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Schmetterlinge: Tötet Glyphosat den Monarchfalter?

Es schien eindeutig: Monsantos Herbizid vernichtet Amerikas Lieblingsschmetterling. Doch jetzt haben Forscher genauer hingeschaut, und es ist viel komplizierter.
Monarchfalter

Karen Oberhauser war gerade dabei, etwas mehr als 100 Kilometer nordwestlich von Mexiko-Stadt einen Berg hinaufzukraxeln, als sie begann, um die Zukunft des Monarchfalters zu bangen. Das war im Winter 1996/97. Die Ökologin arbeitete damals an der University of Minnesota und war eher an den flachen, tief gelegenen Mittleren Westen der USA gewöhnt. Daher kam sie auf den steilen und hoch gelegenen Wegen mächtig ins Schwitzen. Ihr Kopf schmerzte in der dünnen Luft. In einer Verschnaufpause sah sie Millionen von Monarchfaltern, die wie lebende Juwelen auf den Tannenbäumen an den Hängen drapiert waren.

Fast die gesamte Monarchfalterpopulation befand sich an diesem Ort sowie in einigen wenigen angrenzenden Wäldern – auf insgesamt nur etwa 18 Hektar. Wissenschaftler, die den Schmetterling erforschen, kannten diesen Ort, doch Oberhauser war zum ersten Mal dort. Ein einziger kräftiger Sturm oder ein illegaler Holzeinschlag, dachte sie, könnte den Ort auslöschen. »Dadurch wurde mir klar, wie unglaublich verletzlich sie sind«, erinnert sie sich.

Von diesem Wald aus begeben sich die Monarchfalter in einer bemerkenswerten jährlichen Migration im Sommer bis nach Kanada, und in jedem Winter kommen sie wieder nach Mexiko zurück. Auf dem Weg dorthin brüten und ernähren sie sich auf Farmfeldern im Mittleren Westen der USA in der Nähe von Oberhausers Heimat. Da die Bauern dort Mais- und Sojafelder mit dem Unkrautvernichtungsmittel Roundup übergossen, begann Oberhauser mehr und mehr zu ahnen, dass auch ihre Heimatregion zu einem Risiko für die Monarchfalter geworden war. Denn die Chemikalie tötet die für die Tiere wertvolle Seidenpflanze. Nur auf ihr legen ausgewachsene Schmetterlinge ihre Eier ab, und nur von ihr ernähren sich ihre Raupen.

Gefährdet ein Herbizid den Monarchfalter?

Oberhauser und ihre Kollegen begannen, Pflanzen und Eier zu zählen. Sie kamen zu dem Schluss, dass weniger Seidenpflanzen auf den Feldern weniger Eier bedeuteten, was wiederum bedeutete, dass weniger erwachsene Falter nach Mexiko zurückkehrten. Im Jahr 2012 veröffentlichte sie mit Kollegen die »Seidenpflanzen-Hypothese« und die alarmierende Schlussfolgerung: Roundup gefährdet die Migration der großen Monarchfalter.

Die Öffentlichkeit und viele Wissenschaftler schreckte diese Hypothese auf. Es klang logisch – eine wichtige Nahrungsquelle verschwand gerade dann, als die Schmetterlingspopulation Mexikos zusammenbrach. In jenem Winter, als Oberhauser die Monarchfalter zum ersten Mal sah, gab etwa 300 Millionen Exemplare. Etwas mehr als ein Jahrzehnt später waren es weniger als 100 Millionen. Oberhauser und ihre Kollegen empfahlen daher, Seidenpflanzen in großen Mengen anzupflanzen, um die Verluste auszugleichen. Tausende von »citizen conservationists« (Laien-Umweltschützern) folgten dem Aufruf, darunter Michelle Obama, die die Seidenpflanze im Garten des Weißen Hauses anpflanzte. Außerdem beantragten Umweltgruppen beim U.S. Fish and Wildlife Service, den Monarchfalter (Danaus plexippus plexippus) als bedrohte Art aufzulisten, um seinen Lebensraum besser zu schützen.

