Chronobiologie: Mit den Hühnern eher auf dem Land
Morgens um sechs ist die Welt noch in Ordnung? Das halten viele für ein Gerücht, die dann schon wach und ansprechbar sein müssen. Je nach innerer Uhreinstellung ist für manche sechs sogar gefühlte fünf - nur glaubt ihnen die unerbittliche Uhr das nicht. Zeitforscher halten das für eine unterschätztes Problem und untermauern die Befürchtung nun mit Daten aus allen Ecken Deutschlands.
Was dem Winter – wir haben übrigens gerade einen – außer Schnee und Kälte fehlt, ist Tageslicht. Und so kann dem modernen Großraumbüro-Nomaden zwischen München und Duisburg durchaus passieren, wochentagelang keine Sonne zu sehen: Morgens vor Sonnenaufgang zum Bus, abends im Dunkeln die Haustürschlüssel hervorfummeln. Wobei es da zwischen München und Duisburg allerdings einen kleinen Unterschied gibt: Wenn der Bayer um acht Uhr morgens schon fast im Hellen an der Haltestelle steht, muss sein Kollege im Ruhrpott zur selben Zeit noch etwa eine halbe Stunde warten, bis die Sonne sich endlich über den Horizont quält. Auch wenn morgens um acht also morgens um acht ist: München ist eben nicht Duisburg. Erdkundler erklären dies mit der geografischen Länge und der Neigung der Erdachse.
Man könnte vielmehr feststellen, dass München im Winter eher ist wie, sagen wir, Görlitz. Denn rein morgengrauentechnisch kommen sich die selbsternannte nördlichste Stadt Italiens und der tatsächlich östlichste Ort Deutschlands in Sachsen recht nahe: Sonnenaufgang war am 23. Januar in beiden Orten knapp zehn vor acht. Till Roenneberg und seine Forscherkollegen belegen nun allerdings unter anderem, warum sich in mancher Hinsicht München am morgen für seine Bewohner doch mehr nach Duisburg anfühlt als nach Görlitz.
Besonders gespannt waren die Forscher dabei eben auf Unterschiede, die zwischen München, Görlitz, Duisburg und den ganzen anderen großen und kleinen Wohnorten der Fragebogen-Ausfüller auffielen. Aus denen musste ja unter anderem abzulesen sein, ob die halbe Stunde, die zwischen dem Sonnenaufgang in Sachsen und Westfalen liegen kann, sich in den Chronotypen der dort lebenden Menschen niederschlägt.
Steht man also in Regensburg generell lieber etwas früher auf als in Recklinghausen? Dies muss eigentlich so sein, denn längst ist die Rolle geklärt, die die Sonne als lichtspendender "Zeitgeber" der inneren Uhr spielt: Licht am Morgen bestätigt dem Körper den Beginn des Tages, an den tagaktive Wesen ihren zirkadianen 24-Stunden-Rhythmus idealerweise anlehnen sollten. Licht, das zum Beispiel nach einer Flugreise nach Chicago plötzlich an einem gefühlten Abend blendet, sorgt nach und nach für das Umstellen von Körpergefühl und zirkadianer Tagesrhythmik auf die geänderten Verhältnisse. Dieses Nachjustieren der inneren Uhr klappt selbst in dieser von der Evolution wohl kaum bedachten Extremsituation meist trotzdem ziemlich gut – nach einer als Jetlag gefühlten Übergangsfrist.
Die moderne Arbeitswelt verlangt aber von vielen, den natürlichen Zeitgeber Sonnenlicht zu ignorieren – der Beginn der Frühschicht ist eben in Duisburg und Görlitz um fünf, und Nachtdienste im Krankenhaus sollen den hellen Morgen gleich ganz zum Abend machen. Das fordert, wie Chronobiologen schon seit längerer Zeit folgenlos beklagen, nicht selten seelischen und körperlichen Tribut – erstaunlich oft aber gelingt es dem anpassungsfähigen Körper sogar. Es muss demnach auch "soziale" Zeitgeber geben, die den natürlichen Zeitgeber Licht im Notfall ausstechen können. Vielleicht, so fragte sich Roennebergs Team vor der Fragebogen-Auswertung, überlagern solche menschengemachten gesellschaftlichen Stellschrauben der inneren Uhr ja deutschlandweit sogar den Effekt, den die frühen und späten Sonnenaufgänge von Ost bis West auf die Deutschen haben?
