Mobbing: Warum sind Kinder so gemein?

Die 13-jährige Marie geht nicht gerne in die Schule. Drei Mädchen und einige Jungen aus ihrer 7. Klasse ärgern sie immer wieder. Ab und zu schubsen sie Marie. Die Mitschüler hätten sie schon seit dem ersten Tag in der 5. Klasse der Realschule gehasst, glaubt Marie. Sie hat versucht, mit ihnen zu reden und ihnen klarzumachen, dass sie das nicht möchte. Aber ihre Peiniger lachen sie nur aus und machen weiter. Auch dass die Lehrer die betreffenden Mitschüler tadeln, bringt nichts. In den letzten Monaten sind die Schikanen immer schlimmer geworden: Maries Mitschüler bezeichnen sie als »fette Sau«. Sie weiß nicht mehr, wie sie mit der Situation umgehen soll. Häufig hat sie Bauchschmerzen und regelrecht Angst davor, das Haus zu verlassen. Sie beginnt, die Schule zu schwänzen.
Mobbing ist kein Konflikt auf Augenhöhe
Mobbing, wie es Marie und viele andere Kinder und Jugendliche in der Schule erleben, unterscheidet sich von normalen Konflikten mit Altersgenossen: Mobbing ist aggressiv, die Täter wollen dem Opfer Schaden zufügen. Sie belassen es nicht bei einem Mal, sondern wiederholen die Gemeinheiten immer wieder über längere Zeit hinweg. Zudem begegnen sich Täter und Opfer nicht auf Augenhöhe, vielmehr ist der Täter dem Opfer körperlich oder sozial überlegen. Wenn der Mobbende in der Klasse etwa im Gegensatz zu seinem Opfer Ansehen genießt, kann er auch andere mobilisieren.
Mobbing kann sich in vielen Gestalten zeigen: verbal in Form von Beschimpfungen und Beleidigungen; körperlich durch Bedrohungen, Schläge oder Tritte sowie indirekt in Form von sozialem Mobbing: durch Ausgrenzung oder das Verbreiten von Gerüchten. Cybermobbing tritt ebenfalls häufig auf: Rund jeder sechste Jugendliche in Deutschland ist laut einer Umfrage von 2024 im Auftrag der Barmer Krankenkasse davon betroffen.
Wie oft es zu Mobbing an deutschen Schulen kommt, ist nicht ganz klar. Die Zahlen dazu gehen teilweise deutlich auseinander. Das liegt unter anderem daran, dass Fachleute Mobbing teils unterschiedlich definieren und erfassen. Im Rahmen der »Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)«-Studie, die alle vier Jahre durchgeführt wird, wurden zuletzt 2022 rund 6500 Schülerinnen und Schüler an mehr als 170 deutschen Schulen zu ihren Mobbingerfahrungen befragt.
Bei dieser repräsentativen Befragung gaben fast elf Prozent der 11-, 13- und 15-Jährigen in Deutschland an, in den Monaten zuvor regelmäßig in der Schule gemobbt worden zu sein. Ein kleiner Teil von ihnen berichtete auch, andere ebenfalls zu schikanieren. Vier Prozent waren in den letzten Monaten mehrfach online gemobbt worden. Kinder und Jugendliche, die sich als genderdivers identifizieren, berichteten besonders häufig von Mobbing.
Mobbing entsteht nicht im luftleeren Raum. Individuelle und soziale Faktoren begünstigen es. So finden sich aufseiten der Opfer bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften vermehrt. Sie sind meist ängstlich und unsicher, eher sensibel und haben wenig Selbstbewusstsein. Zudem sind Kinder und Jugendliche bevorzugt Zielscheibe von Schikanen, wenn sie von der Norm abweichen, beispielsweise homosexuell, genderdivers oder übergewichtig sind. Zur Wahrheit gehört jedoch auch: Mobbing kann jeden treffen.
Auf der Seite der Täter wiederum fällt meist eine ausgeprägte Tendenz auf, andere dominieren zu wollen. Dabei nutzen sie Gewalt und Drohungen, um ihren Willen durchzusetzen. Im Vergleich zu Gleichaltrigen haben sie eine positivere Einstellung gegenüber Gewalt. Ihnen fällt es teilweise schwer, sich Regeln zu unterwerfen, und sie verhalten sich oft aggressiv – selbst gegenüber Erwachsenen. Forschern des University College Dublin um den Entwicklungspsychologen Giulio D'Urso fanden 2022 zudem heraus: Wer andere mobbt, leidet häufiger unter elterlicher Vernachlässigung und ist hyperaktiv. Das ergaben die Auswertung der Daten von mehr als 2000 Grundschülern und eine Befragung von Schülern und Lehrkräften.
