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Hypnose: Behandlung unter Trance

Lassen sich Schmerzen, Ängste und chronische Beschwerden allein durch Hypnose lindern? Ärzte setzen vermehrt auf die Macht der Suggestion.
Hypnotisiertes Auge

Es war ein ganz besonderer Gesang, mit dem Alama Kante 2014 die Weltöffentlichkeit bewegte. Der Französin musste wegen eines erhöhten Krebsrisikos die Schilddrüse entfernt werden. Einen solchen Eingriff führen Chirurgen normalerweise unter Vollnarkose durch. Doch Kante war professionelle Sängerin, und die Operation hätte leicht ihre Stimmbänder schädigen können. Deshalb entschied sie sich zusammen mit ihrem Anästhesisten im Hôpital Henri Mondor in Créteil bei Paris zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie würde eine lokale Betäubung erhalten – zusammen mit einer Hypnosedierung. Die gesamte Operation hindurch blieb Alama Kante wach, sang traditionelle afrikanische Folklore und teilte dem Ärzteteam so mit, wie es um ihre Stimmbänder stand. Der Bericht der singenden Frau auf dem Operationstisch ging durch die Medien. Es habe sich angefühlt, als hätte sie den Eingriff nur geträumt, sagte die Sängerin danach in Interviews. Sie habe zwar Schmerzen gespürt, doch diese seien ihr weit weg vorgekommen, fast so, als hätten sie nichts mit ihr zu tun.

Spektakuläre Berichte wie diese zeigen, wie machtvoll eine Hypnose sein kann. So manchem sind die Effekte aber nicht ganz geheuer. Die Vorstellung, dass Hypnotiseure die Kontrolle über Menschen übernehmen und sie ihrem Willen unterwerfen, hält sich hartnäckig. Dabei hat das, was heute in der medizinischen Hypnose passiert, das Gegenteil zum Ziel: Der Patient schlüpft aus seiner passiven, ausgelieferten Rolle in eine Situation, in der er aktiv an der Behandlung teilnimmt.

Richtig eingesetzt fördert die Methode immense Kräfte im Körper zu Tage. Sie kann Heilungsprozesse beschleunigen, körperliche Leiden erträglicher machen und den Einsatz von Medikamenten reduzieren. Profitieren könnten davon viele: nervöse Zahnarztpatienten, Gebärende, Krebskranke, Menschen mit schweren Brandverletzungen. Auch bei psychosomatischen Leiden, deren körperliche Symptome durch seelische Prozesse aufrechterhalten werden, hilft Hypnose. Sie lindert etwa Fibromyalgie – eine Krankheit, die heftige Schmerzen überall im Körper auslöst und zu großer Erschöpfung und Konzentrationsproblemen führt – und hilft Menschen mit Neurodermitis, Migräne, Reizdarmsyndrom sowie anderen chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.

Patienten mit solchen Beschwerden stehen oft vor Winfried Häusers Tür. Es sind schwere Fälle, die der Internist seit über 40 Jahren am Klinikum Saarbrücken behandelt. Manche Betroffene essen kaum noch, weil ihr Körper auf jegliche Nahrung mit Krämpfen, Blähungen oder Durchfall reagiert. Andere finden trotz enormer Erschöpfung nur unzureichend Schlaf, weil ihre Schmerzen so überwältigend sind. Medizinische Hypnose bietet ihnen eine Chance auf Linderung.

Was passiert bei der Hypnosebehandlung?

Natürlich fragen die Patienten, wie die Behandlung denn genau funktioniert. Häuser erklärt ihnen, was man bereits weiß: Obwohl ihr Name vom griechischen »hypnos« (Schlaf) kommt, ist die Hypnose doch etwas anderes. Mit verschiedenen Techniken (siehe Bildunterschrift »Der Weg in die Trance«) hilft der Hypnotiseur einer Person, in eine so genannte Trance zu gleiten. Darunter versteht man einen tief entspannten Wachzustand, bei dem der Geist hoch konzentriert, jedoch stark nach innen gerichtet ist. Wie der Strahl einer Taschenlampe wird das Bewusstsein für die Dauer der Trance auf einen kleinen Teil dessen, was passiert, fokussiert. Alles andere liegt im Dunkeln, verliert an Bedeutung.

