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News: Misstrauische Langfinger

Die Elster gilt als Diebin unter den Vögeln, da sie gern glänzende Gegenstände entwendet und versteckt. Doch mit ihrem kriminellen Verhalten steht sie in der Vogelwelt keinesfalls alleine da, denn auch der Buschblauhäher betätigt sich oftmals als Langfinger, indem er die Nahrungsvorräte seiner Artgenossen plündert. Diese Eigenschaft lässt ihn offenbar misstrauisch werden, wenn es um seine eigenen Vorräte geht: Wenn er sich beobachtet fühlt, sucht er sich ein neues Versteck.
Um Durststrecken unbeschadet zu überstehen, betreibt der in Amerika heimische Buschblauhäher (Aphelocoma coerulescens) eine beachtliche Vorratshaltung: Gut 8000 Eicheln und andere Samenkörner sowie Nüsse sammelt er alljährlich und hämmert sie mit Hilfe seines robusten Schnabels in den Boden oder in Baumspalten. Doch mit seinen eisernen Reserven scheint er sich offenbar nicht zufrieden zu geben, denn oftmals spioniert er seine Artgenossen aus und stibitzt in einem unbeobachteten Moment die von ihnen versteckte Nahrung.

Jenem diebischen Verhalten der Vögel widmeten sich nun Nicola Clayton und Nathan Emery von der University of Cambridge. Für ihre Studien zogen sie 21 Buschblauhäher in ihrem Labor auf und hielten sie in Käfigen, die jeweils durch Plexiglasscheiben voneinander abgetrennt waren. Auf diese Weise konnten sich die Versuchstiere gegenseitig zuschauen, wie sie die ihnen angebotenen Würmer in mit Sand gefüllten Kammern versteckten. Während einige Vögel bereits in früheren Experimenten Nahrung ihrer Artgenossen entwendet hatten, wiesen die anderen keine kriminelle Vergangenheit auf.

Als die Forscher jenen diebischen Vertretern den Zugang zu den Kammern ihrer Nachbarn gewährten, holten die Tiere schnell deren Würmer hervor. Zudem befürchteten sie unter den Blicken ihrer Artgenossen augenscheinlich selbst ihrer Nahrungsvorräte beraubt zu werden: Wiederholt gruben die gefiederten Langfinger ihre eigenen Würmer wieder aus und verbargen sie aufs Neue – offensichtlich in der Hoffnung, nun ein vor den Mitkonkurrenten unbemerktes Versteck gewählt zu haben.

Verwehrte jedoch ein Tuch über den Plexiglasscheiben potentiellen Beobachtern der Blick auf die Vorratskammern der stehlenden Nachbarn, so empfanden letztere ihre Verstecke offenbar als sicher und ließen sie, wo sie waren.

"Ehrliche" Vögel, die sich in der Vergangenheit keine fremde Nahrung angeeignet hatten, erwiesen sich als weit weniger misstrauisch und beließen ihr Futter in den ursprünglichen Verstecken. Offensichtlich befürchteten sie im Gegensatz zu ihren plündernden Verwandten nicht, selbst Opfer eines Diebstahls zu werden.

Bislang gingen die Forscher davon aus, dass Tiere lediglich auf die Gegenwart fixiert sind, doch das nun enthüllte Verhalten der Buschblauhäher legt andere Schlussfolgerungen nahe. Vermutlich sind jene Vögel zu einer Art "geistigen Zeitreise" in der Lage, indem sie vergangene Erfahrungen auf die Zukunft zu übertragen vermögen und ihr Verhalten dementsprechend anpassen.

Darüber hinaus scheinen sie ein gewisses Bewusstsein für das mögliche Verhalten ihrer Artgenossen entwickelt zu haben – ein Bewusstsein, das bisher nur dem Menschen zugeschrieben wurde. Sara Shettleworth von der University of Toronto zeigt sich jedoch skeptisch: Selbst bei unseren nächsten Verwandten, den Primaten, ist es äußerst umstritten, ob sie die Psychologie anderer verstehen. Zudem haben die Vögel ihr ganzes Leben in Gefangenschaft verbracht und zeigen möglicherweise ein unnatürliches Verhalten, gibt sie zu bedenken.

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