Direkt zum Inhalt

Angeborene Erkrankungen: Mitochondrien-Ersatztherapie verhindert offenbar Erbkrankheiten

Eine Mitochondrien-Ersatztherapie soll schweren Erbkrankheiten entgegenwirken. Laut Daten aus Großbritannien scheint das zu funktionieren.
Eine detaillierte 3-D-Darstellung eines Mitochondriums, das die innere Struktur mit Membranfalten und roten Partikeln zeigt. Die Umgebung ist verschwommen, was den Fokus auf das Mitochondrium lenkt. Keine Menschen oder Text im Bild.
Als »Kraftwerke der Zellen« beliefern Mitochondrien (Illustration) unseren Organismus mit Energie. Wenn sie nicht mehr richtig arbeiten, führt das mitunter zu schweren Krankheiten. Eine Mitochondrien-Ersatztherapie kann das verhindern.

In Großbritannien sind bisher acht Kinder auf die Welt gekommen, die infolge einer Mitochondrien-Ersatztherapie jeweils drei Eltern haben. Die Kinder sind wohlauf und wachsen normal heran, berichten zwei Forschungsgruppen im Fachjournal »New England Journal of Medicine«.

Die Mitochondrien-Ersatztherapie ist eine spezielle Art der künstlichen Befruchtung. Sie beruht darauf, drei Elemente zusammenzubringen: das Erbgut der Mutter aus dem Kern einer ihrer Eizellen; das Erbgut des Vaters aus dem Kern eines seiner Spermien; und die Eizelle einer Spenderin, die zuvor ihres Zellkerns beraubt wurde. Diese drei Elemente verschmelzen zu einer befruchteten Eizelle, die sich zum Embryo weiterentwickelt, aus dem später das Kind hervorgeht. Die Methode wird eingesetzt, wenn dem Kind eine mitochondriale Erbkrankheit droht, und kann schwere gesundheitliche Komplikationen verhindern.

Mitochondrien sind Zellorganellen, die den Zellstoffwechsel antreiben, indem sie ihm energiereiche Moleküle als eine Art Brennstoff liefern. Sie gelten deshalb auch als »Kraftwerke der Zelle«. Mitochondrien sind die einzigen menschlichen Zellorganellen, die ein eigenes Erbgut in Form von DNA besitzen. Dieses ist mit 37 Genen zwar sehr überschaubar und erheblich kleiner als die DNA im Zellkern. Doch die mitochondrialen Gene mutieren vergleichsweise häufig.

Fataler Energiemangel

Mutationen im Erbgut von Mitochondrien können diverse Erkrankungen auslösen. Sie bewirken oft, dass die Mitochondrien nicht mehr richtig arbeiten und weniger Energie bereitstellen als normal. Das führt zu Störungen in Körperorganen, die einen hohen Energiebedarf haben: etwa in Gehirn, Sinnesepithelien, Augen-, Herz- und Skelettmuskeln. Mögliche Folgen davon sind epileptische Anfälle, Schwerhörigkeit, Sehverlust, verminderte Muskelleistung, Krampf- und Schlaganfälle.

Wenn eine Frau und ein Mann ein Kind zeugen, erbt das Kind seine Mitochondrien samt deren Erbanlagen fast vollständig von der Mutter. Denn der Teil des männlichen Spermiums, der die Eizelle befruchtet, enthält so gut wie keine solchen Organellen – die Eizelle bringt ihre Mitochondrien aus dem mütterlichen Organismus mit. Leidet die Mutter an einer mitochondrialen Erkrankung oder trägt sie entsprechende Mutationen in ihrem mitochondrialen Erbgut, besteht das Risiko, dass sie die Krankheit an ihr Kind weitergibt. Mitochondrien-Ersatztherapien sollen das verhindern, indem sie das Erbgut der Mutter sowie des Vaters (jeweils aus deren Zellkernen) in die entkernte Eizelle einer weiteren weiblichen Person einbringen, die über eigene intakte Mitochondrien verfügt. Der Embryo, der daraus hervorgeht, enthält Erbmaterial von drei Personen und hat somit streng genommen drei Eltern.

2015 hat das Vereinigte Königreich als erstes Land die klinische Umsetzung der Mitochondrien-Ersatztherapie gesetzlich verankert, um schwere mitochondriale Erbkrankheiten bei Neugeborenen zu verhindern. Die Initiatoren stützten sich dabei auf wissenschaftliche Übersichtsarbeiten der Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA). Das Gesetz schreibt eine Einzelfallbewertung vor, wenn eine solche Behandlung beantragt wird. Seither sind in Großbritannien acht Kinder geboren worden, bei denen eine derartige Therapie zum Einsatz kam.