Dem liegt eine natürliche Fähigkeit des Gehirns zu Grunde, die wohl jeder schon einmal erlebt hat: das Gefühl, sich so sehr auf eine Tätigkeit zu konzentrieren, dass man sich darin verliert. Der starke Fokus verändert die Wahrnehmung. Das kann bei einem Wettrennen passieren, wenn man alle mentalen Kräfte auf die Zielgerade richtet. Oder beim Computerspielen, wenn man verbissen versucht, einen Gegner zu besiegen. Ganz in die Aufgabe vertieft, spürt man vielleicht gar nicht, wie es beim Laufen im Bein zwickt oder dass man beim Spielen eigentlich schon längst dringend eine Toilettenpause bräuchte. Das Gefühl von Zeit und Raum kann verloren gehen – zum Beispiel, wenn man unterwegs für eine wichtige Prüfung büffelt und deshalb im Bus gedankenverloren am Ziel vorbeifährt.

Der Weg in die Trance | Am Anfang jeder Hypnose steht die so genannte Induktion: Der Hypnotiseur versetzt den Patienten in Trance, um ihn für die nachfolgenden Suggestionen empfänglich zu machen. Dafür gibt es verschiedene Techniken. Einige nutzen Blickfixation – der Patient fokussiert einen Punkt, bis dieser »verschwimmt«. Ein Pendel kann dabei helfen, doch die Methode funktioniert auch, wenn der Behandelte seinen Referenzpunkt selbst wählt. Der Arzt begleitet den Prozess verbal und führt den Patienten mit gezielten Rückmeldungen tiefer in die Trance. Alternativ kann der Hypnotiseur eine Verwirrungstaktik nutzen. Eine skurrile Geschichte, die der Patient sich bildhaft vorstellen soll, reicht mitunter aus, um eine leichte Trance zu erzeugen. Vertieft wird sie dann durch immer mehr eingestreute Suggestionen. Zusätzlich gibt es nonverbale Techniken, die oft mit Körperkontakt arbeiten. Alle Methoden lenken die Aufmerksamkeit des Behandelten nach innen und sollen ihm zugleich zu körperlicher Entspannung verhelfen. Welche Induktionstechnik der Arzt einsetzt, hängt unter anderem von seiner Erfahrung und seinen Vorlieben ab. Eine Rolle spielt aber auch die Hypnotisierbarkeit des Patienten, wie schnell die Trance herbeigeführt werden soll und wie tief ein Mensch für die Behandlung in ihr versinken muss.

Einen solchen Trancezustand wollen Ärzte wie Winfried Häuser mit der Hypnose hervorrufen. Gedanken, Gefühle und körperliche Reaktionen sind dann nämlich besser zugänglich und lassen sich durch bildhafte Vorstellungen beeinflussen. Häuser schlägt seinen Reizdarmpatienten unter Hypnose etwa ein Bild vor, in dem Glückshormone vom Gehirn zum Bauch geschickt werden und den Schmerz vertreiben. Jenen, die unter Fibromyalgie leiden, rät er zum Beispiel, sich die Schmerzen als Schalter vorzustellen und diese einfach umzulegen. Welches Bild es konkret ist und ob es physiologisch korrekt ist, spielt nur eine untergeordnete Rolle – der Körper schüttet die entsprechenden Hormone und Neurotransmitter aus und setzt den Vorgang richtig um.

Natürlich kann sich der Patient die intensiven Bilder – Experten nennen sie Suggestionen – auch einfach so vorstellen. Doch unter Hypnose sind sie viel wirksamer. Das Gehirn wehrt sich dann nicht mit »Das klappt eh nicht« oder »So was kann ich nicht« – das Bild, der Gedanke oder das Gefühl fühlt sich schlicht real an. Untersuchungen zeigen, dass sich unter Hypnose mittels Suggestionen körperliche Reaktionen steuern lassen, die im Wachzustand kaum zugänglich sind, wie der Speichelfluss oder die Durchblutung der Haut.