Den Tätern mangelt es nicht an Sozialkompetenz
Was auf den ersten Blick überraschen mag: Mobbing-Täter sind oft sozial sehr kompetent. Häufig jedoch wird das Gegenteil behauptet. »Das lässt sich aber empirisch nicht bestätigen«, sagt die Psychologin Mechthild Schäfer von der Ludwig-Maximilians-Universität in München, die seit vielen Jahren zu dem Thema forscht. Bei Mobbing gehe es um Macht und Dominanz in einer Gruppe. »Und das bedeutet, dass die Täter soziale Fertigkeiten haben müssen.« Wer in einer Gruppe dominieren möchte, benötige die Fähigkeit zu täuschen und zu manipulieren. »Denn Macht muss einem von anderen zugestanden werden«, so Schäfer.
Anders als früher hat man heute in der Forschung verstärkt die Gruppe und ihre Dynamik im Blick, nicht mehr nur individuelle Eigenschaften von Tätern und Opfern. Mobbing gilt als ein Gruppenprozess, der alle Mitglieder betrifft. In der Vergangenheit hat man Mobbing zudem oft als impulsiven, unkontrollierten Ausbruch von Aggression betrachtet. Nun gehen Wissenschaftler und Praktiker weitgehend davon aus, dass es in erster Linie strategisch und zielgerichtet ist. Demnach schikanieren manche Personen andere, um einen hohen sozialen Status in der Gruppe zu erreichen.
Für eine 2020 veröffentlichte Längsschnittstudie nahmen Forscher um die Soziologin Rozemarijn van der Ploeg von der niederländischen Universität Groningen den Zusammenhang zwischen Mobbing und sozialem Status in der Klasse genauer unter die Lupe. Sie sammelten Daten von mehr als 2000 Schülern aus 82 Klassen von 15 niederländischen Grundschulen, die zu drei Zeitpunkten befragt wurden. Die Befragung begann in der 2. bis 5. Klasse, als die Kinder acht bis elf Jahre alt waren. Die Schüler beantworteten etwa, ob sie gemobbt wurden und wenn ja, von wem. Außerdem gaben sie an, wem sie in der Klasse einen hohen sozialen Status zuschreiben.
Ergebnis: Schüler mit einem hohen Status neigten eher dazu, andere zu mobben. Zudem steigerte Mobbing im Lauf der Zeit im Schnitt die Position des Mobbers. Wobei das im Detail eine Frage des Alters war: Während Schüler der 4. und 5. Klasse Mobbern eine hohe Stellung in der Gruppe einräumten, war bei jüngeren Kindern das Gegenteil der Fall. Zweitklässler sprachen Mobbern eher einen geringen Status zu. Die Schlussfolgerung der Forscher: Mobbing diene gerade in höheren Klassen dazu, die Position in der Gruppe zu erhalten und zu steigern.
Mobbing ist ansteckend
Darüber hinaus kann Mobbing auch ansteckend wirken. Die Haupttäter sind oft äußerst beliebt und dienen Mitschülern als Vorbilder. Wenn gerade sie als Mobber auftreten, besteht die Gefahr, dass Mobbing in der Klasse akzeptiert wird. Häufig startet zunächst eine kleine Gruppe von zwei, drei Schülern das Mobbing. Da solche Schikanen mitunter zu Anerkennung in der Gruppe führen, kann es für andere reizvoll sein mitzumachen, und sie werden zu Mitläufern. Zumal aus der Sozialpsychologie gut belegt ist: Menschen fühlen sich persönlich weniger verantwortlich und haben weniger Gewissensbisse, wenn mehrere Personen etwas offiziell Geächtetes wie Mobbing tun. Psychologen sprechen von Verantwortungsdiffusion.
