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News: Mit Lichtgeschwindigkeit um die Kurve

Rasern geht es so lange gut, wie ihnen nichts und niemand im Weg steht - da machen die ultrahochenergetischen Teilchen der kosmischen Höhenstrahlung keine Ausnahme. Wenn sie mit voller Wucht in die Erdatmosphäre eintreten und dort mit den Luftmolekülen kollidieren, bleibt den Wissenschaftlern nur der daraus resultierende Trümmerregen von Elektronen und Positronen zur Analyse. Vermutlich handelt es sich bei den Teilchen um Protonen, die fast mit Lichtgeschwindigkeit durch das Weltall schießen. Woher sie stammen, konnte bislang niemand sagen, denn in der rückwärtig verlängerten Flugrichtung gibt es keine Objekte, die ein Teilchen mit so viel Energie ausstoßen können. Falls zwei Astrophysiker Recht haben und die Stärke der Magnetfelder zwischen den Galaxien größer ist als angenommen, fliegen die Protonen aber vielleicht gar nicht auf geraden Wegen. Sie könnten dann aus aktiven Galaxien in unserer kosmischen Nachbarschaft stammen.
Die ultraenergiereichen Teilchen der Höhenstrahlung machen den Wissenschaftlern nur das Staunen leicht. Wahrscheinlich handelt es sich bei ihnen um Protonen, doch ihre kinetische Energie von rund 1020 Elektronenvolt ist so groß, dass jeder Taschenrechner behaupten würde, dass sie mit Lichtgeschwindigkeit fliegen. Sie würde theoretisch sogar ausreichen, um eine Glühbirne von 40 Watt eine halbe Sekunde zum Leuchten zu bringen. Könnte das Proton seine Energie vollständig gemäß Einsteins berühmter Formel zu Masse umwandeln, wäre es so schwer wie ein Bakterium.

Den unterhaltsamen Rechnereien steht die schwierige Frage gegenüber, woher die Teilchen kommen könnten. Hochenergetische Protonen müssten mit den Photonen der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung wechselwirken und dabei kräftig an Energie verlieren. Ihr Ursprung dürfte folglich nicht weiter als 50 Megaparsec, also rund 150 Millionen Lichtjahre entfernt liegen. So groß ist etwa der lokale Supercluster von Galaxien, in dem sich unsere Milchstraße befindet. Doch verfolgt man den Weg der Teilchen zurück, so ist keine potentielle Quelle zu entdecken.

Glennys Farrar von der New York University und Tsvi Piran von der Hebrew University in Jerusalem glauben nun, eine mögliche Lösung des Problems gefunden zu haben (Physical Review Letters vom 17. April 2000, Abstract). Als geladene Teilchen reagieren bewegte Protonen auf magnetische Felder, so überlegten die Wissenschaftler. Wenn die Felder zwischen den Galaxien stark genug wären, könnten die Teilchen gebogenen Bahnen folgen und somit aus praktisch jeder Himmelsrichtung zur Erde gelangen.

Die beiden Forscher überprüften also die alte Annahme, dass die Stärke extragalaktischer Magnetfelder einige Nano-Gauß (nG) nicht übersteigt. Zu diesem Ergebnis waren Wissenschaftler gekommen, als sie die Rotationspolarisation des Lichtes entfernter Quasare gemessen hatten. Um daraus die Feldstärke zu errechnen, machten sie noch ein paar Annahmen, die heute als längst überholt gelten: Sie gingen zum Beispiel von einem gleichförmigen Universum aus und berücksichtigten weder dunkle Materie noch dunkle Energie. Da es sehr schwierig ist, Daten auf andere Weise zu erhalten, und theoretische Physiker niemals die Berechnungen kritisch geprüft hatten, "wurde die nG-Schätzung mit den Jahren akzeptierte Folklore", sagt Farrar.

Als Piran und Farrar das Verfahren mit einem modernen Modell vom Universum durchführten, stellten sie fest, dass zumindest in unserem Supercluster magnetische Feldstärken von einigen Mikro-Gauß möglich sind. Das würde aber ausreichen, um die hochenergetischen Protonen deutlich abzulenken. Die Astrophysiker nehmen an, dass die aktive Galaxie M87 in einer Entfernung von 20 Megaparsec die Quelle für einige oder sogar alle bisher nachgewiesenen ultraenergiereichen Teilchen gewesen sein könnte. Möglicherweise liefen in M87 und anderen aktiven Galaxien in der Vergangenheit noch mehr heftige Ereignisse ab als heute, bei denen Protonen ausgeschleudert wurden, die am Ende ihres langen Irrweges durch den Supercluster schließlich auf die Erde treffen.

Falls die Mehrzahl der Teilchen wirklich von M87 stammt, sollte eine leichte Asymmetrie in deren Verteilung zu beobachten sein, prophezeien Farra und Piran: Auf der von M87 abgewandten Seite der Erde müssten etwas weniger Protonen mit extremer Energie in die Atmosphäre eintreten. Ein neuer Auger-Detektor, der zur Zeit in Argentinien gebaut wird, entsteht genau an der richtigen Stelle, um diese Voraussage zu überprüfen. Allerdings wird das wohl noch ein Weilchen dauern. Die richtig schnellen Protonen sind nämlich so rar, dass bisher nur eine Handvoll von ihnen detektiert wurde, darunter das so genannte Oh-My-God-Particle.

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