, und zwar unabhängig davon, wie die Entscheidung der Inselregierung letzten Endes ausfallen würde. Die beschied positiv: Heute befindet sich dort das wichtigste Logistikzentrum des Unternehmens.

Göran Ankarlilja interessiert das alles nicht. Genauso wie die deutschen Archäologen lobt er die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen und freut sich über die unerwarteten Forschungsmöglichkeiten. Aber auch er weiß: "Wenn Nord Stream eines Tages die Zahlungen einstellt, können wir einpacken." So bleibt ein Wermutstropfen: die Abhängigkeit von dem Großunternehmen – und die Intransparenz, denn über die Höhe der Geldbeträge, die Nord Stream an HUMA oder das Landesamt zahlte, will keiner der Verantwortlichen Auskunft geben.

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