Fast alle Menschen können hypnotisiert werden, wenn sie sich darauf einlassen und dem Arzt oder Therapeuten vertrauen. Nur bei ungefähr zehn Prozent ist es schwierig bis unmöglich, sagt Häuser. Zwar sind immer einige Patienten mehr und andere etwas weniger empfänglich für Suggestionen. Ein erfahrener Hypnotiseur schafft es jedoch, für so gut wie jeden einen passenden Zugang zu finden. 10 bis 20 halbstündige Sitzungen reichen Winfried Häusers Erfahrung nach aus, damit Patienten mit chronischen Leiden spüren: Das hilft mir wirklich. Zu Hause üben sie dann weiter, etwa mit Hilfe einer CD mit Tonaufnahmen der Sitzungen.

Wie der Strahl einer Taschenlampe wird das Bewusstsein für die Dauer der Trance auf einen kleinen Teil dessen, was passiert, fokussiert

Über die Wirksamkeit der medizinischen Hypnose veröffentlichte Häuser 2016 im »Deutschen Ärzteblatt« zusammen mit Kollegen vom Universitätsklinikum Regensburg und der Ludwig-Maximilians-Universität München eine systematische Übersicht von Metaanalysen. Insgesamt fünf solcher Arbeiten, die im Zeitraum zwischen 2005 und 2015 in Fachzeitschriften veröffentlicht worden waren und Ergebnisse von jeweils mindestens 400 Patienten enthielten, werteten sie aus. Zusammengenommen zeigten die Studien: Hypnosen reduzierten bei medizinischen Eingriffen und Operationen Schmerzen sowie die emotionale Belastung. Menschen mit Reizdarmsyndrom schilderten eine Linderung ihrer Symptome. Ärzte benötigten im Schnitt weniger Zeit für Eingriffe, sie mussten weniger Medikamente verschreiben, und die Patienten wurden etwas schneller gesund. »Die medizinische Hypnose ist eine wirksame und sichere komplementäre Methode bei medizinischen Eingriffen und Reizdarmbeschwerden«, schlussfolgern die Autoren um Häuser.

Das Wort »komplementär« ist dabei sehr wichtig, findet Ernil Hansen, der ebenfalls an der Analyse beteiligt war. Bis zu seiner Emeritierung arbeitete und forschte der Professor und Oberarzt für Anästhesie am Uniklinikum Regensburg. Noch heute bildet er dort junge Ärzte in medizinischer Hypnose aus. Für ihn sind die besten Anwendungsgebiete dieser Methode jene, bei denen man mit regulären Behandlungen nicht weiterkommt oder nur unzureichende Erfolge erzielt. »Dort, wo die Medizin bisher keine Lösungen hat, hilft die Hypnose«, sagt er. Als Ersatz für eine Lokalanästhesie, etwa beim Zahnarzt, brauche man sie nur sehr selten, denn »die Schmerzen hat man mit einer lokalen Betäubung gut im Griff. Aber was macht der Zahnarzt, wenn der Patient vor lauter Panik den Mund erst gar nicht öffnet?« In solchen Situationen würde die Hypnose eine Behandlung überhaupt erst möglich machen.

Am Uniklinikum Regensburg setzte Hansen die Technik unter anderem bei Wachkraniotomien ein. Das sind Operationen am Gehirn, in deren Verlauf der Patient für neurologische Tests aus der Vollnarkose geweckt werden muss. Auf diese Weise können Ärzte zum Beispiel Hirnschrittmacher bei Parkinsonkranken so einsetzen, dass die Geräte Zittern und Muskelstarre unterbinden, andere Körperfunktionen aber möglichst nicht stören. Auch bei der Operation von Hirntumoren nahe der Sprachregion nutzen Chirurgen die Methode. Nachdem sie die Schädeldecke geöffnet haben, wecken die Operateure dazu den Patienten und lassen ihn sprechen, während sie weiterarbeiten. So wissen sie jederzeit, welches Gewebe sie entfernen können und wo sie besonders vorsichtig sein müssen.

