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Aids: Mit winzigen Schritten

Der Erreger der Immunschwächekrankheit Aids arbeitet mit allerlei Tricks, um sich unerkannt in die Immunzellen einzuschleichen, in denen er sich vermehrt. Doch die Wissenschaft - stets auf der Suche nach Zielen für präventive Medikamente - ist ihm hart auf den Fersen.
Breit neutralisierender Antikörper
HIV ist inzwischen ein alter Bekannter. Seit einem Vierteljahrhundert fordert es seinen Tribut von der Menschheit: Weltweit leben derzeit fast vierzig Millionen Menschen mit dem Virus, allein im Jahr 2006 steckten sich mehr als vier Millionen Menschen neu an, und fast drei Millionen Menschen starben an der Immunschwäche Aids.

Inzwischen gibt es zwar Medikamente, die – häufig mit schweren Nebenwirkungen – den Verlauf der Krankheit verzögern können, ein Mittel zur Heilung wurde aber noch nicht gefunden. Einen präventiven Schutz vor der Ansteckung bieten nach wie vor nur Kondome – die leider allzu häufig nicht benutzt werden. In den gut zwanzig Jahren intensiver Forschungsarbeit ist es immer noch nicht gelungen, einen Impfstoff zu entwickeln oder ein Medikament, das das Eindringen des Virus in die Immunzellen von vorneherein zuverlässig verhindern könnte.

Die Entwicklung von Medikamenten braucht Zeit, viel Zeit – vor allem, wenn es um HIV geht. Die Wissenschaft kommt nur in winzigen Schritten voran, da sich das Virus ständig verändert und reichlich Tricks auf Lager hat, sich den Angriffen des Immunsystems zu entziehen. Ein solch kleiner Schritt gelang nun dem Team von Florian Hladik unter der Leitung von Juliana McElrath vom Fred Hutchinson Krebsforschungszentrum in Seattle [1].

Wo greift das Virus an?

Da das Virus in den meisten Fällen beim Geschlechtsverkehr übertragen wird und dabei vor allem Frauen die Leidtragenden sind, wäre ein Medikament nötig, das eine Infektion in der Scheide unterbinden würde. Doch immer noch ist unklar, welche Zellen das Virus in der Vaginalschleimhaut als erstes infiziert – was müsste also ein solches präventives Medikament können, und an welchen Zellen müsste es wirken?

Das Team um Hladik entwickelte ein Gewebemodell, mit dem sie erstmals den Weg des Virus in der Vaginalschleimhaut verfolgen konnten. Den Wissenschaftlern gelang es, die oberste Schicht der Schleimhaut abzulösen und in Nährlösung zu kultivieren. Auf dieses Epithel, in dem sich auch Immunzellen (CD4-Zellen und Langerhanszellen) befinden, die von HIV infiziert werden, gaben die Forscher dann das Virus.

Der Erreger drang innerhalb von nur zwei Stunden in die CD4-Zellen ein und vermehrte sich auch sofort in ihnen. Dazu benötigte er neben dem CD4-Rezeptor auf den Immunzellen zusätzlich den Korezeptor CCR5. Auch in die Langerhanszellen gelangte das Virus innerhalb kurzer Zeit – allerdings verharrte es dort, ohne sich zu vermehren, und das über mehrere Tage hinweg. Und noch einen Unterschied zur Infektion der CD4-Zellen beobachteten die Wissenschaftler: Um die Zelle zu entern, nutzte HIV nicht nur CCR5, sondern mehrere verschiedene Rezeptoren auf der Oberfläche der Wirtszelle.

Nach der Infektion wandern beide Zelltypen aus dem Epithelgewebe aus und sind somit in der Lage, das Virus im Körper zu verteilen. Besonders fatal könnten die virusbeladenen Langerhanszellen sein: Über Zellkontakte mit CD4-Zellen können sie möglicherweise den Krankheitserreger auf andere Zellen übertragen und so die Infektion vorantreiben. Ein Medikament, das eine Ansteckung in der Vagina im Keim ersticken soll, muss also sowohl die Infektion der CD4-Zellen als auch die der Langerhanszellen effektiv unterbinden.

Ein Ziel für einen Impfstoff

Eine andere Möglichkeit, dem tödlichen Virus die Stirn zu bieten, ist die Entwicklung eines Impfstoffes. Er soll im Körper die Produktion von Antikörpern ankurbeln, die das Virus unschädlich machen – ein schwieriges Unterfangen. Denn das HI-Virus verändert seine Oberfläche ständig und versteckt sich zudem unter einem Mäntelchen aus Zuckermolekülen – so ist es für Antikörper ausgesprochen schwierig, eine verwundbare Stelle aufzuspüren.

"Die Entwicklung eines HIV-Impfstoffes ist eine der größten wissenschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit"
(Elias Zerhouni)
"Die Entwicklung eines HIV-Impfstoffes ist eine der größten wissenschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit", sagt dementsprechend auch der Direktor des Nationalen Gesunheitsinstituts (NIH) der USA, Elias Zerhouni. Dieser Herausforderung stellte sich ein Team um Peter Kwong vom Nationalen Institut für Allergie und Infektionskrankheiten NIAID mit Mitarbeitern vom National Cancer Institute, dem Dana-Farber Cancer Institute und dem Scripps Research Institute und brachte nun die Forschung in diesem Punkt einen kleinen Schritt weiter [2].

Die Wissenschaftler richteten ihr Augenmerk auf Antikörper gegen HIV. In HIV-infizierten Menschen, die trotz der Infektion keine Krankheitssymptome zeigen, wurden bisher vier verschiedene Antikörper gefunden, die HIV in Schach zu halten vermögen. Einen davon, b12, nahm das Team nun ins Visier und machte erstmals sichtbar, wie er an das Virus bindet.

HIV-Protein mit Antikörper | Röntgenkristallografische Aufnahme des Antikörpers b12 (grün), wie er an das HIV-Protein gp120 (rot) bindet und damit einen möglichen Angriffspunkt für einen Impfstoff offenbart (gelb).
In einem ersten Schritt bearbeiteten die Wissenschaftler zunächst das virale Protein gp120, mit dem sich das Virus an den CD4-Rezeptor auf der Wirtszelle anheftet. Dieses Protein darf sich beim Versteckspiel des Virus mit dem Immunsystem nicht zu stark verändern, sonst könnte es nicht mehr an CD4 binden, und die Tür zur Zelle bliebe verschlossen – das macht es aber auch als Angriffsstelle für Antikörper interessant. Den Wissenschaftlern gelang es nun, gp120 in der Stellung zu fixieren, in der es an den CD4-Rezeptor bindet.

Im zweiten Schritt ließen sie dann auf dieses erstarrte Eiweiß b12 los. Der Antikörper band wie erwartet an das Protein, und zwar ausgesprochen fest und an exakt derselben Stelle wie CD4. Damit war die Angriffsstelle des Antikörpers gefunden.

"Die Struktur dieser Bindungsstelle auf gp120 und ihre Empfindlichkeit gegenüber einem Angriff durch einen neutralisierenden Antikörper zeigen uns eine empfindliche Stelle auf dem Virus, die wir mit Impfstoffen angreifen können", sagt Gary Nabel, Mitglied des Forscherteams. Vielleicht gelingt es nun, diese Erkenntnisse auch tatsächlich in wirksame Medikamente gegen HIV umzusetzen, um die Seuche endlich eindämmen zu können.

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