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Biophysik: Molekulare Verkehrskontrolle

Ordnung schaffen ist nicht jedermanns Sache. Für eine zukünftige Nanotechnologie aber sind winzige Helfer, die Baustein für Baustein an ihren Platz bringen, eine unumgängliche Voraussetzung. Vielleicht kommt nun Hilfe aus der erfolgreichsten Mikromaschine aller Zeiten: der lebenden Zelle.
Sortiermaschine
Die Idylle trügt. Das Bild, das Schulbücher uns von der biologischen Zelle liefern – mit weiten, freien Räumen und glücklich umher diffundierenden Molekülen –, ist längst überholt und grundlegend falsch. Neue Mikroskopietechniken und bildgebende Verfahren haben gezeigt, dass es in der Zelle zugeht wie am verkaufsoffenen Sonntag in skandinavischen Möbelhäusern. Es ist voll, überfüllt, verstopft; es wird gedrängelt, gestoßen, geschubst; und irgendwie kommen die sperrigen Sachen dennoch von A nach B.

Um den Transport kümmern sich in der Zelle verschiedene spezialisierte Moleküle, wie beispielsweise das Gespann Mikrotubuli und Kinesin. Die röhrenförmigen Mikrotubuli übernehmen dabei die Rolle des Leitungssystems. In praktischer Modulbauweise durchziehen diese Proteine den gesamten Zellkörper. Auf ihnen wandern die Kinesine, schwer bepackt mit den Nutzlasten, entlang. Jeder Schritt kostet sie chemische Energie, mit der sie sich durch das Gedränge zwängen. Zielgenau und pünktlich.

So wünschen sich Nanotechnologen ihre Aufbauhelfer für den Durchbruch von morgen. Denn was sie im Bereich der Milliardstel Meter an Rädchen, Stäbchen und Motörchen vorzuweisen haben, ist meist in mühevoller Handarbeit entstanden. Und noch mühevoller wird es, wenn zwei oder gar mehr derartiger Einzelstücke zu einem Gesamtapparat zusammenkommen sollen. Auf Ebene von Molekülen ist Basteln eine hyperfiligrane Schwerstarbeit.

Den Auftrag könnten darum am besten die Experten übernehmen, haben niederländische Wissenschaftler um Cees Dekker von der Technischen Universität Delft beschlossen. Das Problem liegt nur darin, dem Mikrotubuli-Kinesin-Team im entscheidenden Moment die richtigen Befehle zu geben. Und genau dabei haben die Forscher nun einen großen Schritt nach vorne getan: In ihren Demonstrationsexperimenten lenkten sie mit elektrischen Feldern Mikrotubuli an einer Weggabelung gezielt nach links oder rechts.

Bild | Fixierte Kinesinmoleküle schieben Mikrotubuli-Röhrchen weiter.
Für die Versuche waren zunächst entsprechende Teststrecken notwendig. Sie wurden mit konventionellen lithografischen Verfahren in Siliziumdioxid gestrahlt und geätzt, bis ein System von 800 Milliardstel Metern tiefen Kanälen entstanden war, das mit einer Scheibe aus dem gleichen Material überdacht wurde. Die Wände wurden mit Kinesinmolekülen ausgekleidet, deren "Beinchen" Richtung Zentrum ragten und kräftig zappeln konnten. Dabei transportierten sie einzelne Mikrotubuli-Röhrchen, die wie ein Popstar auf den Händen seiner Fans über die Masse schwebten. Festes Kinesin trägt bewegliche Mikrotubuli – genau die umgekehrte Konstellation wie in der Zelle, aber ebenso funktionstüchtig.

Bild | Elektrische Felder lenken Mikrotubuli, die von oben in das Bild wandern, nach unten links oder rechts weiter.
Den entscheidenden Punkt erreichte das Experiment, wenn ein Mikrotubulus an einer Y-Kreuzung ankam. Hier legten die Wissenschaftler über zwei enge zusätzliche Kanäle ein starkes elektrisches Feld in der Größenordnung von bis zu 50 Kilovolt pro Meter an. Als elektrisch geladenes Molekül verspürte das Protein dadurch eine Zugkraft, der es mit dem frei beweglichen Kopfstück folgen konnte, während sein langer Rumpf vom Kinesin fixiert wurde. Der Mikrotubulus bog sich dadurch in Richtung des Feldes und änderte die Richtung seiner Wanderung. Auf diese Weise gelang es den Forschern, farblich markierte Mikrotubuli mit guter Effizienz zu sortieren.

Von diesen ersten Modelleisenbahn-Versuchen mit Mikrotubuli-Zügen auf Kinesin-Schienen und elektrischen Weichen hin zu Nanofabriken, die winzige Geräte konstruieren, ist es sicherlich noch ein weiter Weg. Aber mit dem entsprechenden Wissen wird er eines Tages unsere Technik revolutionieren. Unsere Zellen machen es uns schließlich vor – seit ewigen Zeiten.

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