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Moralexperiment: Für Kinder ist ein Hund so viel wert wie ein Mensch

In der Regel bevorzugen wir unsere eigene Spezies: Wir stellen das Leben eines Menschen über das eines Tieres. Kinder tun das allerdings weniger als Erwachsene.
Ein Mädchen und ihr Hund sitzen sich gegenüber und schauen einander an.

Zwei Schiffe sinken, auf dem einen befindet sich ein Mensch, auf dem anderen ein Hund. Nur einer kann gerettet werden – wer soll es sein? Mit diesem tragischen Dilemma konfrontierten Psychologen und Ethiker der Universitäten von Yale, Harvard und Oxford junge und alte Versuchspersonen. Das Anliegen der Forscher: zu prüfen, ob Kinder ebenso wie Erwachsene ein Menschenleben über das Leben eines Tieres stellen.

Das Team um den Psychologen Matti Wilks von der Yale University warb dazu rund 220 Erwachsene sowie rund 200 Kinder zwischen fünf und neun Jahren an. Sie alle sollten angeben, wen sie eher von einem sinkenden Schiff retten würden: Mensch oder Tier. Mal handelte es sich um einen Hund, mal um ein Schwein, und dabei befand sich auf dem einen Boot stets ein Exemplar, auf dem anderen entweder eines, zwei, zehn oder hundert.

Bei den Erwachsenen war das Ergebnis eindeutig: 85 Prozent wollten den Menschen retten, acht Prozent den Hund. Bei den Kindern war das Verhältnis hingegen fast ausgeglichen: 35 Prozent zogen den Menschen vor, 28 Prozent den Hund, der Rest konnte sich nicht entscheiden. Ging es um mehrere Hundeleben, kippte die Waage in Richtung Tier: 71 Prozent der Kinder wollten lieber 100 Hunde als einen Menschen retten. Bei den Erwachsenen entschied sich mit 61 Prozent auch dann noch die Mehrheit für den einen Menschen.

»Im Schnitt neigen Erwachsene dazu, Menschen den Hunden vorzuziehen, Kinder aber nicht«, fassen die Autoren ihre Ergebnisse in der Zeitschrift »Psychological Science« zusammen. Ging es um Schweine an Stelle von Hunden, zogen zwar alle Altersgruppen eher den Menschen vor – Kinder allerdings weniger deutlich.

Wilks und seine Kollegen prüften auch, womit die Entscheidung für Mensch oder Tier zusammenhing. Bei den Kindern kam es am meisten darauf an, wie viel Kontakt sie zu Hunden hatten, bei den Erwachsenen hingegen, wie viel Intelligenz sie den Tieren zusprachen. Für die unterschiedlichen Präferenzen machen die Forscher außerdem den so genannten Speziesismus verantwortlich: die Tendenz, die eigene Art zu bevorzugen und Leben und Leid anderer Spezies geringer zu schätzen. Kinder würden erst im Lauf der Jugend mehr und mehr zu der Überzeugung kommen, dass Menschen eine moralische Sonderstellung einnehmen.

»Die starke Ausprägung von Speziesismus bei Erwachsenen könnte eine sozial erworbene Ideologie sein«, schlussfolgern die vier Autoren. Ihre Befunde würden somit eine gängige Theorie in Frage stellen, schreiben sie: dass der besondere Wert menschlichen Lebens tief in unserer Moral verwurzelt und nicht sozial geprägt sei.

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