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Moderne Krebstherapien: Gezielter Angriff!

Tumoren individuell anzugreifen, ist die Zukunft. Es soll schonend und wirksam sein. Was manch moderne Krebstherapie noch leistet? Sie hilft dem Körper, sich gegen Krebs zu wehren.
Ein Mann liegt mit dem Oberkörper in einem Magnetresonanztomografen.

Gerda van Riemsdijk hatte Schmerzen in der Hüfte. Mit 72 Jahren hat man schon mal Zipperlein, dachte die Rentnerin lange. Aber irgendwann wurde sie doch nervös. »Mein Bein war geschwollen, ich konnte kaum laufen«, erinnert sie sich. Im Mai 2019 ging sie deshalb zur Orthopädin. Die schickte die Patienten wieder nach Hause. Bestimmt nur eine Schleimbeutelentzündung, lautete ihre Vermutung. Sie solle in sechs Wochen wiederkommen, wenn die Schmerzen anhielten.

Die Schmerzen blieben, wurden sogar stärker. Die Hausärztin verordnete schließlich eine Magnetresonanztomografie (MRT). Erneut vergingen Wochen bis zur Untersuchung; mittlerweile war es Oktober. Dann der Schock: In van Riemsdijks Becken saß ein Tumor. »Der hatte sich richtig um die Knochen gewickelt«, erzählt die gebürtige Niederländerin. So konnte der Tumor zwischen Darm- und Kreuzbein lange unentdeckt wachsen.

Plötzlich musste alles schnell gehen. Auf die MRT-Untersuchung folgte eine Überweisung an die Münsteraner Uniklinik (UKM). Etwa 18 000 Tumorpatientinnen und -patienten werden dort jedes Jahr behandelt. »Wir haben eine Probe des Tumors untersucht und konnten den Krebstyp spezifizieren«, erklärt Simon Call, der behandelnde Arzt. Die Diagnose lautete: hochmalignes B-Zell-Lymphom, ein besonders aggressiver Typ des diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL).

Bestimmte Krebserkrankungen benötigen spezifische Krebsbehandlungen

Jährlich erkranken etwa 5000 – vor allem ältere – Menschen in Deutschland an diesem Krebs. Andere Krebsarten sind deutlich weiter verbreitet. Als häufigster Krebs bei Männern gilt der Prostatakrebs, gefolgt von Lungen- und Darmkrebs, bei Frauen der Brustkrebs, gefolgt von Darm- und Lungenkrebs.

Insgesamt leben mehr als 4,5 Millionen Menschen in Deutschland mit einer Krebsdiagnose, knapp eine halbe Million erkrankt laut der aktuellen Statistik jährlich neu. Zahlreiche Betroffene sterben an den Folgen, weil die Wucherungen äußerst vielseitig und deshalb schwierig zu behandeln sind. Sie treten in verschiedenen Organen des Körpers auf, gehen von verschiedenen Zellarten aus und unterscheiden sich von Person zu Person. Doch es gibt Hoffnung.

Die Chancen zu überleben steigen von Jahr zu Jahr. Starben im Jahr 1980 noch mehr als zwei Drittel der Krebspatienten und -patientinnen an ihrer Erkrankung, gelten heute nach erfolgreicher Therapie mehr als die Hälfte als geheilt. Denn Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahrzehnten Krebsbehandlungen in vielerlei Hinsicht präziser gemacht.

Dank schneller Gensequenzierung und immer besserer Gentechnik ist Krebs so gut verstanden wie nie zuvor. Das Wissen um die Details hat es ermöglicht, spezifische Ansätze zu entwickeln, um die Erkrankungen zu behandeln – nicht nur im Labor, sondern längst auch im Alltag.

Zu den Errungenschaften zählen innovative Behandlungskonzepte, die zielgerichteten Krebstherapien oder »targeted therapies«. Eine besondere Form ist die Immuntherapie. Mit ihr können Ärzte es dem körpereigenen Abwehrsystem ermöglichen, den Krebs selbst zu bekämpfen und bestimmte Tumoren so genau zu treffen, dass der Rest des Körpers weitgehend verschont bleibt. Die Therapien retten schon jetzt hunderttausende Leben, wie die Geschichte von Gerda van Riemsdijk mit dem diffusen großzelligen B-Zell-Lymphom zeigt.