Als Täter brauche man dabei ein Gespür dafür, wer bei Mobbing mitmacht und wer nicht, so Mechthild Schäfer. Auch aus diesem Grund bräuchten die Personen Sozialkompetenz. »Der Täter findet in jeder Klasse Mitschüler, die sowieso immer dabei sind, wenn es irgendwo Ärger gibt, die also aggressionsaffin sind.« Noch ein weiterer Typus sei aggressionsaffin. Jene Schüler, die sich zwar nicht selbst die Hände schmutzig machen, aber durch Beifall oder Anstacheln einen bedeutsamen Beitrag zum Mobbing leisten.
Der Drang zu Gewalt hat auch viel mit dem Heranwachsen zu tun. Die Pubertät ist ein Alter, in dem es um Autonomie und Identitätsfindung geht. »Es ist eine Phase, in der Aggression ins Zentrum rückt«, so die Münchener Psychologin. Man teste Grenzen aus, weil man zeigen möchte, dass man schon erwachsen ist. In dieser Zeit werden Aggressionen von Altersgenossen eher toleriert, so Schäfer.
Wenn niemand hilft: Ein fatales Signal
Auch wer als Mitschüler passiv bleibt, ist Teil der Mobbingdynamik. Denn selbst wenn man nichts tut und nur danebensteht, hat das eine Wirkung. »Weil die Mitschüler denken, dass man nichts gegen das Mobbing hat oder es zumindest akzeptiert«, erklärt Mechthild Schäfer. Die Psychologin betont, man könne beim Mobbing nicht einzelne Täter rauspicken. Es gehe schließlich um Gruppendynamik. Beim Opfer wiederum komme durch das Nichteingreifen der anderen an: »Niemand unterstützt mich.«
»Mobbing ist wie ein Schatten, der auf der Entwicklung liegt«Mechthild Schäfer, Psychologin
Von den Außenstehenden wird oft behauptet, sie würden nichts tun, weil sie Angst hätten, selbst angegriffen zu werden. Doch das sei nicht durch Studienergebnisse gestützt, so Schäfer. »Vielmehr ist es so, dass Außenstehende teilweise massiven Stress erleben, indem sie mit dem Opfer mitleiden und dadurch richtiggehend erstarren.« Das sei eine neue Erkenntnis aus der Forschung. Noch problematischer ist es allerdings, wenn Lehrkräfte nichts tun. Mobbing werde dadurch begünstigt, dass Lehrer schwach auftreten und nicht eingreifen, sagt Mechthild Schäfer. Überhaupt ist das Schulklima von großer Bedeutung: Ein geringes Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und Lehrern, ein respektloser Umgang untereinander und als unfair empfundene Regeln fördern die Entstehung von Mobbing. Empathische Lehrkräfte und ein gutes Schulklima stehen umgekehrt mit weniger Mobbingvorfällen in Verbindung.
Mobbing ist ein massives Gesundheitsproblem
Was im Einzelnen auch immer die Ursachen für das Mobbing sind: Die Schikanen gehen nicht spurlos an den Opfern vorüber. Kinder und Jugendliche, die in der Schule gemobbt werden, haben mit diversen körperlichen Problemen zu kämpfen, zum Beispiel mit Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Essstörungen, Appetitlosigkeit oder häufiger Übelkeit. Sogar Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen- und Darmerkrankungen, Hauterkrankungen und Atembeschwerden können auftreten.
Vor allem aber legen Untersuchungen nahe, dass Mobbing der emotionalen und psychischen Entwicklung schadet. Betroffene tragen ein höheres Risiko, eine psychische Störung zu entwickeln. Gerade der Zusammenhang mit Angststörungen, Depressionen, Selbstverletzungen und Suizidalität ist wissenschaftlich gut belegt.
Von Gefühlen leichter überwältigt
Die Adoleszenz stellt große Herausforderungen an die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren. Schließlich ist die Pubertät eine Zeit der großen Gefühle wie des ersten Verliebtseins. Und es ist eine Zeit starker Gefühlsschwankungen – von himmelhoch jauchzend bis zur großen Hoffnungslosigkeit.
In einer systematischen Übersichtsarbeit über 27 Studien kamen die Psychologinnen Toria Herd und Jungmeen Kim‑Spoon 2021 zu dem Ergebnis: Negative Erfahrungen mit Peers, wie etwa Opfer von Mobbing zu werden, gehen einher mit einer schlechteren Fähigkeit, eigene Emotionen zu regulieren. Mobbing könnte die Entwicklung dieser wichtigen Fertigkeit langfristig beeinträchtigen. Das legt eine Studie von Marina Camodeca von der Universität Udine und Elena Nava von der Universität Mailand-Bicocca nahe. Die Entwicklungspsychologinnen zeigten 58 jungen Erwachsenen Fotos, die in der Regel Gefühle wie Ärger, Angst und Ekel erzeugen, und baten die Teilnehmenden, ihre Emotionen so gut wie möglich zu regulieren und sich zu entspannen. Dabei maßen sie mit Hilfe von Elektroden die elektrische Leitfähigkeit der Haut. Diese spiegelt den Grad der Anspannung oder Entspannung eines Menschen wider.