»Die Migration gleicht einem Marathon«Andrew Davis

Doch seitdem sind im Fall der Seidenpflanze einige wissenschaftliche Unklarheiten aufgetreten: Monarchfalter-Zählungen, die in den USA während und nach der Brutzeit im Sommer durchgeführt wurden, zeigten keinen stetigen Rückgang, selbst bei gleichzeitigem Rückgang der Anzahl in Mexiko. Zudem kamen viele mexikanische Schmetterlinge aus US-Gebieten, die nur wenige mit Roundup behandelte Getreidefelder aufwiesen. Skeptische Wissenschaftler behaupteten daher, die Insekten fänden in den nördlichen Klimazonen gute Bedingungen vor, allerdings stoße ihnen etwas auf ihrem Weg nach Mexiko zu. »Die Migration gleicht einem Marathon«, sagt Andrew Davis, ein Ökologe an der University of Georgia. »Wenn sich die Zahl der Teilnehmer, die den Marathon starten, in 20 Jahren nicht wirklich verändert hat, aber die Zahl derjenigen, die das Ziel erreichen, zurückgegangen ist, würde man nicht den Schluss ziehen, dass die Zahl der Teilnehmer zurückgeht. Sie würden zu dem Schluss kommen, dass während des Rennens etwas passiert.«

Was dieses »Etwas« ist, bleibt jedoch rätselhaft. Einige Daten deuten darauf hin, dass Landschaften Nektar spendende Pflanzen verloren haben, von denen sich erwachsene Monarchfalter auf ihrer Reise nach Süden ernähren, und dass die wichtigen Wälder am Ende der Wanderroute degradiert sind. Wissenschaftler haben auch spekuliert, Parasiten könnten die Migranten dezimiert haben. (Eine kleinere Monarchfalterpopulation, die an der kalifornischen Küste überwintert, ist vor Kurzem ebenfalls geschrumpft. Auch in diesem Fall zeigen sich Entomologen besorgt, aber der Lebensraum dieser Population überschneidet sich nicht mit dem der östlichen).

Um den Schmetterlingen zu helfen, muss man die Ursache kennen

Wie dem auch sei, Einigkeit herrscht darüber, dass die Winterpopulation in Mexiko trotz Schwankungen von einem Jahr zum anderen in den letzten drei Jahrzehnten zurückgegangen ist. Das sind keine guten Nachrichten für den Monarchfalter. Was man dagegen tun kann, hängt jedoch selbstverständlich von der Ursache ab. Oberhauser und ihre Verbündeten sind nach wie vor der Meinung, dass der Verlust der Seidenpflanzen Feind Nummer eins ist. Aber längst ist die Geschichte nicht mehr so einfach; der bereits identifizierte Bösewicht ist womöglich nicht allein. Das bedeutet: Es ist komplizierter als vermutet, den Insekten zu helfen.

Der erste Bericht über großen Scharen von Monarchfaltern stammt aus dem Jahr 1857. Ein Naturforscher beschrieb damals, Schmetterlinge würden im Mississippi-Tal »in derart großer Zahl auftreten, dass sie den Himmel verdunkeln«. Nach und nach fanden Biologen heraus, dass weibliche Monarchfalter dort und auch in anderen Teilen Nordamerikas mehr als 70 Arten von Seidenpflanzen (Gattung Asclepias) als Nahrung und zur Eiablage nutzen. Ein erwachsenes Weibchen kann bis zu 500 Eier legen. Nach getaner Arbeit stirbt es. Aus den Eiern schlüpfen Raupen, die sich schließlich in Schmetterlinge verwandeln; der Zyklus wiederholt sich vier- bis fünfmal im Lauf eines Jahres.

