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News: Moralische Werte müssen die Gesellschaft zusammenhalten

Über 60% der türkischen Jugendlichen in Berlin-Kreuzberg begeben sich gar nicht mehr auf Lehrstellensuche. Ein Indiz dafür, daß eine interkulturelle Integration in Deutschland immer schlechter funktioniert. Die Folgen sind absehbar: Die (Selbst-)Ausgrenzung und Ghettoisierung sozialer Randgruppen birgt einen gesellschaftspolitischen Sprengstoff, der sich etwa in Jugendkriminalität und Bandenkriegen entladen kann.
Diese alarmierenden Thesen präsentierte der Bielefelder Soziologe Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Sektion "Politische Theorien", an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Zum Thema "Fundamentalismus, Kommunitarismus, Universalismus" hatte Tagungspräsident Prof. Dr. Hans-Joachim Giegel (Jena) geladen. Welche Rolle moralische Werte noch in unserer modernen, ausdifferenzierten Industriegesellschaft spielen und wie sich die sozialen Subsysteme – z. B. Wirtschaft und Gesundheitswesen – ethischen Gerechtigkeitsprinzipien unterziehen lassen, stand im Mittelpunkt der Diskussion. Daß Menschen immer eine Wertebindung entwickeln, daß aber die gesellschaftliche Moral attraktiver werden müsse, um durchgesetzt werden zu können, unterstrich Prof. Dr. Hans Joas (Berlin) in seinem Eröffnungsvortrag.

Eine unkontrollierte Verselbständigung der Teilsysteme nach nicht gesellschaftlich legitimierten Prinzipien trage bedenkliche Folgen. Darauf wies Dr. Volker Schmidt (Mannheim) hin. Der Behauptung, daß Marktgesetzmäßigkeiten alles von selbst regeln würden, wollte sich der Mannheimer Soziologe keinesfalls anschließen: Auch die Wirtschaft und die Medizin brauchten gesellschaftliche Wertmaßstäbe, die sie nicht eigenmächtig konstruieren dürften.

Vielmehr müsse ein Prozeß in Gang gesetzt werden, nach dem der Gerechtigkeitssinn des Einzelnen in politisches Handeln umschlage und zur Kontrolle und zur Integration der gesellschaftlichen Subsysteme führe, beschrieb Dr. Hartmut Rosa (Jena) einen denkbaren Weg aus dem Dilemma. Die Frage, nach welchem Solidaritätsreglement unser Gemeinwesen zu organisieren sei, müsse höher bewertet werden als individueller Eigennutz: "Das ist der Widerstreit zwischen dem Ich als Staatsbürger, das sozial denkt, und dem Ich als Marktbürger, das nach Kosten-Nutzen-Aspekten abwägt."

Trotz unüberhörbarer Warnungen vor einer übertriebenen Moralisierung von Sachfragen waren sich die Soziologen beinahe einig darin, daß nur ein Kanon allgemein gültiger und akzeptierbarer philosophischer Wertmaßstäbe die moderne Gesellschaft in Frieden zusammenhalten könne. Sonst drohe eine Zersplitterung des Gemeinwesens und ein Rückfall in radikal-fundamentalistische Orientierungen, wie er sich bei der kulturellen Minderheit der türkischen Jugend in Berlin bereits andeutet.

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