Stoffwechselerkrankungen: Mütterlicher Diabetes beeinflusst Kindesentwicklung

Eine Diabeteserkrankung vor beziehungsweise während der Schwangerschaft könnte das Risiko neurologischer Entwicklungsstörungen beim Kind erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommt eine chinesische Forschungsgruppe um Zhixiong Liu von der Central South University im chinesischen Changsha. Das Team hat in einer Übersichtsarbeit insgesamt 202 Studien und die Daten von 56 Millionen Mutter-Kind-Paaren ausgewertet. Den Ergebnissen zufolge steht mütterlicher Diabetes mit einem um 28 Prozent erhöhten Risiko einer beeinträchtigten neurologischen Entwicklung des Kindes in Verbindung. Fachleute betonen allerdings, es sei nicht klar, ob der Zusammenhang ursächlich ist. Zudem erlaube eine relative Risikosteigerung keine direkte Aussage über das absolute Risiko.
Frauen können vor oder während der Schwangerschaft an verschiedenen Arten des Diabetes erkranken. Die in Deutschland häufigste Form ist der Diabetes Typ II, der etwa zehn Prozent aller Erwachsenen betrifft. Er wird in der Regel von Übergewicht, schlechter Ernährung und Bewegungsmangel verursacht; seine Häufigkeit nimmt zu. Weniger verbreitet ist Diabetes Typ I, der oft im Kindesalter beginnt, wahrscheinlich häufig genetisch bedingt ist und weniger als ein Prozent aller Erwachsenen betrifft. Zudem können Frauen während ihrer Schwangerschaft einen so genannten Schwangerschaftsdiabetes bekommen; Risikofaktoren dafür sind vor allem Übergewicht, Diabetesfälle in der Familie sowie ein fortgeschrittenes Alter. Da die Verbreitung von Diabeteserkrankungen in der Bevölkerung zunimmt, steigt vermutlich auch die Anzahl der Frauen, die während ihrer Schwangerschaft davon betroffen sind.
Zhixiong Liu und sein Team haben in ihrer Metaanalyse ermittelt, wie sehr sich das Risiko einer neurologischen Entwicklungsstörung erhöhte, wenn die Mutter vor oder während der Schwangerschaft unter Diabetes litt. Sie kamen auf insgesamt 28 Prozent, wobei sich die Werte je nach Umstand stark unterscheiden: Für Autismus etwa lag die Risikosteigerung bei 25 Prozent, für ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) bei 30 Prozent, für eine geistige Behinderung bei 32 Prozent, für eine spezifische Entwicklungsstörung bei 27 Prozent, für eine Kommunikationsstörung bei 20 Prozent und für eine motorische Störung bei 17 Prozent. Bestand der Diabetes bereits vor der Zeugung, stieg das Risiko stärker als bei einem Schwangerschaftsdiabetes. Diese relativen Angaben erlauben allerdings keine Aussage darüber, wie hoch jeweils die Zahl der betroffenen Kinder ist – hierfür sind absolute Zahlen notwendig, die sich in der Studie nicht finden.
Ursächlicher Zusammenhang nicht bestätigt
Bereits frühere Untersuchungen hatten darauf hingedeutet, dass Diabetes in der Schwangerschaft das Risiko neurologischer Entwicklungsstörungen erhöhen kann. Die S2e-Leitlinie »Diabetes in der Schwangerschaft« hält jedoch fest, die Beweislage zum Einfluss von Diabetes auf die neurologische Entwicklung sei bisher nicht stark genug, um Maßnahmen oder Empfehlungen ableiten zu können.
Mehrere Fachleute haben die Studie gegenüber dem Science Media Center eingeordnet. Jardena Puder vom Universitätsspital Lausanne (Schweiz) hob hervor, die Übersichtsarbeit sei sehr groß und umfassend, könne aber einen ursächlichen Zusammenhang zwischen mütterlichem Diabetes in der Schwangerschaft und neurologischen Beeinträchtigungen des Kindes nicht belegen. Wichtige Einflussfaktoren seien nicht berücksichtigt worden, etwa der Blutzuckerspiegel, die Gewichtszunahme während der Schwangerschaft, der Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie Probleme beim Entbinden. Ähnlich äußerte sich Alexandra Kautzky-Willer von der Medizinischen Universität Wien: Der Body-Mass-Index und die Stoffwechselkontrolle seien in vielen eingeschlossenen Studien nicht angemessen berücksichtigt worden, außerdem seien die Diagnosekriterien nicht einheitlich gewesen.
Christoph Bührer von der Charité – Universitätsmedizin Berlin weist darauf hin, dass die absoluten Risiken für die untersuchten Störungen klein seien und somit die allermeisten Kinder nicht davon betroffen. Unstrittig sei, dass Diabeteserkrankungen während einer Schwangerschaft behandelt werden müssten, etwa um Komplikationen bei der Geburt zu vermeiden – hieran ändere die neue Metaanalyse nichts.
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