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News: Mit Hochdruck

Was haben ein Arzt und das von ihm bekämpfte Virus gemeinsam? Richtig - beide wollen ihr Ziel durch eine Injektion erreichen. Und dabei gehen beide nach dem gleichen Prinzip vor: Sie machen Druck.
Phage T4
Gleich ist es soweit: Die Kanüle der Spritze durchstößt Haut und Gefäßwand der Patientin. Genau wie der Bakteriophage Lambda, der an sein Opfer andockt und mittels Enzymen die Umhüllung der Bakterienzelle öffnet. Würden die Prozesse an dieser Stelle gestoppt, wäre das fatal: Der Arzt könnte seinen Impfstoff, der Phage sein Erbgut nicht loswerden. Denn was beiden noch fehlt, ist der richtige Druck.

In der Theorie glaubt die Wissenschaft schon lange an die Schlüsselrolle, die der Druck bei der viralen Injektion von Erbgut spielt. Die experimentelle Überprüfung dieser Hypothese stößt aber auf Probleme: Jeder Physiker könnte leicht den Druck in einer Spritze bestimmen – doch wie lässt sich der Druck in Innern eines winzigen Virus-Partikels messen?

Alex Evilevitch von der University of California und seine Kollegen fanden die Lösung: Sie veranlassten Viren durch spezielle Signalproteine, ihre DNA-Fracht ohne Anwesenheit von Wirtszellen im Reagenzglas abzugeben. In verschiedenen Versuchsansätzen erhöhten sie dabei die Konzentration eines osmotisch wirksamen Stoffes in der wässrigen Viren-Lösung. Je höher der osmotische Druck, desto größer würde auch die Kraft, die sich dem DNA-Ausstoß entgegenstemmte.

Und tatsächlich wurde die ausgestoßene DNA-Menge bei steigendem osmotischen Druck immer geringer. Doch erst bei einem Druck von mehr als 2000 Kilopascal – das entspricht etwa dem 20fachen Druck der Erdatmosphäre – konnten die Viren ihre DNA überhaupt nicht mehr abgeben.

Wie erzeugen Viren diesen enormen Druck? Evilevitch und seine Mitarbeiter gehen davon aus, dass die extrem dichte Packung der DNA-Moleküle im Innern der Virenhülle dafür verantwortlich ist. Durch die geringen Abstände der Ketten des gefalteten Moleküls entstehen starke Abstoßungskräfte. Diese Kräfte müssen beim Verpacken der DNA durch die Arbeit eines vom Wirt erzeugten Motorproteins aufgebracht werden. Und dies sind die gleichen Kräfte, die bei der Injektion des Erbguts in die nächste Wirtszelle eingesetzt werden können, um gegen den osmotischen Druck des Bakteriums anzukommen.

Im Druck der Virenkapsel wird also die Arbeit des vorigen Wirtes gespeichert und mit zum Ort der nächsten Infektion transportiert. Ein raffinierter Mechanismus, denn das Virus kann selbst ja keine Arbeit leisten: Ohne einen Stoffwechsel fehlt ihm auch die Möglichkeit, Energieträger zu erzeugen und umzusetzen.

Und während der Arzt schließlich doch auf die Kraft seines Daumens zurückgreifen muss, um die Spritze zu verabreichen, kann sich das Virus getrost darauf verlassen, dass für ihn bereits alle Arbeit erledigt wurde.

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