Dass dies in Großstädten geschieht, liege wohl hauptsächlich an der dort in Büroräumen und Shoppingmalls hinter Kunstlicht schwindenden Bedeutung der Sonne, wodurch der Zeitgeber Licht insgesamt zunehmend vage Aussagen über den Tagesbeginn macht. Untersuchungen hatten schon zuvor zeigen können, dass bei einem Mangel an Nachjustier-Reizen die zirkadiane Rhythmik nach und nach gen Abend verschiebt – was aus den Daten der urbanen Zentren tatsächlich auch herauszulesen war.
Insgesamt sollte in Schulen und Betrieben mehr Rücksicht auf den individuellen Chronotyp der Menschen genommen werden, meinen Roenneberg und Kollegen. Wichtig ist dies natürlich in Ballungsgebieten – besonders aber auch außerhalb der zwanzig größten Städte in den dünner besiedelten Regionen, in denen insgesamt über 80 Prozent aller Deutschen wohnen. Je weniger die gerade hier für zirkadiane Rhythmen bestimmende lokale Sonnenzeit mit der per Zeitzone festgelegten künstlichen Ortszeit übereinstimmt, desto weniger dürften dann auch der an der Normzeit orientierte Anspruch des Gesellschaft und das eigene Körpergefühl übereinstimmen.
Görlitz hat es, so gesehen, übrigens ziemlich gut erwischt: Als Bezugspunkt für die künstliche "Mitteleuropäische Zeit" gilt der 15. östliche Längengrad, und genau hier wurde daher, bevor die Atomuhr in Mode kam, die maßgebliche "mittlere Ortszeit" der Zone auch festgelegt. In Deutschland geschah dies tatsächlich regelmäßig in Görlitz, das genau auf dem gefragten Meridian liegt – und daher sind lokale Sonnenzeit und Mitteleuropas mittlere Kunstzeit hier auch identisch. Isenbruch und sein Umland hinken da 36 Minuten nach.
Man könnte vielmehr feststellen, dass München im Winter eher ist wie, sagen wir, Görlitz. Denn rein morgengrauentechnisch kommen sich die selbsternannte nördlichste Stadt Italiens und der tatsächlich östlichste Ort Deutschlands in Sachsen recht nahe: Sonnenaufgang war am 23. Januar in beiden Orten knapp zehn vor acht. Till Roenneberg und seine Forscherkollegen belegen nun allerdings unter anderem, warum sich in mancher Hinsicht München am morgen für seine Bewohner doch mehr nach Duisburg anfühlt als nach Görlitz.
Roenneberg, selbst in München an der Ludwig-Maximilians- Universität, ist Chronobiologe und erforscht zusammen mit europäischen Kollegen die schädlichen Folgen die es haben kann, wenn Tageszeiten, Arbeitszeiten und die inneren Uhren nicht synchron laufen. Dazu werteten die Wissenschaftler nun Datenmaterial aus, das ihnen 21 000 Freiwillige quasi nebenbei beim Ausfüllen eines umfangreichen Fragebogens geliefert hatten, in dem sie Details über ihre Schlaf- und Aufstehgewohnheiten und die hiervon abhängige persönliche Tagesformkurve machten. Die Teilnehmer aus allen Regionen Deutschlands erfuhren durch die Auswertung, zu welchem "Chronotyp" sie persönlich zählen – wie also ihre persönliche innere Uhr gestellt ist und sie zum bevorzugten Frühaufsteher oder Spätzubettgeher stempelt. Roenneberg und Co kann der Datensatz noch einige Antworten mehr liefern.
Besonders gespannt waren die Forscher dabei eben auf Unterschiede, die zwischen München, Görlitz, Duisburg und den ganzen anderen großen und kleinen Wohnorten der Fragebogen-Ausfüller auffielen. Aus denen musste ja unter anderem abzulesen sein, ob die halbe Stunde, die zwischen dem Sonnenaufgang in Sachsen und Westfalen liegen kann, sich in den Chronotypen der dort lebenden Menschen niederschlägt.
Steht man also in Regensburg generell lieber etwas früher auf als in Recklinghausen? Dies muss eigentlich so sein, denn längst ist die Rolle geklärt, die die Sonne als lichtspendender "Zeitgeber" der inneren Uhr spielt: Licht am Morgen bestätigt dem Körper den Beginn des Tages, an den tagaktive Wesen ihren zirkadianen 24-Stunden-Rhythmus idealerweise anlehnen sollten. Licht, das zum Beispiel nach einer Flugreise nach Chicago plötzlich an einem gefühlten Abend blendet, sorgt nach und nach für das Umstellen von Körpergefühl und zirkadianer Tagesrhythmik auf die geänderten Verhältnisse. Dieses Nachjustieren der inneren Uhr klappt selbst in dieser von der Evolution wohl kaum bedachten Extremsituation meist trotzdem ziemlich gut – nach einer als Jetlag gefühlten Übergangsfrist.
