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Klimageschichte: Monster im Treibhaus

Selbst die größte Würgeschlange ist ja harmlos, wenn ihr zu kalt für schnelle Jagdbewegung ist. Die Zeitgenossen der einst allergrößten aller Boas dürfte das allerdings nicht beruhigt haben: Wo das Schlangenmonstrum lebte, wurde es niemals kühl.
Eine Paläozänidylle
Südamerika, 60 Millionen Jahre v. Chr.: Ein Leben wird gleich enden, und zwar gewaltsam. Das riesige Krokodil schiebt sich durch den heißen Schlamm des dampfenden Regenwalds und öffnet, noch träge, sein Maul – zum letzten Mal, denn das 13 Meter lange Monster hinter ihm packt mit brachialer Körperkraft zu. Langsam, geduldig und unwiderstehlich wird das plötzlich hilflose Krokodil weiter umschlungen, erstickt und schließlich, das unausweichliche Ende, auf Nimmerwiedersehen verschluckt. Titanoboa cerrejonensis hat zugeschlagen, die größte Würgeschlange aller Zeiten.

So weit die Vorstellung von Jason Head. Der an der Universität von Toronto-Mississauga beschäftigte Fossilforscher rekonstruiert die Jagdszene aus dem Paläozän anhand einiger nur auf den ersten Blick gewöhnlich erscheinender Rückenwirbel, die er und seine Kollegen mitten im Tagebautrubel des nordkolumbianischen Kohlereviers von Cerrejon aus der Erde geholt hatten. Wo heute Kohle gefördert wird, wuchs einst tropischer Regenwald mitsamt einer bizarren Gigantofauna – ein Paradies für Freunde paläogener Ökosysteme.

Eine Paläozänidylle | Der rund 13 Meter lange Würgeschlangengigant Titanoboa cerrejonensis lässt Riesenkrokodile und Megaschildkröten ziemlich mickrig erscheinen. Zu Lebzeiten der Tiere vor 60 Millionen Jahren war es im Gebiet des heutigen Kolumbiens das ganze Jahr lang brütend heiß – tropische Regenwälder gediehen hier dennoch.
Die einstige Artengemeinschaft vor Ort war vielfältig: Die Forscher finden neben den fossilen Vegetationsresten – derzeit die ältesten bekannten Spuren eines tropischen Regenwaldes – die Überreste von Riesenkrokodilen und Megaschildkröten. Beide waren aber wohl nur Jagdbeute des von Head und Co zu Tage geförderten, weit eindrucksvolleren Giganten. Die typisch geformten, aber grotesk überdimensionierten alten Würgeschlangenwirbel lassen sich neben dem alles andere als zierlichen Rückgrat einer Anakonda, der längsten heute lebenden Schlange, geradezu riesenhaft aus. Die Urschlange muss mit solchen Wirbeln umgerechnet 13 Meter lang und mehr als eine Tonne schwer gewesen sein – einem Menschen würde der massige Leibeswulst an der mächtigsten Stelle bis zur Hüfte ragen.

Riesenschlangen im Wald

Und das ist konservativ geschätzt, denn wären die fossilen Wirbel gar Teil schmalerer, vorderer oder hinterer Rückenpartien gewesen, so mag ihr Besitzer auch bis zu 15 Meter Länge erreicht haben. Die Schlange hatte damit zu ihrer Zeit sicherlich den Weltrekord als größtes aller Landlebewesen von den Dinosauriern geerbt, die vor 60 Millionen Jahren ja gerade erst ausgestorben waren.

Würgeschlangen-Wirbelvergleich | Links die Wirbel einer gut fünf Meter langen modernen Anakonda, rechts das 60 Millionen Jahre alte Gegenstück von Titanoboa cerrejonensis, die vielleicht 13 bis 15 Meter lang werden konnte.
Irgendetwas passte aber nicht ganz ins Bild, das sich Head und Kollegen von den Jagdszenen des Riesen im Regenwald malten. Die Forscher begannen mit einer Checkliste: Welche Umweltbedingungen müssen eigentlich erfüllt sein, damit das Konstruktionsprinzip "Schlange" in Titanoboa-Dimensionen ausgeführt werden kann? Jedes wechselwarmes Tier, so der vom Team ausgemachte Knackpunkt, braucht, einer überall erstaunlich gültigen Faustregel nach, bei zunehmender Größe eine zunehmend höhere mittlere Jahresdurchschnittstemperatur. Um als Schlangengigant noch flott und funktionabel durchs Leben zu kommen, musste diese zu Zeiten von Titanoboa cerrejonensis etwa 30 bis 34 Grad Celsius betragen haben, errechneten die Forscher anhand des naheliegenden Vergleichs mit den Daten einer Anaconda.

Fein, es war dann also wohl nett mollig, damals. Eigentlich sogar, wissenschaftlich gesehen, zu mollig: Wie manche Ökologen und Klimaforscher bislang kaum hinterfragt angenommen hatten, verträgt ein tropischer Regenwald solche Temperaturen nicht, vor allem wenn auch der entscheidende Niederschlag ausbleibt. Gleichzeitig belegen nun aber viele Vegetationsfossilfunde aus der kolumbianischen Kohlegrube eindeutig, dass sich eine hitzeabhängige Riesenschlange wirklich zwischen Regenwaldbäumen hindurchschlängelte. Sind Tropenwaldökosysteme demnach also härter im Nehmen als gedacht? Vielleicht verkraften sogar auch ihre spärlichen modernen Reste eine Klimaerwärmung um bis zu vier Grad?

Heiße Wälder oder nicht?

Natürlich ist und bleibt das ein Schreckensszenario. Bei den Überlegungen zum per Schlangenfund korrigierten Paläoklima fasziniert die Forscher eher, dass die Resultate jene neuen Messungen stützen, die ebenfalls eine mit alten Methoden noch vor ein paar Jahren nicht nachweisbare, recht hohe Temperatur in den tropischen Breiten vor 60 Millionen Jahren gefunden hatten.

Offenbar schwankt die Temperatur über die Jahrmillionen gesehen auch in den Tropen recht stark, so die Schlussfolgerung – eine Erkenntnis, die vor ein paar Jahren nicht unbedingt im Mainstream der Klimamodellisten lag. Vielmehr standen Hinweise im Vordergrund, dass trotz recht wilder Temperaturschwankungen in höheren Breiten die Bedingungen in den Tropen stets recht gleich blieben – wegen eines in der Ursache nicht genau verstandenen Mechanismus, den man als Tropenthermostat verstehen könnte.

Würde dieser existieren, dann könnte er ja im Prinzip auch im Zeitalter der anthropogenen Klimaveränderung gegensteuern – und zumindest einen Rückzugsraum für die Tropenfauna und -flora bereithalten, in dem sich temperaturtechnisch nicht allzu viel ändert, hoffen manche. Diese Hoffnung stirbt natürlich zuletzt angesichts der Realität – Belege aber finden sich nicht für die Existenz eines Tropenklimagleichreglers. Dass Gigantenschlangen in sehr heißen Tropenwäldern Krokodile verspeisten, belegt jedenfalls eher das Gegenteil.

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  • Quellen
Head, J. et al.: Giant boid snake from the Palaeocene neotropics reveals hotter past equatorial temperatures. In: Nature 457, S. 715–718, 2009.

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