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News: Modern und flexibel durch einen alten Eindringling

Ein kleines Stück parasitärer DNA, das wohl vor ungefähr 450 Millionen Jahren in den Chromosomensatz der Wirbeltiere eingedrungen ist, könnte sich als der Schlüssel zur unglaublichen Vielfalt des menschlichen Immunsystems erweisen: Anscheinend sind die Enzyme, die immer neue Kombinationen aus Immungenen erstellen, Überbleibsel eines alten Transposons. Von diesen DNA-Stückchen, die in ein Genom hinein- und wieder herausschlüpfen können, wurde gemeinhin angenommen, ihr einziger Lebenszweck sei die eigene Vermehrung.

Die enorme Vielfalt des Immunsystems entsteht in spezialisierten weißen Blutkörperchen. Diese Lymphocyten machen am Anfang ihrer Entwicklung eine somatische Rekombination durch: Gene aus ihrem Genom werden ausgeschnitten und neu zusammengefügt. Die "rekombinierten" Genabschnitte codieren für Immunglobuline oder Antikörper. Diese Proteine binden an Fremdkörper wie Bakterien, die in den Organismus eingedrungen sind, und machen sie so unschädlich. Durch die somatische Rekombination in jedem neuen Lymphocyten – die zufällige Durchmischung der Gene, die für sie codieren – sind die Immunglobuline sehr variabel. Der Körper hat daher große Chancen, für jeden Eindringling einen genau passenden Antikörper zu besitzen und kann so eine große Spannbreite an Fremdkörpern erkennen.

Besondere Proteine, die rekombinationsaktivierenden Proteine Rag-1 und Rag-2, unterstützen die Neuanordnung der Erbinformationen, indem sie gemeinsam eine Endonuclease bilden – ein Enzym, das DNA in Stücke schneiden kann. Die entsprechenden Gene RAG-1 und RAG-2 liegen nahe beieinander auf dem menschlichen Chromosom 11. Unter anderem deshalb vermuteten David Schatz von der Yale University und seine Kollegen, daß der Komplex aus Rag-1 und Rag-2 ein besonderes Enzym darstellt – eine Transposase. Transposasen werden gewöhnlich von mobilen DNA-Stücken gebildet, den Transposons. Diese beweglichen Elemente können sich in fremde Genome eingliedern und sie auch wieder verlassen. Ihre Transposasen unterstützen diese Vorgänge.

Um ihre Vermutung zu überprüfen, reinigten die Forscher die Proteine, fügten sie einer synthetischen, DNA-haltigen Lösung zu und beobachteten, was passieren würde. Wie in den Lymphocyten verbanden sie sich miteinander und schnitten ein spezifisches DNA-Stück aus. Ohne die Enzyme würde ein solcher Abschnitt im Körper sofort einen geschlossenen Ring bilden und verworfen werden. Im Experiment jedoch verhielt sich die DNA – eskortiert von dem Enzym – viel eher wie ein Transposon: Der ausgeschnittene Strang fügte sich in ein anderes DNA-Stück ein – wie es Transposons tun (Nature vom 20. August 1998).

Diese Entdeckung könnte erklären, warum das anpassungsfähige Immunsystem der Vertebraten anscheinend so plötzlich während der Evolution aufgetaucht ist. Im Gegensatz zu den meisten anderen Merkmalen der Wirbeltiere hat es keine Entsprechung bei den Wirbellosen: Diese verfügen lediglich über ein feststehendes Repertoire zellulärer und biochemischer Abwehrmöglichkeiten gegen Infektionen, so Ronald Plasterk, Molekularbiologe am The Netherlands Cancer Institute in Amsterdam. Da dieses moderne Immunsystem auch kieferlosen Vertebraten fehlt, vermutet Schatz, daß das Transposon erst mit dem Aufkommen von knöchernen Kiefern in das Genom von Wirbeltieren gelangte – vor annähernd 450 Millionen Jahren. Ein "Schnipsel" Transposon zur rechten Zeit war vielleicht Grundlage für die somatische Rekombination, die das Immunsystem so vielgestaltig machen. Vielleicht verdanken wir jenem einen Ereignis unsere Existenz, bemerkt Plasterk. "Ohne diese Flexibilität wären wir nicht hier."

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