Die moderne Arbeitswelt verlangt aber von vielen, den natürlichen Zeitgeber Sonnenlicht zu ignorieren – der Beginn der Frühschicht ist eben in Duisburg und Görlitz um fünf, und Nachtdienste im Krankenhaus sollen den hellen Morgen gleich ganz zum Abend machen. Das fordert, wie Chronobiologen schon seit längerer Zeit folgenlos beklagen, nicht selten seelischen und körperlichen Tribut – erstaunlich oft aber gelingt es dem anpassungsfähigen Körper sogar. Es muss demnach auch "soziale" Zeitgeber geben, die den natürlichen Zeitgeber Licht im Notfall ausstechen können. Vielleicht, so fragte sich Roennebergs Team vor der Fragebogen-Auswertung, überlagern solche menschengemachten gesellschaftlichen Stellschrauben der inneren Uhr ja deutschlandweit sogar den Effekt, den die frühen und späten Sonnenaufgänge von Ost bis West auf die Deutschen haben?
Die Forscher präsentieren darauf nun gleich zwei Antworten: Ja und Nein. Zum einen ist eindeutig der erwartete Einfluss des unterschiedlichen Tagesbeginns auszumachen: Im Osten ist von Rügen bis Reit im Winkel der Durchschnitt aller Chronotypen ein wenig früher dran als im Westen Deutschlands. Die innere Zeit der Menschen ist also wirklich an die lokale, von der Sonne vorgegeben Zeit angepasst. Wobei dies aber, zweiter Teil der Erkenntnis, nur für Kleinstädter gilt, also etwa beim Vergleich der etwa 60 000 Görlitzer mit den rund 270 Isenbruchern, die im westlichsten Dorf Deutschland an der belgischen Grenze wohnen. In den insgesamt 20 Städten mit mehr als 300 000 Einwohnern ist dagegen ein zunehmend schwindender Einfluss der geografischen Lage auf die Tagesrhythmik nachweisbar. Wohnt man im dicht besiedelten München oder dem Ruhrgebiet, dann überlagern offensichtlich soziale Zeitgeber die natürlichen, vom Sonnenlauf vorgegebenen Reize, schlussfolgern Roenneberg und seine Kollegen.
Dass dies in Großstädten geschieht, liege wohl hauptsächlich an der dort in Büroräumen und Shoppingmalls hinter Kunstlicht schwindenden Bedeutung der Sonne, wodurch der Zeitgeber Licht insgesamt zunehmend vage Aussagen über den Tagesbeginn macht. Untersuchungen hatten schon zuvor zeigen können, dass bei einem Mangel an Nachjustier-Reizen die zirkadiane Rhythmik nach und nach gen Abend verschiebt – was aus den Daten der urbanen Zentren tatsächlich auch herauszulesen war.
Insgesamt sollte in Schulen und Betrieben mehr Rücksicht auf den individuellen Chronotyp der Menschen genommen werden, meinen Roenneberg und Kollegen. Wichtig ist dies natürlich in Ballungsgebieten – besonders aber auch außerhalb der zwanzig größten Städte in den dünner besiedelten Regionen, in denen insgesamt über 80 Prozent aller Deutschen wohnen. Je weniger die gerade hier für zirkadiane Rhythmen bestimmende lokale Sonnenzeit mit der per Zeitzone festgelegten künstlichen Ortszeit übereinstimmt, desto weniger dürften dann auch der an der Normzeit orientierte Anspruch des Gesellschaft und das eigene Körpergefühl übereinstimmen.
Görlitz hat es, so gesehen, übrigens ziemlich gut erwischt: Als Bezugspunkt für die künstliche "Mitteleuropäische Zeit" gilt der 15. östliche Längengrad, und genau hier wurde daher, bevor die Atomuhr in Mode kam, die maßgebliche "mittlere Ortszeit" der Zone auch festgelegt. In Deutschland geschah dies tatsächlich regelmäßig in Görlitz, das genau auf dem gefragten Meridian liegt – und daher sind lokale Sonnenzeit und Mitteleuropas mittlere Kunstzeit hier auch identisch. Isenbruch und sein Umland hinken da 36 Minuten nach.
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