Asteroidenforschung: Mission Hera besucht getroffenen Doppelasteroiden

Mit der Mission Hera nimmt sich die Europäische Weltraumagentur ESA ein bereits zuvor besuchtes Asteroidensystem vor, um es im Detail zu untersuchen. Der größere Partner des Doppelsystems (65803) Didymos wurde im Jahr 1996 entdeckt, der kleinere im Jahr 2003. Letzterer erhielt den Namen Dimorphos. Der etwa 160 Meter große Dimorphos umkreist seinen 800 Meter großen Zentralkörper Didymos in einem Abstand von 1,2 Kilometern und benötigt für einen Umlauf knapp zwölf Stunden – in solch massearmen Asteroidensystemen läuft alles gemächlich.
Das Ziel von Hera: Der Doppelasteroid Didymos
Das Didymos-System ist geologisch hochinteressant. Die meisten kleinen Asteroiden sind sehr unregelmäßig geformt und können als fliegende Geröllhalden angesehen werden, die allein durch die gegenseitige Anziehungskraft der großen und kleinen Gesteinsbrocken zusammengehalten werden. Im Inneren kann es große Hohlräume geben; darauf weisen die niedrigen mittleren Dichten hin. Die Rotationsperiode von Didymos ist aber geringer als 2,3 Stunden und damit schon kurz vor der Grenze, bei der die Fliehkräfte der Rotation den gravitativen Zusammenhalt des Asteroiden aufwiegen würden.
Die schnelle Rotation hat Einfluss auf die Form des Körpers: Durch Beobachtungen mit Radar und Raumsonden ist bekannt, dass manche Asteroiden die Form eines »Brummkreisels« mit einer Verdickung rund um den Äquator zeigen. Dies weist darauf hin, dass Material von den Polen zur Äquatorregion wandern kann. Ein solcher Vorgang würde durch hohe Fliehkräfte erleichtert.
Die Rotation eines Asteroiden ist nicht konstant. Sie kann durch Unterschiede in der thermischen Abstrahlung zwischen der heißeren »Abend«- und kühleren »Morgenseite« des Asteroiden (den so genannten YORP-Effekt) beschleunigt oder verlangsamt werden. Im Fall von Didymos könnten bei einer nur geringen Verkürzung der Rotationsperiode die Fliehkräfte so groß werden, dass Material die Oberfläche verlässt. Es würde dabei etwas Drehimpuls vom Asteroiden mitnehmen – die Rotation des Asteroiden würde sich dadurch wieder zeitweise etwas verlangsamen. Der Begleiter Dimorphos könnte sich aus solchem Material gebildet haben – er könnte sogar regelmäßig durch weitere Masseverluste von Didymos gespeist werden.
Das Didymos-System befindet sich auf einer elliptischen Bahn um die Sonne, deren Perihel knapp außerhalb der Erdbahn und deren Aphel bei 2,28 Astronomischen Einheiten (der 2,28-fache Abstand Sonne–Erde), also schon im inneren Bereich des Asteroidengürtels, liegt. Im Jahr 2022 kam Didymos der Erde bis auf rund elf Millionen Kilometer nahe. Diese Gelegenheit wurde von der Impaktmission DART genutzt. Da die Bahnperiode mit 770 Tagen kein ganzzahliges Vielfaches der Erdbahn ist, wird es bis zur nächsten Gelegenheit jedoch viele Jahre dauern.
Eine lange Vorgeschichte
Die ESA untersucht bereits seit mehr als 20 Jahren Missionen zu Asteroiden. Eine Option dabei war ein ursprünglich aus Spanien kommender Vorschlag für einen Demonstrator zur Asteroidenabwehr namens »Don Quijote«, in Anspielung auf den berühmten Roman von Cervantes. Dieses Projekt sah den Start von zwei Sonden vor, die auf komplexen Bahnen zum selben Asteroiden manövriert werden sollten. Der Beobachter Sancho sollte zuerst ankommen und den Asteroiden begleiten, während der Impaktor Hidalgo mit hoher Geschwindigkeit in den Asteroiden kracht. Sancho sollte beobachten, wie ein Asteroid auf einen solchen Einschlag reagiert, und die Veränderung seiner Bahn um die Sonne messen.
Dieser Vorschlag scheiterte allerdings an der notwendigen Komplexität der Transfers. Es hätte nur wenige mögliche Ziele gegeben. Ferner zeigte sich, dass es so gut wie unmöglich gewesen wäre, angesichts der Messungenauigkeiten die erzielte Veränderung der Sonnenumlaufbahn des Zielobjekts und damit die Wirkung des Impakts hinreichend genau zu bestimmen.