Solche Eingriffe sind aufwändig und benötigen große Mengen an Narkose- und Schmerzmitteln. Ernil Hansen versuchte es anders. Er legte die Medikamente für die Vollnarkose bereit, für alle Fälle, und versuchte es zuerst mit einer Hypnose. Die Patienten bekamen eine lokale Betäubung, um den Schmerz beim Öffnen der Schädeldecke zu lindern. Zwar gibt es im Gehirn selbst keine Schmerzrezeptoren, in der Kopfhaut und im Schädelknochen aber sehr wohl. Etwa 150 Patienten hat Hansen so durch Hirnoperationen begleitet, weitere 150 kamen nach und nach durch andere Ärzte am Regensburger Klinikum hinzu. Obwohl ein derartiger Eingriff mental sehr fordernd ist – schließlich dauert die Prozedur fünf, manchmal sechs Stunden, in denen der Kopf des Behandelten durchgehend fixiert ist –, war der Ansatz ein Erfolg. Die hypnotisierten Patienten überstanden die Operation gut, und keiner von ihnen benötigte eine Vollnarkose.

Wie gingen die Ärzte dabei vor? Das Wort Hypnose fiel jedenfalls nicht. Das hätte Vorbehalte und Ängste geschürt, erläutert Hansen. Bei Bühnenhypnosen sei es oft um den Hypnotiseur und seine autoritäre und mitunter manipulative Funktion gegangen – das hat das Bild der Hypnose negativ geprägt. Und es war auch gar nicht nötig, seinen Patienten zu erklären, dass das in der medizinischen Hypnose anders ist: Hansen zeigte es ihnen einfach.

Wenn der Geist in den Überlebensmodus wechselt

Er nutzte dafür eine weitere Eigenart des Bewusstseins: In Situationen, in denen man Leib und Leben gefährdet glaubt, setzt bei Menschen eine natürliche Trance ein. Sie dient als Schutzmechanismus, der sicherstellt, dass man sich von einer schmerzhaften oder sehr bedrohlichen Erfahrung mental distanzieren kann. Der Betroffene scheint dann abwesend oder »neben sich zu stehen«, manchmal hat er sogar das Gefühl, seinen Körper zu verlassen. Vor einer Operation, wie sie Hansens Patienten durchliefen, stellt sich unweigerlich dieser dissoziative Zustand ein, sagt er. Der Anästhesist brauche ihn nur aufzugreifen.

Hansen legte eine Hand auf die Schulter des Patienten, mit der anderen nahm er dessen Hand. Beides vermittelt das Gefühl, begleitet zu werden, sich fallen lassen zu können. Dann schickte er den Patienten auf eine innere Reise, an einen sicheren Ort, weit weg vom bedrohlichen Operationstisch. Er fragte ihn etwa nach dem letzten Urlaub, ließ sich erzählen, wie die warme Sonne auf der Haut gekitzelt hat und wie erfrischend kühl der Pool gewesen war. Er erkundigte sich nach Farben oder Gerüchen: Je sinnlicher die Erinnerung war, umso mehr versank die Person in Trance. Dann konnte es passieren, dass Hansen im gleichen Moment, in dem die Schädeldecke aufgebohrt wurde, den entspannt wirkenden Patienten fragte: »Und, was machen Sie gerade?« Und der antwortete: »Ich stehe an der Bar und mixe mir einen Cocktail.«