Raffinierte Generationenfolge

Monarchfalter, die in Mexiko überwintern, fliegen nach Norden und legen im Frühjahr in der Nähe der texanischen Grenze Eier. Ihre Nachkommen leben zwei bis sechs Wochen und bringen Generationen hervor, die in den Mittleren Westen und Süden und schließlich bis nach Neuengland und Kanada ziehen. Wenn sich die Tage im Herbst verkürzen, erblickt die letzte Schmetterlingsgeneration das Licht der Welt, die als »Supergeneration« bezeichnet wird. Diese Insekten können bis zu acht Monate leben, weil ihr Stoffwechsel sich verlangsamt und sie keine kostbare Energie für die Fortpflanzung aufwenden. Stattdessen reisen sie aus höheren Breiten bis nach Mexiko, wobei sie an einem Tag bis zu 160 Kilometer zurücklegen. Im Dezember lassen sich die Insekten, die diese Reise überlebt haben, auf mexikanischen Tannen nieder. Dort leben sie bis zum Frühjahr, um dann ihre Reise nach Norden zu beginnen und ihre Kinder die Odyssee fortsetzen zu lassen.

Erst in den späten 1970er Jahren entdeckten Biologen nach langer Suche die winzigen Bergwälder, in denen die Monarchfalter in Mexiko überwintern. Der verstorbene Lincoln Brower, der als Biologe am Amherst College und dann an der University of Florida arbeitete, konnte mexikanische Beamte davon überzeugen, die Wälder unter Schutz zu stellen. Damit rief er die Monarchfalterschutzbewegung ins Leben.

»Das hat mir die Augen geöffnet: Es zeigte mir, wie wichtig die Landwirtschaft wirklich sein kann, auch wenn wir sie als ein Ödland der Artenvielfalt betrachten«Karen Oberhauser

In den frühen 2000er Jahren entdeckten Oberhauser und John Pleasants, ein Ökologe an der Iowa State University, einen weiteren wichtigen Lebensraum für Monarchfalter: die Farmfelder von Iowa und anderen Staaten des Mittleren Westens, auf denen zwischen den Getreidereihen wachsende gewöhnliche Seidenpflanzen mit Monarchfaltereiern übersät waren. Anscheinend waren die Getreidefelder eine riesige Brutstätte. »Das hat mir die Augen geöffnet«, sagt Oberhauser. Es zeigte, »wie wichtig die Landwirtschaft wirklich sein kann, auch wenn wir sie als ein Ödland der Artenvielfalt betrachten«.

Nachfolgende Feldbesuche der beiden Forscher ergaben, dass die Seidenpflanzen auf diesen Feldern bis zu viermal mehr Eier enthielten als die Seidenpflanzen in natürlichen Prärien und auf zur Konservierung frei gegebenem Ackerland. »Sie schienen Monarch-Magneten zu sein«, sagt Pleasants.

Die amerikanischen Farmfelder standen jedoch vor einer beispiellosen ökologischen Säuberung. Der Chemiekonzern Monsanto hatte Mais- und Sojapflanzen mit einem Gen manipuliert, so dass ihnen das Herbizid Glyphosat (Handelsname Roundup) nichts anhaben konnte. Infolgedessen wurde Roundup großzügig auf die Felder gesprüht. Die Geld bringenden Nutzpflanzen blieben unversehrt, während fast alles andere auf einem Feld abgetötet wurde. Für die Landwirte waren Sorten wie »Roundup Ready« Mais und Soja ein Segen. Für alle andere Pflanzen, die Platz zwischen den Erntereihen beanspruchten, war der Einsatz von Roundup hingegen ein Todesurteil. Im Jahr 2007 waren fast der gesamte angebaute Soja und mehr als die Hälfte des Maises in den USA »Roundup Ready«-Sorten.

