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News: Molekulares Streßtrainung

Streß - für einen Physiologen beinhaltet dies sowohl kurzfristige Signale als auch länger andauernde Reize, wie intensive Kälte, Hitze oder schwere Verletzungen. Er bewirkt eine komplexe hormonelle Verteidigungsreaktion, die es dem Körper ermöglicht, die Gefahr zu bewältigen. Diese Verteidigungsreaktion ist von grundlegender Bedeutung für das Überleben. Dauert sie jedoch über einen längeren Zeitraum an, kann sie auch negative Folgen haben. Wissenschaftler aus Großbritannien haben jetzt herausgefunden, wie Ratten mit wiederkehrenden Streßreizen umzugehen scheinen: Jedes Mal, wenn der Reiz auftritt, reduzieren sie ihre Reaktion auf diesen Streß allmählich, während sie ihre Fähigkeit bewahren, anderen Bedrohungen zu begegnen.
Streß setzt Hormone aus spezialisierten Nervenzellen tief im Gehirn frei. Diese Hormone – CRF (corticotrophin releasing factor) und AVP (arginine vasopressin) aktivieren den Hypothalamus und die Hirnanhangdrüsen, welche dann die Nebennierendrüse veranlassen, Glucocorticoide freizusetzen. Dies sind Streßhormone, welche die Energiespeicher und das Immunsystem des Körpers auf Verteidigung vorbereiten.

Neue Reize lösen oft eine Streßreaktion aus. Für den Körper wäre es jedoch gefährlich, wiederholt so zu reagieren, als ob es sich um einen Notfall handelte. Langfristiger Blutdruckanstieg, abnormale Immunsystemfunktion und eine Zunahme des Fett- und Glucoseanteils im Blutkreislauf – unter anderen Reaktionen auf Glucocorticoide – können zu Diabetes und Herzproblemen führen. Normalerweise nimmt jedoch der Streß ab, je öfter eine bestimmte Erfahrung gemacht wird.

Xin-Ming Ma und Stafford L. Lightman von der University of Bristol haben eine analoge hormonelle Reaktion bei Ratten entdeckt (Journal of Physiology vom 15. Juli 1998). Sperrt man die Tiere ein, so führt dies zu einer Streßreaktion, einschließlich eines erhöhten Glucocorticoidpegels. Werden die Ratten jedoch eine ganze Woche lang jeden Tag für kurze Zeit eingesperrt, verschwindet die Streßreaktion fast völlig. Aber ein anderer neuer Streßfaktor kann wieder zur vollständigen Glucocorticoid-Reaktion führen. Wissenschaftler nahmen daher an, daß "höhere" Zentren im Gehirn zwischen unterschiedlichen Streßsignalen unterscheiden und eine Hormonreaktion dann auslösen, wenn sie angemessen erscheint.

Die Forscher haben nun jedoch eine einfachere Erklärung gefunden. Sie entdeckten, daß eine Reduktion der Glucocorticoid-Ausschüttung mit einer Verminderung der CRF-Produktion und einem Anstieg der AVP-Produktion korreliert. Die beiden Hormone werden von derselben Art von Nervenzellen erzeugt und es scheint, daß diese Zellen von der Produktion von CRF auf die Synthese von AVP umschalten, wenn die Ratten wiederholte Erfahrungen mit derselben Art von Streß machen. Beide Hormone können die Streßreaktion aktivieren, aber AVP ist viel weniger wirkungsvoll.

In einem begleitenden Kommentar zu der Forschungsarbeit erläutern Gareth Lang und John Russel von der Edinburgh University Medical School, wie dies eine reizspezifische Streßreaktion erzeugen könnte. Sie glauben, daß ein besonders "stressig" wirkender Reiz eine sehr spezifische Gruppe von Nervenzellen aktiviert. Bei Wiederholungen des Reizes stellen diese Zellen ihre Produktion von dem stärker wirkenden CRF auf das weniger aktivierend wirkende AVP um. So würde die Reaktion auf Streß allmählich abnehmen. Erfahren die Ratten jedoch eine neue Bedrohung, dann, so glauben die Wissenschaftler, aktiviert dies eine andere Gruppe von Nervenzellen, die sich mit der alten überschneidet. Diese Zellen setzten nun AVP gemischt mit CRF frei. Das verbessert die Streßreaktion, weil beide Hormone in die gleiche Richtung wirken.

Lang und Russel weisen darauf hin, daß dies ein Beispiel zu sein scheint, wie Lernen ohne Veränderungen in den Nervenverbindungen möglich ist. Stattdessen speichern die Nerven eine "molekulare Erinnerung" ihrer vergangenen Erfahrung mit Streß, um so in Zukunft eine angemessene Reaktion auf solche Reize zu ermöglichen.

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