Direkt zum Inhalt

Mittelalter: Friedhöfe erzählen vom Knochenbrecheralltag

Drei Friedhöfe, drei soziale Schichten: Wie hart das Leben im mittelalterlichen Cambridge der Bevölkerung zusetzte, verraten noch heute die Knochen der Menschen.
Toter im Augustinerkloster

»Am härtesten war das Leben für die ganz unten. Aber hart war es für alle«, fasst die Archäologin Jenna Dittmar zusammen. Mit ihrem Team hat die Archäologin die Knochen von insgesamt 314 Individuen untersucht, die im damals noch kleinen mittelenglischen Städtchen Cambridge bestatten worden waren. Knochenbrüche und andere Verletzungen am Skelett sollten Aufschluss darüber geben, welchen Gefahren und Härten die Bestatteten zu ihren Lebzeiten ausgesetzt waren.

Das Besondere: Die Skelettfunde stammten von drei unterschiedlichen Friedhöfen, in denen jeweils Angehörige anderer gesellschaftlicher Schichten ihre letzte Ruhe fanden. Damit erhalten Dittmar, die selbst an der University of Cambridge forscht, und ihre Kollegen einen Querschnitt durch die damalige Gesellschaft der Stadt; diese zählte um die Mitte des 13. Jahrhundert etwa 2500 bis 4000 Einwohner.

Im Fachmagazin »American Journal of Physical Anthropology« erläutern sie die Geschichte der drei Friedhöfe. In der aufstrebenden Universitätsstadt lebten damals überdurchschnittlich viele Mönche und Geistliche. Zu den zahlreichen Klöstern gehörte etwa das des Augustinerordens, in dessen Friedhof die Mönche bestattet wurden. Direkt neben ihnen fanden reiche Städter ihre letzte Ruhe, die sich für eine hohe Summe ein Grab in der geweihten Erde des Klosters geleistet hatten. An 32 Prozent der dort ausgegrabenen Individuen entdeckten die Forscher Anzeichen von mindestens einem Knochenbruch. Ein Mönch hatte zwei in der Mitte komplett durchgebrochene Oberschenkelknochen. Diese Verletzung wie auch einen Genickbruch zog er sich vielleicht bei einem tödlichen Unfall mit einem schweren Karren zu.

Vom Karren überrollt? | Durch seine Gürtelschnalle verriet sich dieser Tote als einstiger Augustinerbruder. Die schwere Verletzung, die er sich vielleicht bei einem Unfall mit einem Wagen zugezogen hat, erinnert die Forscher an die typischen Folgen einer Kollision von Auto und Fußgänger.

Verletzungen durch harte Arbeit

Einen anderen Teil der Bevölkerung repräsentiert der Friedhof des Hospital of St. John. Das Hospital beherbergte Menschen, die sich auf Grund von Krankheit oder Alter nicht selbst versorgen konnten. Die hier Bestatteten zählten vermutlich überwiegend zu den Allerärmsten der mittelalterlichen Bevölkerung. Allerdings hatten sie in ihrem Leben wohl nur ein geringes Verletzungsrisiko – sie kamen weder bei harter Arbeit noch bei kriegerischen Auseinandersetzungen zu Schaden. Nur 27 Prozent hatten Frakturen erlitten.

2010 wurde der Friedhof des Hospitals ausgegraben | Das Hospital of St. John the Evangelist fungierte als Altersheim und versorgte pflegebedürftige Menschen, beispielsweise wegen einer schweren Tuberkulose.

Grablege einfacher Land- und Stadtbewohner war der Gemeindefriedhof All Saints by the Castle. Hier wurden vorwiegend jene bestattet, die am Stadtrand von Cambridge lebten und ihr Auskommen zum Beispiel als Landarbeiter oder im Baugewerbe fanden. Sie stellen die größte Schicht der damaligen Bevölkerung dar. Mit 44 Prozent war hier außerdem der Anteil derer, die Zeit ihres Lebens mindestens einen Knochenbruch erlitten hatten, am höchsten. Art und Umfang der Verletzungen zeigen, dass die Frakturen zum überwiegenden Teil auf Unfälle zurückgehen dürften; wie etwa schwere Schläge, die vielleicht durch ein abgerutschtes Werkzeug oder herabfallendes Baumaterial entstehen oder ebenso bei der Arbeit mit Zugtieren und Karren auftreten. Häufig verletzten sie sich auch durch Stürze auf die ausgestreckte Hand.

Zeichen absichtlicher Gewalteinwirkung – sonst ein häufiges Phänomen bei mittelalterlichen Skeletten – tauchen in den Funden aus Cambridge insgesamt eher selten auf. Sie finden sich aber dennoch, etwa bei einem Mönch, der wohl mit einem Arm einen Schlag abzuwehren versuchte und sich dabei eine Fraktur zuzog sowie eine Kopfwunde erlitt. Die Verletzungen einer älteren Frau vom Gemeindefriedhof lassen sich nach Meinung der Wissenschaftler als Spuren brutaler häuslicher Gewalt deuten. Die Frau hatte Frakturen an ihrem Kiefer, an mehreren Rückenwirbeln, an einem Fuß und den Rippen, die bis zu ihrem Tod allesamt verheilt waren.

Insgesamt brachen sich jedoch mehr Männer als Frauen die Knochen, was sich durch geschlechterspezifische Arbeitsteilung erklären lässt. Frakturen bei älteren Frauen ließen sich teilweise auch auf Osteoporose zurückführen, schreiben die Forscher. Das Team analysierte die Skelette von 84 Individuen vom Gemeindefriedhof All Saints by the Castle, 155 Individuen vom Friedhof des Hospitals und 75 aus dem Friedhof des Augustinerklosters.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.