Positives Zwischenergebnis

Laut den jetzt veröffentlichten Forschungsarbeiten waren bei fünf dieser acht Kinder keine mutierten Mitochondrien nachweisbar. Die übrigen drei wiesen einen niedrigen Anteil mutierter Mitochondrien auf, der aber zu klein war, um Krankheitssymptome hervorzurufen. Bis heute entwickeln sich laut klinischem Report alle acht Kinder normal. Eines zeigte zwischenzeitlich hohe Blutfettwerte und Herzrhythmusstörungen, die sich aber erfolgreich behandeln ließen; ein weiteres litt vorübergehend unter epileptischen Anfällen, die sich jedoch im weiteren Verlauf nicht mehr zeigten.

Expertinnen und Experten halten die Resultate für ermutigend, weisen allerdings auch darauf hin, dass noch vieles ungeklärt ist. »Die Ergebnisse zeigen zwar, dass die Technik durchführbar ist und zu einer erheblichen Verringerung der Mutationslast bei den entstehenden Kindern führen kann – sie zeigen aber auch, dass wir sehr vorsichtig sein müssen«, sagte Heidi Mertes von der Universität Gent in Belgien gegenüber dem Science Media Center (SMC). Die Untersuchungen hätten bestätigt, dass der Embryo nach einer Mitochondrien-Ersatztherapie nur wenig mitochondriale DNA von der Mutter erbe, deren Anteil jedoch während der weiteren Entwicklung wieder zunehmen könne (durch Vermehrung entsprechender Mitochondrien im entstehenden Organismus). Dies könne eventuell immer noch zu mitochondrialen Erkrankungen führen. Eine Mitochondrien-Ersatztherapie sei somit keine Behandlung zur Risikobeseitigung, sondern zur Risikominderung.

Holger Prokisch vom Helmholtz Zentrum München betonte gegenüber dem SMC, das Feld der mitochondrialen Medizin habe auf die Ergebnisse dieser Studie gewartet. Die Daten belegten einen echten Durchbruch für Frauen mit hohem Anteil krankhaft veränderter mitochondrialer DNA, um höchstwahrscheinlich genetisch verwandte gesunde Kinder zu bekommen. Das Risiko der Kinder, nach Vorkerntransfer zu erkranken, sei minimal.

Weitere Studien erforderlich

Auch Nils-Göran Larsson vom Karolinska-Institut in Stockholm sprach gegenüber dem SMC von einem Durchbruch. »Es sei daran erinnert, dass mitochondriale Erkrankungen verheerend sein können und bei den betroffenen Kindern erhebliches Leid verursachen, das manchmal zu einem frühen Tod führt.« Die jetzt veröffentlichten Forschungsarbeiten würden beschreiben, wie solche Krankheiten mittels Mitochondrienspende verhindert werden könnten. Für die Familien sei das eine wichtige Option. Zwar führe die untersuchte Art der Mitochondrien-Ersatztherapie immer zu einer Mitübertragung einiger (möglicherweise mutierter) Mitochondrien von der Mutter. Es sei aber unwahrscheinlich, dass dies eine mitochondriale Krankheit verursache – wenngleich weitere Studien erforderlich seien, um dem nachzugehen.

Der Rechtsexperte Jochen Taupitz von den Universitäten Heidelberg und Mannheim wies auf die komplizierte ethische und rechtliche Einordnung hin: »Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet einen gezielten Keimbahneingriff, selbst wenn er zur Verhinderung einer Erbkrankheit durchgeführt wird. Ob aber im Fall des Austausches von Mitochondrien tatsächlich eine verbotene Keimbahnintervention gegeben ist, ist unter Juristen sehr umstritten.« Unklar sei ferner, ob bei dem Verfahren des Mitochondrienaustausches eine in Deutschland verbotene Eizellspende gegeben sei.

Rechtspolitisch werde das Verbot der Keimbahnintervention stark diskutiert. Der Gesetzgeber habe unzumutbare Risiken für das nach der Intervention geborene Individuum befürchtet. Wenn diese Risiken aber, wie bei anderen medizinischen Verfahren, eingrenzbar seien und zudem – durch Verhindern einer schweren Erbkrankheit – ein großer Nutzen für den später geborenen Menschen zu erwarten sei, könne das Verbot kaum noch begründet werden. »Ein ›Designerbaby‹, dessen genetische Ausstattung wie bei einem Werkstück nach dem Willen der Eltern gestaltet wird, ist jedenfalls beim Mitochondrienaustausch nicht gegeben.«

  • Quellen

Hyslop, L.A. et al., The New England Journal of Medicine 10.1056/NEJMoa2415539, 2025

McFarland, R. et al., The New England Journal of Medicine 10.1056/NEJMoa2503658, 2025

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.