Wer als Schüler Opfer von Mobbing gewesen war, hatte im Schnitt größere Probleme damit, seine Emotionen in den Griff zu bekommen
Personen mit einer schlechteren Emotionsregulation wiesen im Allgemeinen eine höhere Hautleitfähigkeit auf. Wer als Schüler Opfer von Mobbing gewesen war, hatte im Schnitt größere Probleme damit, seine Emotionen in den Griff zu bekommen. Die Forscherinnen vermuten, dass Menschen, die Zielscheibe von Mobbing geworden waren, eine hohe Sensibilität gegenüber Ablehnung entwickeln und die Rolle des Opfers in ihrem Selbstbild verankern. In der Folge können sie besonders ängstlich und anfällig gegenüber Stress werden.
Eine mangelnde Emotionsregulation kann folgenreich sein – und psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen begünstigen. Laut einer 2023 veröffentlichten Metaanalyse war das Risiko, an einer Depression zu erkranken, bei Kindern und Jugendlichen, die selbst gemobbt worden waren, fast 2,8-mal höher als bei Gleichaltrigen ohne diese Erfahrung.
Erlernte Hilflosigkeit
»Mobbing ist wie ein Schatten, der auf der Entwicklung liegt«, sagt Mechthild Schäfer. Die Erfahrung erzeugt oft ein Gefühl der Hilflosigkeit. Wer in der Kindheit und Jugend erlebt hat, dass niemand geholfen hat, verinnerlicht: Ich kann nichts dagegen tun. Auch als Erwachsene hätten viele dann Schwierigkeiten in ähnlichen Situationen. Eine Betroffene erzählte Mechthild Schäfer: »Ich habe einen tollen Job, ich habe tolle Kollegen. Aber wenn ich nach zwei Wochen Urlaub wieder an den Arbeitsplatz zurückkomme, habe ich Angst, dass alles ganz anders ist.«
Ein Stück Grundvertrauen verloren
Eine Studie von Mechthild Schäfer und ihren Kollegen weist darauf hin, dass Mobbingopfer als Erwachsene zwar nicht sozial isoliert sind. Doch sie erleben mehr emotionale Einsamkeit. Sie haben also durchaus viele Sozialkontakte, fühlen sich aber dennoch einsam. Zudem macht sich die Erfahrung im Bindungsverhalten bemerkbar. Mobbingopfer denken weniger gut über sich und andere. »Sie haben vermutlich ein Stück ihres Grundvertrauens in die Verlässlichkeit von sozialen Beziehungen verloren«, so Schäfer.
Mobbingopfer denken weniger gut über sich und andere
Angesichts der schwerwiegenden Konsequenzen von Mobbing sollte Prävention große Bedeutung eingeräumt werden. Experten setzen hier bislang vor allem in der Schule an. Allerdings mangelt es an effektiven Präventionsprogrammen. Es existiert zwar eine Vielzahl von Ansätzen, und die meisten bringen auch ein wenig. »Doch nicht in dem Maße, dass sich eine langfristige und nachhaltige Veränderung nachweisen lässt«, sagt Mechthild Schäfer. Die Programme würden zu kurze Zeit gefördert. Dabei komme es gerade darauf an, sie langfristig einzusetzen.
Das Schulklima ist entscheidend
Eines der wirksamsten und am besten untersuchten Programme ist das »Olweus Bullying Prevention Program« des mittlerweile verstorbenen skandinavischen Pioniers der Mobbingforschung Dan Olweus. Es zielt darauf ab, das Schulklima zu verbessern, um bestehendes Mobbing zu reduzieren und weitere Fälle zu verhindern. Dafür setzt es sowohl auf individueller als auch auf Klassen- und Schulebene an. Erwachsene sollen den Schülern gegenüber Wärme und Wertschätzung zeigen, als positive Vorbilder fungieren, strenge Regeln und Konsequenzen für inakzeptables Verhalten festlegen und diese beharrlich umsetzen.