Die entscheidende Idee, die eine solche Demonstratormission möglich machte, kam vom französischen Asteroidenforscher Patrick Michel. Er wandte sich damit an Wissenschaftler der US-Raumfahrtbehörde NASA. Die Idee bestand darin, den Impaktor auf den kleineren Partner eines Doppelasteroidensystems einschlagen zu lassen. Dieser hätte eine Umlaufperiode um seinen Zentralkörper von Stunden – im Gegensatz zu Jahren bei einem Asteroiden, der allein die Sonne umläuft. Die erzielte Bahnänderung ließe sich somit innerhalb einer kurzen Zeitspanne messen.
Die NASA setzte die Idee entschlossen um: Sie entwickelte die Mission DART, den Double Asteroid Redirection Test, für einen Start im November 2021. Zudem ging sie eine Partnerschaft mit der ESA ein – die Europäer wollten die Beobachtersonde AIM, die Asteroid Investigation Mission, beisteuern. Sie sollte im Jahr 2020 starten und vor dem Einschlag von DART im September 2022 im Didymos-System ankommen.
AIM hätte einen Logenplatz zur Beobachtung des Hochgeschwindigkeitsimpakts gehabt und wertvolle Daten über das System vor und nach dem Impakt gesammelt sowie über einzigartiges Bildmaterial hoher Qualität verfügt. Diese Vorteile wurden von den Delegierten der ministeriellen Konferenz im Jahr 2016, die über die Mittel für die ESA zu entscheiden hatten, allerdings nicht gesehen. Die Finanzierung von AIM wurde zusammengestrichen, so dass das Startdatum 2020 unmöglich wurde. Die NASA machte mit DART weiter, da AIM nicht zwingend erforderlich für den Erfolg dieser Mission war.
Der AIM-Projektleiter bei der ESA gab jedoch nicht auf: Er ließ mit den reduzierten Finanzmitteln eine kleinere, preiswertere Alternative namens »Hera« evaluieren, die im Jahr 2019 genehmigt wurde. Hera startete im Jahr 2024 und konnte somit den Einschlag von DART nicht beobachten. Jedoch ist selbst die Charakterisierung der Situation einige Jahre nach dem Treffer immer noch wissenschaftlich wertvoll.
Die Technik der Raumsonde
Hera ist eine kleine Raumsonde mit einer Startmasse von etwa 1100 Kilogramm. Ihr quaderförmiger Korpus hat eine Seitenlänge von rund zwei Metern. Der Hauptauftragnehmer bei Entwicklung und Bau war die Firma OHB in Bremen. Hera trägt vier wissenschaftliche Instrumente:
- AFC: Bei der Asteroid Framing Camera kommen zwei Exemplare einer Kamera mit CCD-Sensor von Jena-Optronik in Deutschland mit einer Auflösung von 1020 × 1020 Pixeln und einem Blickfeld von 5,5 × 5,5 Grad zum Einsatz. Acht Filter decken Wellenlängen vom Visuellen bis zum Nahinfrarot im Bereich von 500 bis 2500 Nanometern (milliardstel Metern) ab. Die AFC soll nicht nur für die Untersuchung des Asteroidensystems, sondern auch zur Unterstützung der Navigation bei der Ankunft sowie zur Beobachtung des Marsmonds Deimos im März 2025 eingesetzt werden.
- TIRI: Das abbildende Infrarotspektrometer mit der Bezeichnung »Thermal InfraRed Imager« der japanischen Raumfahrtbehörde JAXA soll die thermische Trägheit der Asteroidenoberfläche kartieren, woraus sich die Eigenschaften und Dicke der Staubschicht ableiten lassen. TIRI arbeitet im Bereich von 8 bis 14 Mikrometern (millionstel Metern).
- HyperScout H: Dieses abbildende Spektrometer stammt von der niederländischen Firma cosine und ist im Visuellen und im mittleren Infrarotbereich empfindlich. Es dient zur Kartierung der chemischen Zusammensetzung der Oberflächen beider Himmelskörper.
- Mit einem Laserhöhenmesser wird die Oberflächengestalt genau bestimmt.
Zusätzlich wird Hera zwei Kleinstsatelliten – als CubeSats bekannt – bei Didymos aussetzen und dann als Relais für deren Daten dienen: Juventas und Milani tragen beide mehrere Instrumente – Juventas unter anderem ein Radar zur Durchleuchtung der Asteroiden und Milani einen Staubdetektor.
Der Weg zu Didymos
Der Start am 7. Oktober 2024 schoss Hera bereits in eine hochexzentrische Bahn um die Sonne ein. Noch im Oktober wurde, wie geplant, ein Triebwerksmanöver zur Veränderung und Korrektur der Bahn absolviert. Damit war Hera auf Kurs für den gezielten Vorbeiflug (englisch: swing-by) am Mars am 12. März 2025, bei dem die Instrumente während einer Beobachtung des Marsmonds Deimos getestet und kalibriert wurden.