Es schien eindeutig am Glyphosat zu liegen

Auf der Grundlage ihrer Daten aus Iowa schätzten Pleasants und Oberhauser, dass zwischen 1999 und 2010 die Gesamtzahl der Seidenpflanzen im Mittleren Westen um 58 Prozent zurückgegangen war. Brower und seine Kollegen hatten berichtet, dass innerhalb dieser Zeitspanne die Populationen der überwinterten Monarchfalter stark zurückgegangen waren. Tatsächlich verringerte sich im Winter 2009/10 die von ihnen besetzte Fläche des mexikanischen Waldes auf weniger als die Hälfte des Vorjahres und sank erstmalig seit Beginn der Aufzeichnungen in den frühen 1990er Jahren auf unter zwei Hektar für die Zeit. Eine Verbindung zwischen den beiden Trends schien offensichtlich, und Pleasants und Oberhauser beeilten sich, ihren bahnbrechenden Artikel im Jahr 2012 zu veröffentlichen. Darin argumentierten sie, dass der Verlust der Seidenpflanzen im Mittleren Westen den Monarchfalter tötete. Oberhauser nannte es einen »eindeutigen Beweis«.

Hätte es sich um ein anderes Insekt gehandelt, hätten vermutlich nur einige spezialisierte Wissenschaftler davon Kenntnis genommen. Aber der Monarchfalter hat einen besonderen Platz in den Herzen der Menschen. Die leuchtend orangene Farbe und die Größe des Insekts, die sanften Schleifen seines Fluges und vor allem seine spektakuläre Wanderung haben den Monarchfalter zu einer Berühmtheit gemacht.

Und nun hatte die Geschichte einen Bösewicht, der großen Unmut in der Bevölkerung auslöste. Der Hersteller von Roundup, Monsanto (heute Teil des Mischkonzerns Bayer), verkörperte die Ängste vieler Menschen vor der Gentechnik und vor der unternehmerischen Kontrolle der Landwirtschaft. Die Vorstellung, dass Monsantos Vorzeigeprodukt das amerikanische Vorzeigeinsekt tötete, sorgte für Schlagzeilen. Eine Armee von Naturschützern wappnete sich, um den Monarchfalter zu retten.

Die First Lady pflanzt Seidenpflanzen

Bis 2014 waren dank eines von dem Insektenökologen Orley »Chip« Taylor von der University of Kansas geleiteten Programms zur Anpflanzung von Seidenpflanzen mehr als 10 000 »Monarch Way Stations« im ganzen Land entstanden. In den folgenden Jahren versprachen Präsident Barack Obama und seine mexikanischen und kanadischen Amtskollegen allesamt, den Schmetterling zu schützen. Und einige Monate später zeigten Fotos die First Lady, wie sie in einem speziellen Bestäubergarten Seidenpflanzen anpflanzte.

Doch schon damals vermuteten einige Wissenschaftler, dass die Seidenpflanzen-Hypothese auf einem wackeligen wissenschaftlichen Fundament gebaut sei. Einer der Ersten, der Zweifel äußerte, war Davis, der Ökologe aus Georgia. Er hatte Zählungen von Monarchfaltern analysiert, deren spätsommerliche Reise nach Mexiko sie durch ein paar Engpässe führte: Peninsula Point, der im Norden in den Michigansee hineinragt, und Cape May in New Jersey, einen kleinen Streifen Land, der vom Atlantik und der Bucht von Delaware begrenzt wird. An jedem dieser Orte haben Freiwillige mehrere Jahrzehnte lang am Ende des Sommers nach Süden ziehende Insekten und Vögel gezählt. Bei den Monarchfaltern zeigten die Zahlen allerdings keinen kontinuierlichen Rückgang, sondern sie schwankten von Jahr zu Jahr, wie es für Insektenpopulationen typisch ist.

»Niemand wollte hören, dass die Monarchen nicht weniger werden, so verrückt das auch klingt«Andrew Davis

Im Jahr 2012 veröffentlichte Davis seine Ergebnisse, die jedoch angezweifelt wurden. Oberhauser und Pleasants bemerkten etwa, dass die Engpässe nördlich und östlich des Maisgürtels lagen, so dass sie die Verluste auf den Feldern im Mittleren Westen nicht erfassen würden. »Niemand wollte hören, dass die Monarchfalter nicht weniger werden, so verrückt das auch klingt«, sagt Davis.

