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News: Mit Volldampf ins All

Billiger, umweltschonender und sicherer sollen die Trägerssysteme der Zukunft ins All fliegen. Mit 'Aquarius X-Ratos', einem an der Technischen Universität Berlin entwickelten Heißwasserantrieb als Starthilfe für Raumgleiter soll das in nicht allzuferner Zukunft möglich sein. Im Gegensatz zu konventionellen Trägerraketen beschleunigt es seine Nutzlast parallel zum Boden und startet nicht senkrecht. So können beim Start aerodynamische Antriebskräfte ausgenutzt werden, welche die zu hebende Masse geringer werden und damit auch den Treibstoffverbrauch sinken lassen.
Wie es aussieht, wenn ein Trägersystem mit Heißwasserantrieb sekundenschnell von Null auf Hundert durchstartet, wurde auf einer Präsentation kurz vor Weihnachten am Institut für Luft- und Raumfahrt der Technischen Universität Berlin gezeigt: Zuerst ein lauter Knall, dann ein heftiges Zischen und mit ohrenbetäubendem Getöse schießt das raketenangetriebene Gefährt los – einen hellen Strahl nach hinten wegspuckend. Keine zwei Sekunden später hat es das Ende der fünf Meter langen, waagerechten Test-schiene erreicht. Noch Minuten nach der Fahrt strömt Dampf aus der Düse, während die Schiene von einem Netz kleinster Wassertropfen überzogen ist.

"Aquarius X-Ratos" (eXperimental Rocket-Assisted Take-Off System) ist eine Weiterentwicklung der Heißwasserrakete "Aquarius", die bereits seit 1991 in verschiedenen Versionen von Studenten der Luft- und Raumfahrttechnik der TU Berlin in der Arbeitsgemeinschaft Thermische Wasserrakete (AGTWR-Aquarius) unter Leitung von Professor Roger Lo entworfen und gebaut wurde. Einstufige Versionen der Aquarius konnte das Team der AGTWR-Aquarius schon mehrfach erfolgreich starten. Ein erster Testflug der zweistufigen "Aquarius X-Pro" schlug dagegen aufgrund falscher Berechnungen der Leitflossengröße, sowie dem Versagen der neuentwickelten zweiten Stufe und der Bremsfallschirme vor gut zwei Jahren fehl. Die Rakete erreichte nur eine Höhe von 200 Metern, bevor sie auf den Truppenübungsplatz Klietz nahe Stendal zurückstürzte. Inzwischen haben die studentischen Raketenbauer beide Stufen ihrer Aquarius-Rakete verbessert und auf Herz und Nieren getestet. Bis zu fünf Kilogramm Nutzlast kann die knapp vier Meter lange, 14 Zentimeter dicke und beim Start nur knapp 60 Kilogramm schwere Rakete dabei auf ihrer Spitze mit in die Höhe nehmen. Noch in diesem Jahr soll daher eine senkrecht startende Aquarius ohne einen Tropfen herkömmlichen Sprits Höhen von bis zu zwei Kilometern erreichen. Genug für erste Anwendungen in Meteorologie und Atmosphärenforschung.

In eine andere Richtung geht die Idee des TU-Absolventen und wissenschaftlichen Mitarbeiters Professor Los Harry Adirim und des Bochumer Gaststudenten Martin Schwarz, beide Mitglieder der AGTWR-Aquarius.

Sie wollen einen Raumgleiter mittels einer heißwassergetriebenen Starthilfe zunächst parallel zum Boden auf etwa 600 Kilometer pro Stunde beschleunigen, ehe dieser mit seinem eigenen Antrieb in den Himmel steigt. Aquarius X-Ratos wird dabei hinter dem Gleiter auf einem Schlitten montiert, der entweder auf einer Schiene oder frei auf Rädern läuft. Dieses Tandem wird dann komplett durch mehrere parallele Heißwasserraketen beschleunigt. Ihre Funktionsweise ist dabei der eines Dampfkochtopfes nicht unähnlich: Die für ihren Antrieb notwendige Schubkraft bezieht die Rakete allein aus dem Dampfdruck, der durch das Erhitzen von ganz gewöhnlichem Wasser entsteht. Mittels spezieller Heizstäbe wird das Wasser im Raketentank bei einer Heizleistung von 950 Watt auf bis zu 275 Grad Celsius erhitzt. Ist ein Überdruck von bis zu 70 bar erreicht, öffnet sich ein Auslaßventil und das überhitzte Wasser entweicht über eine Düse ins Freie, wobei es zum großen Teil verdampft und gleichzeitig beschleunigt wird. Nach dem Impulserhaltungssatz setzt sich als Folge davon der Schlitten mit dem Antrieb und dem Orbiter in entgegengesetzte Richtung in Bewegung.