Krebs – so individuell wie die Betroffenen

Bei diesem Krebs ist das Lymphsystem betroffen, das unter anderem Infektionen bekämpft. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Lymphozyten genannten Immunzellen, die T- und B-Zellen. Letztere bilden Antikörper, wenn sie mit körperfremden Antigenen in Kontakt kommen.

B-Zellen entwickeln sich im Knochenmark und zirkulieren anschließend im Blut sowie in den lymphatischen Organen wie Milz und Lymphknoten. Ist die Zellregulation gestört, teilen sich B-Zellen unkontrolliert und bilden Tumoren. DLBC-Lymphome gehören zu den bösartigen Krebserkrankungen; sie wachsen sehr schnell und bilden Metastasen an anderen Stellen des Körpers abseits der lymphatischen Organe. Drei von fünf Erkrankten überleben die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. Die Rate sinkt jedoch, wenn Betroffene älter als 60 Jahre alt sind und das Lymphom bereits gestreut hat.

Wie bei van Riemsdijk. Die Onkologen fanden einen weiteren Tumor in ihrem Gehirn. Sie bekam eine Chemo-Immuntherapie, Standard bei malignen Lymphomen. Neben einer Kombination verschiedener Wirkstoffe, die das Zellwachstum hemmen, so genannter Zytostatika, nutzen Ärzte dabei den therapeutischen Antikörper Rituximab. Dieser erkennt das Molekül CD20 auf der Oberfläche von B-Zellen und markiert sie, so dass das Immunsystem die Zellen als fremd erkennt und zerstört.

»Krebs ist eine Vielzahl komplexer Erkrankungen«Georg Lenz, Onkologe

Bis zum Mai 2020 durchlief van Riemsdijk insgesamt zwölf Zyklen der Chemo-Immuntherapie. Rückblickend erzählt sie, dass es ihr in der Zeit verhältnismäßig gut ging. Sie habe kaum unter den bekannten Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erschöpfung oder Schleimhautreizungen gelitten. »Nur meine Haare sind mir ausgefallen«, sagt sie. Anderen Patienten sei es aber deutlich schlechter gegangen, sie wolle sich nicht beklagen.

Zunächst sah es so aus, als würde van Riemsdijk zu den Lymphom-Patientinnen zählen, die gut auf die erste Chemotherapie-Attacke ansprechen. »Partielle Remission«, notierte Onkologe Call im Therapieverlauf; der Tumor war geschrumpft. Doch wenige Wochen später wuchs das Lymphom wieder. Auf weitere Zyklen mit anderen Kombinationen von Chemotherapeutika und Rituximab reagierte der Tumor nicht.

Eine Behandlung der Zukunft: Die CAR-T-Zell-Therapie

In solchen Fällen müssen die behandelnden Onkologen neu abwägen. Mehrmals pro Woche setzen sich Ärzte mit Radiologen, Pathologen und Hämatologen der Münsteraner Uniklinik zusammen, um die Verläufe ihrer Patienten zu besprechen. Zu dem Team gehört unter anderem Georg Lenz. »Krebs ist eine Vielzahl komplexer Erkrankungen«, erklärt er. Daher sei es wichtig, »dass Expertinnen und Experten ihres Fachs gemeinsam über letztlich lebenswichtige Behandlungen entscheiden«. Vor allem, wenn klassische Krebstherapien nicht anschlagen.

Im Fall von Gerda van Riemsdijk lautete der Vorschlag: CAR-T-Zell-Therapie. Seit dem Jahr 2018 führt das UKM diese innovative zielgerichtete Krebstherapie durch, demnächst sollen es laut Lenz bis zu 35 Behandlungen pro Jahr sein.

Innovative Krebsbehandlung | Der Ablauf der CAR-T-Zell-Therapie ist klar definiert. Was passiert, stellt diese Grafik vereinfacht dar.

Um den Vorteil zu verstehen, lohnt ein Blick auf die klassischen Behandlungen. Eine Chemotherapie beispielsweise trifft alle Zellen des Körpers, die sich teilen, und unterscheidet dabei nicht zwischen Tumor- und gesunder Zelle. Dementsprechend stark sind die Nebenwirkungen. Für gezielte Behandlungen wiederum nutzen Ärztinnen und Ärzte mit verschiedenen neuartigen Arzneistoffen bestimmte biologische und zytologische Eigenarten des Krebsgewebes aus (siehe »Experimentelle Ansätze zielgerichteter Krebstherapien«).