Doch seine Arbeit erregte die Aufmerksamkeit von Anurag Agrawal, einem Evolutionsökologen von der Cornell University, der untersucht hatte, wie Monarchfalter in Seidenpflanzen entstehende chemische Produkte verwenden. Auch Agrawal begann zu vermuten, dass die Geschichte von Pleasants und Oberhauser zwar auf den ersten Blick überzeugend klang, aber letztlich doch zu einfach war, um die Populationsdynamik einer Insektenart zu erklären, die eine riesige und abwechslungsreiche Landschaft durchquert. In seinem Heimatstaat New York zum Beispiel schmiegen sich Farmfelder an Wiesen, Weiden und andere Ökosysteme. Er vermutete, dass, selbst wenn die Seidenpflanze aus den Getreidereihen verschwinden würde, es für die Monarchfalter genügend andere Orte gäbe, an denen sie die Pflanzen fänden.

Nicht allen hätte diese Sichtweise gefallen, so Agrawal. Bei einem Treffen 2012, das Oberhauser an der University of Minnesota veranstaltete, fragte er eine Gruppe von Teilnehmern, was sie von Davis' kürzlich erschienenem Artikel hielten. Der Ökologe erinnert sich daran, dass Chip Taylor ihn am Arm packte und aufforderte, bitte nicht zu sagen, dass der Niedergang des Monarchfalters übertrieben sein könnte, weil dies die Naturschutzbemühungen untergraben würde. »Ich war völlig perplex«, sagt Agrawal. »Wenn jemand in deine Intimsphäre eindringt, deine Hand nimmt und sagt: ›Ich will das nicht hören‹ – das werde ich nie vergessen.« Taylor hingegen behauptet, er erinnere sich nicht an die Begegnung und bezweifle, dass sie so stattgefunden habe.

Forscher finden keine Hinweise auf Rückgang

Aber es gab auch Menschen, die die Zweifel von Agrawal und Davis teilten. Leslie Ries, Ökologin an der University of Georgetown, die ebenfalls an diesem Treffen teilnahm, schaute sich die Daten des Überwachungsprogramms der North American Butterfly Association (NABA) an. Die Gruppe rekrutiert Freiwillige, die zu ausgewählten Standorten fahren und alle Schmetterlinge zählen, die sie innerhalb eines Umkreises von 24 Kilometern an einem Tag sehen. Ries berichtete in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2015, dass ihre Daten sowie ein separater Datensatz, der speziell für Illinois erstellt wurde, keinen Hinweis auf einen Rückgang der Monarchfalterpopulation im Norden über die vergangenen 21 Jahre enthielt.

Agrawal ging noch einen Schritt weiter und trug etliche Langzeitdaten von Monarchfalterpopulationen zu verschiedenen Zeitpunkten ihres Lebenszyklus zusammen, darunter die Überwinterungsdaten, die NABA-Daten und die Engpasszählungen. Er und seine Kollegen wollten prüfen, ob sich aus Populationsschätzungen eines Stadiums Zahlen für das nächste Stadium ableiten ließen. Ein solcher Zusammenhang wäre entscheidend für das Argument, dass weniger Seidenpflanzen im Mittleren Westen im Sommer zu weniger Schmetterlingen in Mexiko im Winter führen.

Die Wissenschaftler berichteten im Jahr 2016 in der Zeitschrift »Oikos« und erneut im Jahr 2018 in »Science«, dass sich am Ende dieser Abfolge gewissermaßen eine große Lücke auftat: Die letzten Zählungen am Ende des Sommers konnten die Winterpopulationen nicht voraussagen. Stattdessen waren die Zahlen der Sommerzählungen in etwa konstant geblieben, während die Winterzählungen zurückgingen. Daher stimmten Agrawal und seine Ko-Autoren mit Davis überein und vermuteten, dass irgendetwas die Monarchfalter während ihrer Herbstwanderung nach Süden zu minimieren schien. Dieses Ereignis hätte einen größeren Einfluss auf die Anzahl der Tiere als irgendwelche Ereignisse während der Sommerbrut.

