News: Molekulare Mimikry im Magen
Die Hälfte der Menschen auf der Welt ist mit Helicobacter pylori infiziert. Die meisten weisen geringfügige Symptome auf – möglicherweise eine Magenentzündung, bevor eine anscheinend harmonische Beziehung einsetzt, die Jahrzehnte dauern kann. Aber 10 bis 20 Prozent der befallenen Menschen kommen nicht so gut davon. Einige bekommen Geschwüre, andere entwickeln fortschreitende Entzündungen des Magens, und die Zahl ihrer säureproduzierenden Zellen sinkt. Dies erhöht ihr Risiko für Magenkrebs, der häufig in Ländern auftritt, in denen H. pylori-Infektionen weit verbreitet sind.
"Dies ist das ziemlich ungewöhnliche Beispiel eines Bakteriums, das bei vielen Menschen relativ harmlos sein kann, bei anderen jedoch Krebs verursachen kann", sagt Gordon. "Das Problem ist, Patienten zu finden, die gefährdet sind, ernsthaftere Krankheiten zu bekommen."
In den Mägen infizierter Personen, die an schwerer Gastritis oder Geschwüren leiden, ist H. pylori mit den Zellen assoziiert, die den Magen auskleiden (Belegzellen). Das Bakterium ist in der Lage, Moleküle zu erzeugen, mit denen es an diese Magenzellen binden kann. In Laborexperimenten haben Wissenschaftler verschiedene Rezeptoren identifiziert, die als potentielle Andockstellen dienen können. "Wir wollten herausfinden, ob und wie das Andocken das Ergebnis der Infektion verändern würde", sagt Gordon.
1993 entdeckten Per Falk und Thomas Borén von der Washington University, daß H. pylori sich an ein Molekül namens Lewis b (Leb) auf Zellen der Magenauskleidung heften kann. Dieses Molekül schmückt zugleich auch die roten Blutkörperchen von Menschen, deren Blut den Antigenfaktor Leb besitzt.
In Gordons Labor führte Falk das menschliche Leb-Gen in eine Maus ein. Er manipulierte das Gen so, daß es in den Zellen der Magenauskleidung aktiv wurde. Mäuse ohne das menschliche Leb-Gen dienten als Kontrolle. Beide Gruppen von Mäusen wurden H. pylori-Stämmen ausgesetzt, die aus peruanischen Patienten mit akuter Gastritis isoliert worden waren. Das Leb-Antigen tritt bei Peruanern häufig auf, und die meisten peruanischen Stämme von H. pylori Stämme können an das Leb-Protein binden. Guruge, ein Mitarbeiter Gordons, fand heraus, daß beide Mäusegruppen – jene mit und jene ohne Leb – leicht mit H. pylori infiziert wurden und zwar für lange Zeiträume. Die Bakterien setzten sich allerdings nur bei Tieren mit menschlichem Leb-Protein im Magen-Epithel fest. Bei den Kontrollmäusen, denen das Gen und somit auch das Protein fehlte, hielten sie sich ungebunden in der Magenschleimhaut auf.
Dieser Standortunterschied beeinflußte die Immunreaktion der Maus. Guruge bemerkte, daß die Tiere Antikörper gegen Kohlenhydrate von H. pylori bildeten, sobald sich das Bakterium an die Magenauskleidung heftete. Es stellte sich heraus, daß diese bakteriellen Kohlenhydrate Molekülen glichen, welche auch von den Belegzellen der Maus produziert werden. Angesichts dieser molekularen Nachahmung attackierte das Immunsystem sowohl die mauseigenen Belegzellen als auch die Bakterien. Die Leb-Mäuse entwickelten eine entzündliche Reaktion, die der chronischen Gastritis glich, wie sie bei Menschen mit symptomatischer H. pylori-Infektion auftritt. Schließlich verschwanden ihre Belegzellen, genau wie bei Menschen mit atrophischer Gastritis, einem Vorstadium von Krebs.
In einer anderen Studie zeigte Gordons Gruppe, daß sich undifferenzierte Zellen in der Magenauskleidung abnorm stark vermehrten, wenn Belegzellen verloren gingen. Eine derart ungezügelte Zellteilung kann letztlich das Krebsrisiko erhöhen, meint Gordon. "Obwohl die enge Bindung für eine H. pylori-Infektion nicht unbedingt erforderlich ist, beeinflußt sie jedoch deutlich die Folgen der Infektion", sagt er.
Dieses genetisch gut beschriebene Modell sollte es Forschern ermöglichen, bakterielle Gene und Wirtsgene zu identifizieren, die auf eine Bindung reagieren. Gordon glaubt, daß der Ansatz seiner Gruppe auch für andere Arten von Bakterien eingesetzt werden könnte, um die Rolle der bakteriellen Bindung bei einer Vielzahl von Krankheiten zu verstehen. "Diese Kombination von transgenen Mäusen und molekularer Mikrobiologie bietet große Möglichkeiten für die Zukunft", meint er.
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