So bringen etwa mit Zytostatika beladene tumorspezifische Antikörper – »antibody-drug conjugates« – ihre toxische Fracht zielgenau zu den bösartigen Zellen. Bereits in den 2000er Jahren tauchten zudem kleine Moleküle in der Krebstherapie auf, die für das Tumorwachstum wichtige Enzyme hemmen: Kinase-Inhibitoren. Mehr als 500 Proteinkinasen gibt es im menschlichen Körper. In Krebszellen sind einige dieser Enzyme verändert und bieten damit spezifische Angriffspunkte für die Hemmer.

»Man kann das Immunsystem nicht nur direkt aktivieren, sondern ebenso durch die Hemmung der Hemmung«Annalen Bleckmann, Onkologin

Ebenso wie diese gehören Checkpoint-Inhibitoren am UKM bereits seit Jahren zur Standardbehandlung, etwa beim schwarzen Hautkrebs. Sie zählen zu den Immuntherapeutika, konzentrieren sich also nicht allein auf den Tumor, sondern wirken auch auf die Immunzellen, die den Tumor umgeben. Durch diesen therapeutischen Umweg erhält das patienteneigene Immunsystem quasi einen Schubs, um sich selbst gegen Krebszellen zu wehren.

Checkpoint-Inhibitoren machen dies auf außergewöhnliche Weise. »Man hat verstanden, dass man das Immunsystem nicht nur direkt aktivieren kann, sondern auch durch die Hemmung der Hemmung«, erläutert die Onkologin Annalen Bleckmann, die ebenfalls in Münster arbeitet, das Prinzip. Denn manche Tumortypen verstecken sich vor dem Immunsystem, indem sie regulatorische Prozesse auf T-Zellen stören. Checkpoint-Inhibitoren wiederum sind Antikörper, die ebendiese Störung unterbinden und damit die T-Zellen handlungsfähig gegen den Krebs machen. Im Jahr 2018 erhielten die Forscher James Allison und Tasuku Honjo für diese Entdeckung den Nobelpreis.

Experimentelle Ansätze zielgerichteter Krebstherapien

Weltweit entwickeln Teams stetig weitere innovative Therapieansätze. Auch bereits zugelassene zielgerichtete Krebstherapien werden ständig geprüft und verbessert. Drei Beispiele:

  • Onkolytische Viren: Die Idee von Krebs bekämpfenden Viren basiert auf der Beobachtung, dass Tumoren sich in Patienten, die gleichzeitig eine Virusinfektion durchmachten, spontan zurückbildeten. Mittlerweile ist bekannt, dass bestimmte Viren sich bevorzugt in Tumorzellen vermehren und diese dadurch töten. Mit Imlygic erhielt im Jahr 2015 ein abgeschwächtes Herpes-simplex-Virus seine Zulassung für die Behandlung des schwarzen Hautkrebses, des so genannten Melanoms. Experimentelle Ansätze vereinen nützliche Eigenschaften unterschiedlicher Viren zu neuen, biotechnologisch hergestellten Konstrukten. Die arbeiten – mit weniger Nebenwirkungen – noch zielgerichteter.
  • Die Methode des zielgerichteten Proteinabbaus (englisch: targeted protein degradation) liefert mit den PROTACs (proteolysis-targeting chimeras) eine völlig neue Wirkstoffklasse. Der Clou: Zwei eigentlich getrennt vorliegende Moleküle werden biotechnologisch gekoppelt. Das eine bindet spezifisch an Wachstumsfaktoren oder Rezeptoren einer Tumorzelle, das andere an einen Teil der zelleigenen Müllabfuhr, etwa die E3-Ubiquitin-Ligase. Die wiederum markiert die Zielproteine als »Das kann weg«, so dass das Proteasom sie abbaut. Die Tumorzelle wird quasi stillgelegt. Aktuell befinden sich zahlreiche PROTACs in klinischen Studien.
  • Krebsimpfstoffe: mRNA-Impfstoffe sind manchen seit der Corona-Pandemie ein Begriff. Die Mittel sind mit dem Bauplan von Coronavirus-Teilen ausgestattet, was es dem Immunsystem ermöglicht, sich gegen den Eindringling zu wappnen. Ursprünglich jedoch entwickelten Forscherinnen und Forscher das mRNA-Konzept als Therapeutikum gegen Krebserkrankungen. Statt Virus-Bauplänen enthalten diese Vakzine Baupläne tumorspezifischer Proteine und zeigen dem Immunsystem so, welche Zellen gefährlich und zu eliminieren sind. Der große Vorteil: mRNA-Sequenzen sollen sich schnell und individuell anpassen lassen, so dass Entwickler Krebsimpfstoffe auf jeden Tumortyp – und damit quasi personalisiert – zuschneiden können.