Skeptiker bekommen Munition

Eine andere Art von Studie gab den Skeptikern weitere Munition. Im Jahr 2017 versuchte Tyler Flockhart, damals Populationsbiologe an der University of Guelph in Ontario, nicht etwa herauszufinden, warum die Monarchfalter starben, sondern woher sie kamen. Er und seine Kollegen analysierten Isotope der Elemente Wasserstoff und Kohlenstoff in mehr als 1000 Monarchfaltern, die Brower und andere über vier Jahrzehnte in Mexiko gesammelt hatten. Diese Isotope sind in verschiedenen Regionen in unterschiedlichen Verhältnissen vorhanden und werden von den Insektenkörpern und -flügeln aufgenommen. Sie bilden eine Art geografische Signatur, die anzeigt, wo die überwinternden Schmetterlinge ursprünglich gefressen haben. Flockhart kam zu dem Schluss, dass der Mittlere Westen nur für etwa 38 Prozent der mexikanischstämmigen Monarchfalter der Ausgangspunkt zu sein schien. Die Tiere kamen auch in großer Zahl aus dem Nordosten und Süden der USA sowie aus Zentral- und Ostkanada, wo Mais und Sojabohnen prozentual deutlich weniger Land bedecken.

Für Agrawal und Davis hatte Flockhart sogar noch vernichtendere Beweise gegen die Seidenpflanzen-Hypothese vorgelegt: Wenn anfangs weniger als zwei von fünf Monarchfaltern aus dem Maisgürtel kommen, fragten sie, wie kann dann der Verlust der Seidenpflanzen dort für die dramatischen Verluste in Mexiko verantwortlich sein?

Flockhart selbst ist vorsichtiger. Auch wenn es in ganz Nordamerika noch genügend Seidenpflanzen gibt, um eine gesunde Monarchfalterpopulation zu ernähren, vermutet er, dass der Einsatz von Roundup das Vorkommen der Seidenpflanze in einer Weise verändert haben könnte, die Schaden anrichtet. Wenn die Wirkung der Chemikalie darin besteht, dass sich die Seidenpflanzen auf kleinere Gebiete außerhalb der landwirtschaftlichen Nutzflächen konzentriert haben, müssen die weiblichen Monarchfalter möglicherweise alle ihre Eier näher beieinander legen, wodurch mehr Raupen um die gleiche Nahrung konkurrieren.

Sie müssen einen anderen Schuldigen finden

Flockharts Spekulation zeigt das Dilemma auf, in dem sich die Gegner der Seidenpflanzen-Hypothese wie Agrawal und Davis befanden. Einfach nur Unstimmigkeiten der Hypothese reichten nicht aus. Sie brauchten einen anderen Schuldigen, um die restlichen Wissenschaftler davon zu überzeugen, dass etwas anderes im Gange war – sie hatten aber nicht wirklich einen.

Doch im Frühjahr 2019 fand ein anderes Forscherteam zwei mutmaßliche Verdächtige: Schäden an Nektar produzierenden Pflanzen entlang der Wanderroute und Veränderungen der Walddichte in Mexiko. Das Team unter der Leitung von Elise Zipkin, einer quantitativen Ökologin an der Michigan State University, zeigte statistische Korrelationen zwischen den Populationsgrößen der Monarchfalter zu verschiedenen Zeiten des Jahres und einer Vielzahl von Umweltdaten. Es war die erste Untersuchung, bei der die Wintermonarchfalter in ihre 19 Einzelkolonien aufgeteilt wurden, anstatt alle bewaldeten Gebiete in einen Topf zu werfen. Es stellte sich heraus, dass Kolonien mit dichterem Waldbestand mehr Schmetterlinge beherbergten. »Es ist schockierend, dass das vorher noch niemand getan hatte«, fand Zipkin.

