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Sonnensystem: Mittel-Spurkriecher

Je näher wir den Ringen des Saturns kommen, desto vielschichtiger und grobkörniger erscheint ihre ruhig-glänzende Oberfläche, desto stärker gleichen sie einem im Schwerefeld ewig durcheinander wuselnden Partikel-Mahlstrom - und desto mehr Rätselhaftes gibt es in ihnen zu entdecken.
Farbige Darstellung der Saturnring-Partikelgrößen
Der gregorianische Kalender schrieb den 25. März im Jahre des Herrn 1655, als Christiaan Huygens sein selbstgebautes Teleskop zum ersten Mal auf den Planeten Saturn richtete. In seinen Systema Saturnium, den detaillierten Aufzeichnungen seines Tuns, berichtet der astronomische Pionier Aufsehenerregendes vom Firmament – offenkundig sei das, was Galileo Galilei noch als "Ohren" des entfernten Planeten beschrieben hatte, etwas völlig Neuartiges: ein Ring, der keine Verbindung zum Saturn besitzt.

Huygens hielt Schlussfolgerungen aus dem Gesehenen fest – niemals könne dieser Ring etwa ein festes Objekt sein. Um stabil zu bleiben, muss er rotieren – und zwar, wie die Kepler'schen Gesetze verlangen und die Beobachtungen zeigen, an der Außenseite etwas schneller als nahe der Innenkante. Einen Festkörper würde dies überspannen und schließlich zerlegen.

Seit der einschlagenden Publikation von Huygens sind 347 Jahre vergangen, in denen viele weitere Details über die Ringe des Saturns bekannt, längst aber nicht alle Geheimnisse geklärt wurden. Nun treten Matthew Tiscareno von der Cornell-Universität und seine Kollegen in die Fußstapfen von Huygens und Galileo: Das Astronomenteam glaubt, eines der verbliebenen modernen Ring-Rätsel geknackt zu haben.

Lange vor Huygens, Christus, Buddha und allem irdischen Leben, so lehrt die saturnische Entstehungsgeschichte, kreiste in den Jugendzeiten des Saturns noch ein Eismond, wo heute die Ringscheibe wirbelt – bis er ziemlich heftig durch einen direkten Kometen- oder Asteroidentreffer pulverisiert wurde. Dabei sollten Brocken aller denkbaren Riesen-, Mittel- und Kleinstdimensionen entstanden sein.

Zunächst zu den kleinsten und unproblematischsten dieser Materie-Bruchstücke, jenen von einem Zentimeter bis 10 Metern Größe. Sie machen, so viel ist klar, bei weitem den Löwenanteil des großen A-Ringes aus. Und schon die Voyager-1-Sonde konnte – mit Hilfe von optisch-fotometrischen Messungen – Daten sammeln, aus denen sich die Größenverteilung dieser Steinbröckchenwüste näher errechnen ließ: Auf jeden Brocken von 5 bis 15 Metern finden sich 100 Partikel von 0,5 bis 1,5 Metern Durchmesser – und etwa 10 000 Körnchen kleiner 15 Zentimeter. Rechnet man diese Verteilung hoch, dann sollten auch mittlere und große Ringkörper mit einer ganz bestimmten Wahrscheinlichkeit vorkommen.

Schöne Theorie – und leider offenbar fehlerbehaftet. Denn gerade solche auch von Cassini leicht erkennbaren kleinen Ringmonde wie Pan (10 Kilometer Durchmesser) und die halb so große Daphnis sollten weitaus häufiger entdeckt werden, als dies bisher geschehen ist. Warum sind sie derart selten? Gilt die für kleinere Partikel nachweislich richtige Verteilung etwa nicht für größere Objekte? Oder ist gar die ganze schöne Theorie von der Mond-Kometentreffer-Kollision hinfällig? Womöglich existieren mittelgroße Brocken gar nicht, was die Evolutionstheorie des Rings revolutionieren und nach neuen Antworten verlangen würde.

Seit einiger Zeit suchten daher alle Ringevolutions-Interessierten händeringend nach Übergangsbrocken zwischen 15 und 100 Meter Durchmesser – und das ohne Erfolg. Blöderweise ist alles unter 100 Metern Größe zu klein, um selbst mit den scharfen elektronischen Augen Cassinis gesehen zu werden – und zu groß, um per fotometrischer Methoden erfasst zu werden. Ein Dilemma: Aus der Mittelschicht zwischen kleinen Klümpchen und kleinen Möndchen fehlen mangels passender Datenerhebungsmethode verlässliche Informationen. Genau hier aber schaffen Tiscareno und Kollegen nun Abhilfe: Sie haben auf den Ring-Bildern des irdischen Sondenspähers Cassini verräterische Spuren der mysteriösen Mittelbrocken entdeckt.

Zu Hilfe kam ihnen ein wenig Theorie und Überlegung. Im scheinbar chaotischen Gewimmel der Ringbrocken dominieren prinzipiell nur zwei Kräfte: Gravitation und Kollision. Erstere sorgt im überlagernden Schwerefeld des Saturns – anders als eigentlich zunächst anzunehmen wäre – dafür, dass um mittelgroße Objekte stets eine materiefreie Bannmeile freigeräumt wird. Dort hinein aber rempeln sich auch immer wieder zusammenstoßende Felsbrocken. Letztlich resultiert daraus, wie Modelle der verschlungenen, diffus-viskosen Partikelströme zeigen, ein sehr charakteristisches, annähernd hantel- oder propellerförmiges Verteilungsmuster von dichteren und weniger dichten Zonen um die im Ring pflügenden Großbrocken herum.

Und genau dieses Muster erkannten die Forscher nun tatsächlich auf den Cassini-Bildern: Paare von höhenversetzten hellen Streifen auf der fotografierten Ringseite deuten auf Bereiche dichteren Partikelgetümmels, in denen Licht stärker gestreut wird. Zonen dieser modellhaften Form und Dimension sollten um zentrale Ringbrocken von rund 100 Metern Durchmesser entstehen, errechneten die Forscher. Und damit wären erstmals unsichtbare Mittelschicht-Vertreter der Ringbrockengemeinschaft indirekt entlarvt.

Aus der Zahl der Lichtreflex-Zonen lässt sich nun auch schließen, wie häufig die 100-Meter-Brocken im A-Ring sind: Wie die Kleinmonde à la Pan sind auch die mittelgroßen Ringpartikel seltener, als die bisher gängige Hochrechnung aus den Voyager-Fotometrie-Daten vorhersagte. Immerhin aber sind sie überhaupt vorhanden – und stützen damit, so Tiscareno und Co, die lieb gewonnene Theorie der gewaltsam per Kollision erfolgten Ringentstehung. Zumindest bis zum Ende des Jahres 2006 unseres Herrn: Dann wird die Cassini-Sonde in einer guten Position sein, um die Saturnringe noch viel genauer nach verräterischen Propellerspuren unsichtbarer Ringbrocken zu durchmustern.

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