Ob eine Immuntherapie funktioniert oder nicht, lässt sich bisweilen anhand der Gene vorhersagen. Einem besonders aggressiven Brustkrebs-Typ etwa fehlen charakteristische Zellrezeptoren. Bei diesem dreifach negativen Mammakarzinom schlagen Checkpoint-Inhibitoren besonders gut an, vor allem in Kombination mit anderen Therapie-Ansätzen.

»Wir werden die klassischen Bausteine – Chemotherapie, Bestrahlung und Operation – weiterhin nutzen und auf Dauer noch enger mit zielgerichteten Therapieverfahren verzahnen«, sagt Annalen Bleckmann. Die klassischen Ansätze sind gut erprobt, an vielen Orten verfügbar und im direkten Vergleich oft um ein Vielfaches günstiger als die neuen Methoden, um nur einige Vorteile zu nennen (siehe »Warum es noch Chemotherapie, Bestrahlung und Operationen braucht«). Die neuen Therapien hingegen überzeugen mit ihrer Präzision.

Wie die Immuntherapie wirkt

CAR-T-Zellen gehören ebenfalls zu den Immuntherapeutika. Bei ihnen handelt es sich um biotechnologisch veränderte T-Lymphozyten, die vor allem bei Blutkrebserkrankungen wie Leukämien und Lymphomen zum Einsatz kommen. Im gesunden Körper erkennen T-Zellen mit ihren spezifischen Rezeptoren fremde oder krankhaft veränderte Moleküle. Binden diese an den T-Zell-Rezeptor, aktivieren sie die Immunzellen, die wiederum die Fremdkörper eliminieren. Tumorzellen tarnen sich aber manchmal und entziehen sich so dem T-Zell-Angriff.

Warum es noch Chemotherapie, Bestrahlung und Operationen braucht

Alle drei Ansätze sind in der Praxis etabliert und funktionieren für viele an Krebs erkrankte Menschen gut. Drei weitere Argumente sprechen für die Behandlungen:

  • Verfügbarkeit: Auch niedergelassene Ärzte und Ärztinnen können Chemotherapien durchführen. Dagegen sind für zielgerichtete Therapien oft spezielle Zentren nötig. Diese wiederum sind in manchen Fällen weit vom Wohnort der Betroffenen entfernt und nehmen nur eine begrenzte Anzahl von Krebspatienten auf.
  • Kosten: Während eine einzige CAR-T-Zell-Therapie mehr als 300 000 Euro kostet, liegt beispielsweise das Therapieschema R-CHOP – eine Chemotherapie in Kombination mit dem monoklonalen Antikörper Rituximab – bei rund 23 000 Euro pro Patient und Jahr.
  • Zeit: Neue Wirkstoffe zu entwickeln, ist nicht nur extrem teuer, es dauert oft auch lange. In klinischen Studien müssen die Kandidaten zeigen, dass sie besser funktionieren als bereits etablierte Therapien. Bis zur Zulassung vergehen so bis zu 15 Jahre. Auch dann gelten noch Einschränkungen: CAR-T-Zell-Therapien zum Beispiel dürfen aktuell erst nach mindestens zwei Runden klassischer Therapien angewendet werden.

Zudem werden die klassischen Krebstherapien immer besser. Chirurgen operieren mit Hilfe von Robotern und somit präziser als früher; moderne Bestrahlungsgeräte ermöglichen es, Tumoren zielgenauer zu bestrahlen; und immer neue Chemotherapeutika – oft in Kombination mit anderen Wirkstoffen und Techniken – erlauben gezieltere und somit nebenwirkungsärmere Krebstherapien.

Um die Heilungschancen für Patientinnen und Patienten zu erhöhen, nutzen behandelnde Mediziner sowohl etablierte als auch neue Methoden. Zum Beispiel entfernen sie zunächst große Teile eines Tumors operativ und eliminieren dann mit einer Chemotherapie mögliche Metastasen, um anschließend mit einer langfristig wirkenden Immuntherapie nachzubehandeln.