Zipkins Team nutzte zusätzlich Satellitenbilder, um die Menge an lebenden Pflanzen in einer bestimmten Landschaft zu quantifizieren. Als es im Herbst im Süden der USA grüner wurde, kamen mehr Monarchfalter nach Mexiko; als es brauner wurde, wie es bei Dürreperioden der Fall ist, trafen weniger ein. Dieses Muster entstand, weil grünere, gesündere Pflanzen mehr Nektar produzieren, von dem sich wandernde Monarchfalter ernähren können, vermuten Zipkin und ihre Koautoren. Und in der Tat wurde der Süden der USA zwischen 2010 und 2013 von einer starken Dürre heimgesucht, gerade als die mexikanische Monarchfalterpopulation die Talsohle durchschritten hatte.

Es gibt womöglich viele Schuldige

Die Studie lieferte Agrawal und Davis nun eine andere Ursache für den Populationsrückgang in der Spätphase der Migration als die Seidenpflanze. »Das ist die Untersuchung, die sich quantitativ am stärksten damit befasst«, sagt Agrawal. Daneben gibt es aber auch weitere, eher vage umrissene Verdächtige. Davis glaubt etwa, dass ein Parasit, der Monarchfalter infiziert, auf dem Vormarsch ist. Nach Untersuchungen der Ökologin Sonia Altizer von der University of Georgia, einer Kollegin von Davis (sie und Davis sind verheiratet), könnten die Infektionen mit Ophryocystis elektroscirrha, bei Insekten im Süden der USA ansteigen und sie schwächen oder töten. Laut Davis und anderen Forschern könnte darüber hinaus die Veränderung des Lebensraums den physiologischen Stress der wandernden Monarchfalter erhöhen und ihre Ausdauer während der langen Herbstwanderung beeinträchtigen.

Es gibt also Hinweise darauf, dass es nicht nur einen, sondern mehrere Schuldige gibt, die für den Niedergang des Monarchfalters verantwortlich sind. Diese Perspektive hat sogar die ursprüngliche Befürworterin des Seidenpflanzen-Hypothese Karen Oberhauser teilweise überzeugt. »Ich war wahrscheinlich zu stark auf mein Argument fixiert, dass im Bereich der Wanderungswege nichts passiert ist«, sagt die Wissenschaftlerin, die jetzt Direktorin des Arboretum der University of Wisconsin-Madison ist.

Sie glaubt allerdings immer noch, dass der Verlust von Seidenpflanzen der wichtigste Grund für den Rückgang ist. »Ich kenne Andy und Anurag wirklich gut. Ich mag sie beide sehr«, sagt Oberhauser. »Aber ich habe dieses Argument irgendwie satt, dass etwas anderes als die Ausrottung der Seidenpflanzen in erster Linie für die Dezimierung des Winterbestands verantwortlich sein soll.« Wie könne etwas, was so viele Monarchfalter auf dem Weg nach Mexiko auslösche, verborgen bleiben, fragt sie. Und ein Computermodell, das sie und einige Kollegen in einer Studie aus dem Jahr 2017 verwendet haben, zeigt erneut, dass nur die Verfügbarkeit von Seidenpflanzen und Wetteränderungen einen starken Einfluss auf die Anzahl der Monarchfalter haben.

»Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Menge an Milchkraut in der Landschaft die Monarchen nicht beeinflusst«Elise Zipkin

Oberhauser und Pleasants behaupten daneben, dass die Sommerzählungen, die keinen Rückgang zeigen – die Zahlen, auf die sich Agrawal, Ries und Davis berufen –, nicht verlässlich seien: Die Zahlen wurden von Freiwilligen erhoben, die nur selten auf den Feldern waren, so dass sie den starken Bevölkerungsrückgang an diesen Orten womöglich verpassten. Wenn die Winterpopulationen der Monarchfalter von Jahr zu Jahr auf immer geringere Zahlen schrumpfen, wie könnten dann die Nachkommen dieser schrumpfenden Gruppe in vielen Jahren wieder auf die gleichen hohen Sommerzahlen kommen? »Es macht einfach biologisch absolut keinen Sinn«, sagt sie.