Was während der Hypnose im Gehirn passiert

Welche Hirnregionen reagieren auf eine Hypnose? Forscher um Heidi Jiang von der Northwestern University in Chicago untersuchten die neuronale Aktivität von 57 Probanden mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT). Drei größere Veränderungen zeigten sich. So sank die Aktivität im dorsalen anterioren Gyrus cinguli – einem Bereich des Gehirns, der entscheidet, wie stark man auf äußere Reize reagiert. Die Probanden waren also tief versunken und nach innen fokussiert. Gleichzeitig war die Aktivität in den Nervenbahnen zwischen dem präfrontalen Kortex und der Inselrinde erhöht. Das steht den Forschern zufolge für eine verstärkte Verarbeitung und Steuerung dessen, was im Körper geschieht. Zwischen dem präfrontalen Kortex und dem Default-Mode-Netzwerk – den Bereichen des Gehirns, die beim Nichtstun aktiv sind – maßen sie hingegen weniger Aktivität. Ein Hinweis darauf, so die Wissenschaftler, dass die Reflexion über das eigene Handeln unter Hypnose nachlässt. Der innere Kritiker leistet weniger Widerstand gegen neue Gedanken, und man lässt sich leichter von anderen leiten.

Ein Umdeuten von Sinneseindrücken wie hier, wo der Lärm einer Knochensäge zu Mixergeräuschen wurde, nennen Experten Reframing. Zusammen mit örtlicher und zeitlicher Distanzierung zeigt es an, dass die Hypnose funktioniert. Auch physiologische Parameter geben Aufschluss: ein nachlassender Muskeltonus zum Beispiel oder eine sinkende Herzfrequenz und ein normalisierter Blutdruck.

Bei Hansens Operationen konnte jeder Behandelte seinen eigenen sicheren Ort wählen. Der Arzt half dem Betreffenden nur dabei, ihn zu erkunden und auf sich wirken zu lassen. Es konnte ein fliegender Zauberteppich sein oder der Sessel zu Hause mit der Katze, die schnurrende Behaglichkeit ausstrahlte. Oder die U.S. Route 1, auf der ein Motorradfahrer zutiefst entspannen konnte – und sich über jedes laute Bohrgeräusch freute, weil seine Maschine dann so richtig aufdrehte.

Dass der Patient im Mittelpunkt steht, ist für Hansen das Wesentliche. Die Hypnose hole ihn aus der passiven Rolle. Was den Arzt überrascht hat, ist die Wirkung, die eine unter Hypnose überstandene Operation auf das Selbstbewusstsein der Behandelten hatte. Sie fühlten sich stark und stolz, dass sie es ohne Vollnarkose geschafft hatten. Gerade bei den Krebskranken, die nach dem Eingriff noch Bestrahlung und Chemotherapie vor sich hatten, sei das auffällig gewesen: Sie sahen der normalerweise sehr angstbelasteten Behandlung danach entspannter entgegen, meint der Arzt.

Ernil Hansen wünscht sich, dass die Hypnose fest im Studium von Ärzten und Psychologen verankert wird. Nicht jeder müsse sie hinterher anwenden, findet er. Man werde danach jedoch besser verstehen, wie viel Kraft im Patienten steckt, wenn man ihn mit einbezieht. Zumindest in Regensburg müssen angehende Mediziner und Zahnärzte schon verpflichtend Vorlesungen über Hypnose besuchen.

Auch die Psychologin Jenny Rosendahl vom Universitätsklinikum Jena weiß um die Macht der Hypnose. Wie Winfried Häuser hat sie mittels Metaanalyse untersucht, welche Effekte der Behandlung sich über verschiedene Untersuchungen hinweg als zuverlässig herausstellen. Gemeinsam mit Kollegen ihres Klinikums und der Friedrich-Schiller-Universität Jena wertete sie im Jahr 2013 34 Studien über Hypnose bei Operationen aus, denen sich insgesamt knapp 2600 Probanden unterzogen hatten. Das Ergebnis: Mit der Hypnose waren Patienten im Schnitt emotional weniger belastet, brauchten weniger Medikamente, hatten bessere physiologische Parameter während des Eingriffs und erholten sich danach schneller. Sogar die Dauer der Operation verkürzte sich im Mittel ein wenig.