Im Labor werden patienteneigene T-Zellen mit einem zusätzlichen Bauplan für einen Chimären Antigenrezeptor (CAR) ausgestattet, den die Zellen dann produzieren und in ihre Außenhülle einbauen. Der CAR enthält an dem Ende, das aus der T-Zelle herausragt, eine spezifische Erkennungssequenz für Tumorproteine, während der innere Teil über molekulare Signale die T-Zelle aktivieren kann. Damit erhält die Immunzelle praktisch eine exakte Anleitung, wie sie Tumorzellen erkennen und zerstören kann. Die Betroffenen bekommen die CAR-T-Zellen anschließend zurück, die im optimalen Fall direkt mit ihrer Arbeit beginnen.

Da die T-Zellen aus dem Blut des Patienten stammen, toleriert sein Immunsystem sie beim Wiedereinsetzen und stößt sie nicht ab. Einige der genetisch veränderten T-Zellen bleiben zudem auf Dauer im Körper, so dass eine einmalige Behandlung meist ausreicht. Tauchen irgendwo wieder Tumorzellen auf, kann das Immunsystem noch Jahre später schnell reagieren.

Bisher sind sechs CAR-T-Zell-Ansätze für die Krebstherapie zugelassen, weitere stehen bereit. Viele dieser Therapien richten sich gegen bestimmte B-Zell-Proteine, etwa CD19, und somit auch gegen gesunde Antikörper produzierende B-Zellen. Georg Lenz erklärt: »Das führt beispielsweise dazu, dass Patientinnen und Patienten anfälliger für Infekte sind.« Ein Umstand, den die meisten Krebspatienten jedoch in Kauf nähmen.

So auch van Riemsdijk. Sie hatte zuvor noch nie etwas von einer solchen Krebstherapie gehört. Zweifel hatte sie dennoch nicht: »Ich wollte machen, was möglich ist.«

Auch moderne Krebstherapien können zu Übelkeit und Herzrasen führen

Ende 2020 reicherten Ärzte T-Zellen aus van Riemsdijks Blut in einer Art Blutwäsche an, Apherese genannt. Die Zellen schickten sie an ein Labor. »Es dauert vier bis sechs Wochen, bis die Zellen genetisch verändert und in ausreichender Zahl vorliegen«, erklärt Simon Call. Da der Tumor stetig wuchs, behandelte er seine Patientin in dieser Zeit weiter mit Chemotherapeutika. Außerdem bestrahlte er den Tumor lokal und hielt ihn so in Schach. Würde das Lymphom zu schnell wachsen, würde dies den Therapieerfolg mit den genetisch veränderten Zellen gefährden.

»Chemotherapiefrei heißt nicht automatisch nebenwirkungsfrei«Georg Lenz, Onkologe

Wenige Tage bevor die Ärzte die Zellen einsetzen, entfernen sie »mit einer kurzen, intensiven Chemotherapie alle Lymphozyten aus dem Blut«, wie der Onkologe Georg Lenz erklärt. Das schaffe Platz für die CAR-T-Zellen und reduziere gleichzeitig mögliche bösartig veränderte Blutzellen. Am 16. März 2021 war es so weit: Gerda van Riemsdijk erhielt ihre T-Zellen nunmehr als CAR-T-Zellen über eine Infusion zurück.

Zehn Tage blieb die Rentnerin im Krankenhaus. Wären Nebenwirkungen aufgetreten, hätten die Mediziner schnell handeln können. Möglich sind beispielsweise Symptome wie Fieber, Übelkeit, Herzrasen oder Kopfschmerzen als Zeichen eines Zytokin-Freisetzungssyndroms (CRS). Das ist eine Art überschießende Aktivierung von T-Zellen. Lenz betont: »Chemotherapiefrei heißt nicht automatisch nebenwirkungsfrei.«

Gerda van Riemsdijk hat die Behandlung gut vertragen, bei ihr sanken lediglich die Werte für Hämoglobin, Thrombozyten und Leukozyten im Blut. Sie erhielt deshalb Transfusionen, zuletzt Anfang 2022. Aktuell sei alles ruhig, bestätigt der behandelnde Arzt Call. Damit wächst die Hoffnung, dass die CAR-T-Zellen in van Riemsdijks Körper die Krebszellen auch langfristig kontrollieren.

Regelmäßig fährt sie weiterhin zum Check-up ins UKM. Das mache sie gern, sagt sie. Die Schmerzen sind weg, es gehe ihr wunderbar, berichtete sie im August 2022. »Nur mit dem Laufen klappt es nicht mehr so gut«, sagt sie am Ende des Gesprächs. Onkologe Simon Call hilft ihr deshalb vom schwarzen Ledersessel in den Rollstuhl. »Mein Mercedes«, sagt sie und grinst.

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