Zipkin ist ebenfalls der Meinung, dass die Seidenpflanzen-Hypothese weiterhin im Spiel ist. Zusammen mit Oberhauser hat sie in Daten aus Illinois Belege dafür gefunden, dass der Einsatz von Glyphosat in Verbindung mit Veränderungen des Frühlingswetters die Anzahl der Monarchfalter im Sommer beeinflussen kann. »Es fällt mir schwer zu glauben, […] dass die Menge an Seidenpflanzen in der Landschaft die Monarchfalter nicht beeinflusst. Meine Frage lautet eher: Wie sehr wirkt es sich auf die Monarchfalter aus?«

Das ist in der Tat die Frage, die sich jeder stellt. Um eine Antwort zu erhalten, haben Wissenschaftler ein Datenerfassungsprogramm namens Integrated Monarch Monitoring Program ins Leben gerufen. Dessen Ziel ist es, statistisch robuste Zählungen von Monarchfaltern unter verschiedenen Lebensbedingungen an Hunderten von Orten auf dem gesamten Kontinent der USA durchzuführen. Die Programmleiter haben nach dem Zufallsprinzip Standorte ausgewählt und sowohl professionelle Wissenschaftler als auch Laien eingeladen, diese zu überwachen und Daten anhand standardisierter Richtlinien einzusenden. So wollen die Forscher nach Trends suchen können. Seit 2017 sammeln Freiwillige Daten, und inzwischen überwachen 120 Personen 235 Standorte. »Der Datenstrom nimmt immer mehr zu«, sagt Oberhauser.

Monarchfalter in Mexiko auf Rekordtief

Alle Seiten sind sich jedoch einig, dass die Hilfe für den Monarchfalter nicht warten kann, bis die Wissenschaft sich sicher ist. Das von den Monarchfaltern besetzte Gebiet des mexikanischen Waldes ist im Jahr 2013 auf eine Fläche zurückgegangen, die kaum größer ist als ein normales Fußballfeld – ein Rekordtief. Obwohl sich die Wanderbevölkerung seither etwas erholt hat, betrachten die meisten Forscher den Status der Falter immer noch als prekär. Der U.S. Fish and Wildlife Service sagt, dass er im Lauf des Jahres 2020 über die Petition über die gefährdeten Arten entscheiden wird.

Um die Schmetterlingshabitate im Allgemeinen zu verbessern, wünscht sich Oberhauser, dass das US-Landwirtschaftsministerium die Hektarzahl in seinem Conservation Reserve Program erhöht. Dieses wichtigste Bundesprogramm zur Unterstützung von Wildtiergebieten auf landwirtschaftlich genutzten Flächen ist von einem Höchststand von fast 15 Millionen im Jahr 2007 auf unter 9,3 Millionen zurückgegangen.

Außerdem sind Maßnahmen notwendig, um die mexikanischen Wälder besser zu schützen, sagen Forscher. Obwohl das Kernwaldgebiet offiziell als Weltnaturerbe der Vereinten Nationen gilt und eigentlich geschützt ist, geht die Abholzung an der Peripherie weiter; dort, wo sich auch Schmetterlinge aufhalten. Illegale Avocadoplantagen verkleinern den Lebensraum zusätzlich. Auch die Klimaerwärmung könnte das Reservat für Tannen unwirtlich machen, da diese relativ niedrige Temperaturen benötigen. Deshalb werden bereits Anstrengungen unternommen, diese Bäume in höheren und kühleren Gebieten an den Berghängen zu pflanzen.

Fazit: Der Monarchfalter war bereits vieles: eine Besessenheit für Gärtner und Naturforscher, ein Prüfstein für Naturschützer, ein internationaler Botschafter des guten Willens für Politiker und, für einen Großteil der Öffentlichkeit, ein Angst einflößendes Symbol für den zunehmenden Einfluss des Menschen auf den Planeten. Für die Wissenschaft begann im 19. Jahrhundert die Monarchfalterwanderung als ein Rätsel, dessen Lösung im folgenden Jahrhundert den Schmetterling als ein Wunder der Natur etablierte. Erneut steht der Schmetterling im Zentrum eines Rätsels. Dieses Mal könnte sein Schicksal von der Lösung abhängen.

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