Der Marsvorbeiflug reduzierte erheblich den Umfang der Bremssequenz bei der Ankunft bei Didymos. Diese reicht von Anfang Oktober bis Mitte November 2025 und umfasst sieben Triebwerksmanöver absteigender Größe, an deren Ende Hera 500 Kilometer vom Didymos-System entfernt sein wird, mit nur noch minimaler Relativgeschwindigkeit. Drei weitere kleine Manöver werden bis Ende November 2026 den Abstand auf 60 Kilometer verringern. Danach beginnt die Nahphase um den Asteroiden.
Hera studiert Didymos und Dimorphos
In der Nahphase soll die Sonde den Zustand des Asteroidensystems fast fünf Jahre nach dem Impakt von DART untersuchen. Welche Masse haben Didymos und Dimorphos? Wie groß und wie tief ist der von DART hinterlassene Einschlagkrater? Wie viel Gestein wurde beim Impakt ausgeworfen? Wie ist die Oberfläche beschaffen, und wie sind die beiden Körper im Inneren aufgebaut?
Die Nahphase, im Missionsbetrieb englisch als »proximity operations phase« bezeichnet, ist ein Kompromiss aus unterschiedlichen Zielsetzungen: Die Wissenschaftler wollen rasch so viel wie möglich vom Asteroidensystem beobachten und vermessen. Ebenso schwer wiegt aber die Anforderung an die Betriebssicherheit. Der Kommandozugriff auf die Sonde könnte durch irgendein Problem zeitweise unterbrochen werden. Manöver wären dann nicht mehr möglich, bis das Problem behoben ist. Während dieser Zeit darf Hera weder mit Didymos noch mit Dimorphos kollidieren.
Stabile Umlaufbahnen um Dimorphos sind gar nicht, solche um Didymos nur sehr eingeschränkt möglich. Deswegen wird Hera Sequenzen von gezielten hyperbolischen Bahnen fliegen. Kleine Triebwerksmanöver bewerkstelligen den Wechsel von einem auf den nächsten Hyperbelbogen. Diese Manöver werden per Telekommandos vom Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt vorgegeben. Im Verlauf der Nahphase soll aber auch eine experimentelle, autonome Steuerung erprobt werden.
Hyperbeln haben nur einen Punkt der Annäherung an den Zentralkörper, danach entfernt sich die Sonde kontinuierlich. Mit einem sicheren Minimalabstand ist somit eine Kollision ausgeschlossen. Selbst wenn der Kommandozugriff eine Zeit lang ausfällt, würde sich Hera während dieser Zeit nur mit einer Rate von einigen Kilometern pro Tag vom Didymos-System entfernen.
Man würde danach zwar einige Zeit verlieren, bis die Sonde durch Schubmanöver mit dem Bordantrieb wieder zurück manövriert worden ist und die Beobachtungen wieder aufgenommen werden können, aber es gäbe kein Risiko eines Totalverlusts – diese Bahnen sind inhärent sicher.
Der Minimalabstand der Hyperbeln wird im Lauf der Nahphase verringert werden, wenn die Steuerung der Bahnen und später das automatische Navigationssystem anhand der Erfahrungen mit der Sonde immer besser kalibriert wurden.
In den ersten zwei Monaten werden Form und Masse, die Rotation und thermischen Eigenschaften der beiden Asteroiden genau bestimmt. Am Ende dieses Zeitraums soll Hera die beiden CubeSats aussetzen, die separat in ihre jeweiligen Zielbahnen manövriert werden. Da es sich um relativ preiswerte Kleinstsatelliten handelt, sind mit einem höheren Risiko behaftete Bahnen akzeptabel.
Im nächsten Monat wird Hera die beiden Himmelskörper weiter verfeinert charakterisieren. Die letzten drei Monate der Mission sind dann weitgehend Dimorphos gewidmet: Die Sonde wird die Form und die Eigenschaften seiner Oberfläche detailliert vermessen, insbesondere den von DART hinterlassenen Einschlagkrater. Komplementäre Messdaten liefern zusätzlich die beiden CubeSats, so dass sich ein sehr umfassender Einblick in den Zustand eines doppelten Kleinplanetensystems nach einem Hochgeschwindigkeitseinschlag gewinnen lässt.
Aktuell ist vorgesehen, dass die Mission endet, bevor im September 2027 Didymos und Dimorphos eine obere Konjunktion zur Sonne bei gleichzeitig stark gestiegenem Erd- und Sonnenabstand erreichen. Dies beschränkt die Nahphase auf die genannten sechs Monate, plus der langen Einschuss- und Annäherungssequenzen.
Sollten der technische Zustand von Hera und die verbleibende Treibstoffmenge aber eine Missionsverlängerung zulassen, sind nach Ende der Konjunktion noch wesentlich mehr wissenschaftliche Untersuchungen möglich. Schon jetzt ist aber klar, dass Hera die Asteroidenforschung wesentlich voranbringen wird. Bei einer zukünftigen Asteroidenabwehr wird solches Wissen sehr wertvoll sein.
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