Gegen die Angst vor dem Zahnarztbesuch

Rosendahl hat sich in jüngerer Zeit zahlreiche Studien angesehen, die Hypnosedierung beim Zahnarzt untersuchten. Hier liegt der womöglich größte Einsatzbereich der Methode in Deutschland: Allein die Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche Hypnose hat nach eigenen Angaben hier zu Lande zirka 3000 Personen in der Technik ausgebildet und zertifiziert. Auf ihrer Website führt sie mehr als 600 Zahnärzte auf, die diese Leistung in ihrer Praxis anbieten. »Zahnärztliche Eingriffe sind sehr häufig, und der Bedarf an nichtmedikamentösen Interventionen zur Angstreduktion ist groß«, erklärt Rosendahl. »Schließlich gehen viele Menschen mindestens mit Unbehagen zum Zahnarzt.« Neben jenen Patienten, die panische Angst haben, gibt es solche, die Lokalanästhetika nicht vertragen oder bei der Untersuchung einen starken Würgereiz verspüren. Hypnose kann zwar ihnen nicht die Schmerzen nehmen, dafür aber ihre emotionale Belastung deutlich senken. Das bestätigte Jenny Rosendahls Metaanalyse von 29 Studien im Jahr 2018.

Mit ihren Kollegen fasste die Psychologin außerdem Ergebnisse von 21 Untersuchungen mit 660 Patienten zur Wirkung von Hypnose bei schmerzhaften Brandverletzungen zusammen. Auch hier zeigte sich: Das Verfahren reduzierte die Angst der Patienten und minderte deutlich ihr Schmerzerleben.

»Dort, wo die Medizin bisher keine Lösungen hat, hilft die Hypnose«Ernil Hansen, Uniklinikum Regensburg

Zahlreiche Einzelstudien untersuchten Hypnose in anderen Gebieten der Medizin. Einige prüften den Nutzen der Technik in der Geburtshilfe und lieferten viel versprechende Befunde. Am Klinikum Frankfurt Höchst wird das Verfahren bereits regelmäßig bei der Entbindung eingesetzt. Nach Angaben des Krankenhauses konnte der Einsatz von Schmerzmitteln im Kreißsaal reduziert werden. Auch bei der Behandlung von Krebskranken zeichnen Untersuchungen ein positives Bild: Eine 2017 von Forschern der Université de Liège in Belgien veröffentlichte klinische Studie an 123 Brustkrebspatientinnen zeigt zum Beispiel, dass hypnotisierte Probandinnen nach Behandlungen wie der Chemotherapie oder der Entfernung von Gewebe weniger Schmerzen oder Übelkeit verspürten und seltener über Erschöpfung klagten.

In vielen Bereichen gebe es noch Bedarf an guten Studien und darauf aufbauenden Metaanalysen, sagt Jenny Rosendahl. »Die Messlatte für die Studienqualität ist hoch, und klinische Studien müssen zahlreiche Kriterien erfüllen, um belastbare Aussagen zur Wirksamkeit von Interventionen liefern zu können«, erklärt sie. Daran müssen sich Medikamentenstudien genauso orientieren wie Untersuchungen zur Wirksamkeit von Hypnose.

Laut dem Forschungsgutachten der Bundesregierung zur Psychotherapie gehört Hypnose inzwischen zu den fünf erfolgreichsten und am besten untersuchten Therapieverfahren. Seit 2006 ist sie als Heilverfahren anerkannt, und alle Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Hypnosebehandlung. Jenny Rosendahl sieht eine positive Entwicklung; das Image der Hypnose sei mit den Jahren besser geworden. »Mein Eindruck ist, dass die Medizin für nichtmedikamentöse Maßnahmen zur Reduktion von Angst und psychischer Belastung offener geworden ist«, sagt sie. Die bisher gesammelten Erfahrungen zur Wirksamkeit der Hypnose haben sicher einiges dazu beigetragen.

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