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Langzeitfolgen: Hinter multipler Sklerose steckt wohl eine Virusinfektion

Eine Studie liefert die bisher sichersten Indizien, dass das Epstein-Barr-Virus für die Entstehung multipler Sklerose entscheidend ist. Womöglich könnte eine Impfung das Risiko senken.
Eine Frau im Rollstuhl kauft Blumen

Das Epstein-Barr-Virus (EBV), Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers, ist wohl Voraussetzung für die Entstehung von multipler Sklerose (MS). Zu diesem Ergebnis kommt eine Arbeitsgruppe um Alberto Ascherio von der Harvard School of Public Health in Boston nach einer Analyse der Daten von zehn Millionen Mitgliedern des US-Militärs. Wie das Team in »Science« berichtet, untersuchte es bei 801 Personen, bei denen im Untersuchungszeitraum multiple Sklerose diagnostiziert wurde, den EBV-Status. Bis auf eine hatten alle von ihnen nachweisbare EBV-Antikörper. 35 der später an MS erkrankten Personen waren zu Beginn der Untersuchung nicht infiziert. Sie alle steckten sich vor Ausbruch der Krankheit an. Bei ihnen stiegen außerdem Blutwerte, die auf MS hindeuten, erst, nachdem sie Antikörper gegen EBV entwickelten. Die Befunde deuteten auf EBV als Hauptursache von MS hin, schreibt das Team in der Veröffentlichung.

Multiple Sklerose ist eine chronische Entzündung des Nervensystems, die eine große Bandbreite an Symptomen und Verlaufsformen verursachen kann. Welche Faktoren bestimmen, wie sich die Krankheit ausprägt, ist noch ebenso unklar wie die Ursache der fortschreitenden Entzündung. Dass es einen Zusammenhang zwischen dem Epstein-Barr-Virus und multipler Sklerose gibt, vermuten Fachleute schon seit Jahren. Rätselhaft ist aber, wie das Virus, das B-Zellen des Immunsystems befällt, das Nervensystem schädigt. Eine Rolle spielen wohl infizierte B-Zellen, die ins Gehirn wandern und dort Antikörper produzieren.

Allerdings ist nur schwer zu belegen, dass EBV tatsächlich die Ursache ist, denn weltweit sind vermutlich mehr als 90 Prozent aller Menschen infiziert, und nur ein kleiner Bruchteil von ihnen entwickelt multiple Sklerose. Das Ergebnis des Teams um Ascherio ist das bislang stärkste Indiz dafür, dass Virus und Krankheit eng zusammenhängen. »Die Studie macht es sehr, sehr wahrscheinlich, dass eine EBV-Infektion Voraussetzung für MS ist«, sagt Wolfgang Hammerschmidt vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) gegenüber dem Science Media Center Deutschland (SMC). Die Studie könne aber nicht beantworten, ob das Virus Ursache der Krankheit sei.

Auch Roland Martin, der am Universitätsspital Zürich unter anderem an multipler Sklerose forscht, gehen die Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppe zu weit. »Ob nun das EBV der wichtigste Umweltfaktor ist oder einer unter mehreren, kann die Studie meines Erachtens nicht abschließend klären«, sagt er. Andere Umweltfaktoren hingen ebenso mit MS zusammen. Daneben sei ein beträchtlicher Teil des Risikos erblich bedingt, erklärt der Forscher. »Die Daten der vergangenen 20 Jahre zur Ursache der MS besagen, dass es einen komplexen genetischen Hintergrund gibt, der zur MS prädisponiert.«

Für eine wichtige Rolle des Virus spricht jedoch, dass es einen Unterschied macht, ob man sich symptomlos infiziert oder die vom Virus verursachte infektiöse Mononukleose, auch Pfeiffersches Drüsenfieber genannt, ausbricht. »Es ist bekannt, dass eine infektiöse Mononukleose das Risiko, an MS zu erkranken, weiter erhöht«, sagt Hammerschmidt. Der Forscher bekräftigt deshalb die These des Teams um Ascherio, dass ein Impfstoff gegen EBV ein »ideales Mittel« sei, um multiple Sklerose zu verhindern. Allerdings sei eine sterile Impfung gegen das Virus derzeit unwahrscheinlich. Realistisch dagegen sei ein Impfstoff, der die symptomatische Erkrankung verhindere und damit das zusätzliche Risiko für MS ausschalte, erklärt Hammerschmidt gegenüber dem SMC.

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