Im Modellversuch von Harry Adirim und Martin Schwarz beschleunigte Aquarius X-Ratos eine Nutzlast von einem Kilogramm bereits nach eineinhalb Sekunden auf Tempo 100. Die dafür benötigte Wassermenge im Raketentank betrug dabei lediglich knapp einen Liter. Wollte man eine Nutzlast von 200 Kilogramm auf eine Endgeschwindigkeit von 600 Kilometern pro Stunde beschleunigen, so wäre eine Wassermenge von etwa 300 Litern nötig – das entspricht dem Volumen eines handelsüblichen Kühlschranks. Ein solches System könnte zum Beispiel in der Testphase von wiederverwendbaren Transportsystemen interessant werden.

Die horizontale Beschleunigung ist das Besondere an dieser Entwicklung. Bisher wurden von den Weltraumagenturen ausschließlich senkrecht startende Transportsysteme eingesetzt, wenn es darum ging, Nutzlasten in eine Umlaufbahn zu schicken. Solche konventionellen Systeme sind jedoch teuer und nicht ohne Risiken. So muß für jeden Start einer europäischen Ariane eine neue Rakete gebaut werden, denn nachdem diese ihre Nutzlast im All abgesetzt hat, verglüht sie in der Erdatmosphäre. Pro Mission werden daher allein 275 Millionen Mark für den Transport fällig. Beim amerikanischen Space Shuttle sieht es noch sehr viel schlechter aus (500 Millionen Dollar) obwohl hier Raumfähre und Haupttank mehrfach zum Einsatz kommen. Fehlfunktionen des Trägersystems können dabei zu milliardenschweren Verlusten führen oder wie bei der Challenger-Katastrophe gar Menschenleben kosten.

Derzeit denken europäische Forscher im Rahmen des Future European Space Transportation Investigations Programme (FESTIP) darüber nach, wie das Trägersystem der Zukunft aussehen könnte. Ziel der europäischen Raumfahrtbe-hode ESA ist es, die Raumfahrt im neuen Jahrtausend billiger, aber gleichzeitig auch sicherer zu machen. Sie setzt dabei ausdrücklich auf wiederverwendbare Trägersysteme sowie auf umweltfreundlichere und sichere Treibstoffe. Die meisten FESTIP-Konzepte sehen daher geflügelte Raumtransporter vor, die horizontal wie normale Flugzeuge starten und landen. Solche Systeme nutzen dabei schon vor dem eigentlichen Abheben die aerodynamischen Auftriebskräfte aus. Durch die Verwendung einer Starthilfe, die nach dem Erreichen der Startgeschwindigkeit am Boden verbleibt, läßt sich dieser positive Effekt noch verstärken.

Genau diesem Modell entspricht die Aquarius X-Ratos und erfüllt so alle Ansprüche, die von Wissenschaftlern an ein zukünftiges Raumfahrtsystem gestellt werden. Es ist sehr umweltfreundlich, da die Rakete wiederverwendbar ist und lediglich Wasser als Treibstoff verwendet wird. Das wiederum bedeutet, daß die Kosten für An-schaffung und Betrieb dieser Starthilfe im Vergleich zu konventionellen Antrieben extrem niedrig sind. Auch in Sachen Sicherheit hat der Heißwasserantrieb entschei-dende Vorteile. Selbst ein Aufplatzen des Druckbehälters beim Aufheizen des Wassers hätte nur geringe Folgen, denn das austretende Wasser würde sofort verdamp-fen und relativ schnell auf Umgebungstemperatur abkühlen. Eine Explosionsgefahr wie bei herkömmlichen Raketentreibstoffen gibt es nicht. Zudem könnte ein Start mit der Aquarius X-Ratos Starthilfe in den ersten Sekunden nach Zündung der Haupt-triebwerke mit relativ wenig Gefahr für Leib und Leben der Besatzung durch das Schließen der Ventile abgebrochen werden. Bei einem vertikalen Start bleibt der Besatzung in dieser Phase des Fluges nur die Hoffnung auf eine Landung auf einem der vorgesehenen Notlandeplätze.

All diese Aspekte lassen das Aquarius X-Ratos Projekt von Harry Adirim und Martin Schwarz ökologisch wie auch wirtschaftlich sinnvoll erscheinen. Die beiden Raketenpioniere hoffen daher jetzt, daß ihre Entwicklung sowohl bei ESA wie auch bei der Raumfahrtindustrie auf Interesse stößt. Denkbar ist für beide aber auch ein Einsatz in anderen schubintensiven Anwendungen, wie zum Beispiel beim Beschleunigen von großen Schiffen oder bei Crashversuchen mit PKWs und LKWs, wie sie mit Heißwasserantrieben schon in den 60er Jahren durchgeführt wurden.

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