Das »Olweus Bullying Prevention Program« des Pioniers der Mobbingforschung Dan Olweus zielt darauf ab, das Schulklima zu verbessern
Hatte man das Programm intensiv über Jahre in einer Schule umgesetzt, hatte es einen positiven Effekt, erklärt Mechthild Schäfer. »In Schulen aber, in denen man es nach ein paar Jahren wieder abgesetzt hat, war die Situation ein Jahr nach dem Absetzen wieder so, als hätte man keine Prävention verfolgt.«
Das hilft gegen Mobbing
Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch eine 2020 veröffentlichte Studie aus Deutschland, die von der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Heidelberg durchgeführt wurde. Sie evaluierte die deutsche Version des Programms an 23 Schulen in Baden-Württemberg. Das Programm einzuführen, nahm 18 Monate in Anspruch. Es umfasst mehrere Bausteine: Unter anderem lernten Lehrkräfte, Mechanismen und Formen von Mobbing zu unterscheiden, Mobbing zu erkennen, einzugreifen und nachhaltig zu unterbinden. Außerdem bekamen sie Strategien an die Hand, um prosoziales Verhalten bei Schülern zu fördern. Regelmäßig fanden in der Schulklasse Gespräche statt. Auf diesem Weg bekamen die Lehrerinnen und Lehrer mehr Einblick in das Klassengefüge. Außerdem sollte der Austausch das Klassenklima stärken und positive soziale Gruppennormen etablieren.
Schüler der 5. bis 9. Klasse wurden vor dem Start des Programms sowie nach einem und zwei Jahren zu ihren Erfahrungen mit Mobbing befragt. In Schulen, die das Präventionsprogramm vollständig umgesetzt hatten, verringerte sich die Rate der Opfer und Täter von Mobbing um rund 25 Prozent. In Schulen, die das Programm vorzeitig abgebrochen hatten, blieb sie über die Zeit gleich. Eine langfristige Durchführung ist also offenbar entscheidend.
Seltener umgesetzt und weniger gut untersucht als reine Schulpräventionsprogramme sind Ansätze, welche auch die Familien miteinbeziehen. Eltern spielen eine Schlüsselrolle dabei, welche sozialen Fertigkeiten Kinder und Jugendliche entwickeln. Kinder, die in Mobbing verwickelt sind, haben zum Beispiel eher Erziehungsberechtigte mit einem autoritären Erziehungsstil und erleben zu Hause mit größerer Wahrscheinlichkeit Formen von Gewalt. Spezielle Programme können Eltern unter anderem Informationen über verschiedene Arten von Mobbing und deren Auswirkungen vermitteln, sie für Anzeichen von Mobbing sensibilisieren und ihnen Strategien an die Hand geben, um gewaltfrei zu kommunizieren und Konflikte zu Hause besser zu lösen. Zudem werden Eltern ermutigt, positive Verhaltensweisen, Empathie und Respekt im Umgang miteinander bei ihren Kindern zu fördern.
»Mobbing ist ein Gruppenphänomen und hängt vom Klima in der Schule ab. Es kommt nicht auf die Eltern an, sondern auf die Lehrer«Mechthild Schäfer, Psychologin
Eine 2020 veröffentlichte Metaanalyse eines Teams um Yuhong Zhu von der Renmin-Universität China in Peking wertete 16 Studien zu Elternprogrammen aus. Darunter waren sowohl schulische Anti-Mobbing-Programme mit Eltern als auch Ansätze, bei denen Familien zu Hause besucht wurden. Die Programme konnten Mobbing tatsächlich verringern. Die Wissenschaftler schauten sich anschließend an, was besonders dazu beigetragen hatte. Dabei entpuppten sich Gespräche zwischen Eltern und Kindern über das Mobbing, eine hohe Empathiefähigkeit der Kinder und ein unterstützender, warmherziger Erziehungsstil als Schutzfaktoren.
Mechthild Schäfer ist jedoch skeptisch gegenüber Programmen, die im Elternhaus ansetzen. Sie hätten wenig Chancen auf Erfolg: »Mobbing ist ein Gruppenphänomen und hängt vom Klima in der Schule ab«, sagt sie. »Es kommt nicht auf die Eltern an, sondern auf die Lehrer.«
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