Mumien: Österreichischer Pfarrer wurde ausgestopft
Anno 1746 verstarb der Pfarrvikar Franz Xaver Sidler in der österreichischen Gemeinde St. Thomas am Blasenstein und wurde in der Gruft der Pfarrkirche zur ewigen Ruhe gebettet – zumindest hatte man lange vermutet, dass es sich bei der im Mühlviertel als »lederner Franzl« und »Luftg'selchter Pfarrer« bekannten Mumie, die Besucher durch einen Glasdeckel im Sarg bestaunen können, um Sidler handelt. Eine Untersuchung des Pathologen Andreas Nerlich von der Ludwig-Maximilians-Universität München und seines Teams konnte nun nicht nur die Identität des Toten bestätigen, es zeigte sich auch, dass er auf außergewöhnliche Art und Weise präpariert wurde.
Die Mumie wurde zwar erst 1855 erstmals schriftlich erwähnt, doch gehen Nerlich und Co davon aus, dass der Vikar kurz nach seinem Tod in der Gruft bestattet wurde. Auch nach mehr als 250 Jahren ist die Leiche noch erstaunlich gut erhalten, obwohl sie augenscheinlich nicht einbalsamiert wurde. Stattdessen wurde der Verstorbene nach seinem Exitus innen ausgestopft – und zwar mit zahlreichen unterschiedlichen Materialien, wie die Wissenschaftler mit Hilfe computertomografischer Untersuchungen und einer Autopsie erstaunt feststellen durften: Im Inneren der Leiche fanden sie Holzspäne, getrocknete Äste und verschiedene Stoffe, wie sie beispielsweise zu Säcken verarbeitet werden.
Zudem wurden die Materialien mit Zinkchlorid versetzt, das desinfizierend und trocknend wirkt. Im Gegensatz zu altägyptischen Mumien hatte man den Vikar aber nicht aufgeschnitten und ihm die Organe entnommen. Stattdessen schob man ihm alles über das Rektum ins Körperinnere, bis er ausgefüllt war. Die Methode sei weitaus simpler als die Einbalsamierungsriten im alten Ägypten, bisher war sie laut dem Pathologen aber völlig unbekannt. »Es ist jetzt das erste Mal, dass wir tatsächlich einen kompletten Korpus haben, in dem dieses Ausstopfen ohne äußere Einschnitte dokumentiert ist.«
Der Pathologe hat auch eine These, warum diese Methode bislang nicht entdeckt worden war, obwohl sie wahrscheinlich häufiger zum Einsatz gekommen sein könnte. Sie sollte die Körper nur kurzzeitig konservieren; nach der Erdbestattung zersetzten sich die Leichen dann dennoch. Sidler wurde jedoch in einer Gruft und damit recht luftig beigesetzt, so dass sein Körper rasch austrocknen konnte, was ihn vor der Verwesung bewahrt hat. Womöglich sollte der Pfarrer nur für den Transport in sein Heimatkloster konserviert werden, was in der Folge allerdings nicht passierte, weil er stattdessen in seiner Pfarrgemeinde beigesetzt wurde.
Mit seiner Studie konnte das Team sogar noch ein letztes Gerücht widerlegen. Bei einer früheren Untersuchung mit Röntgenstrahlung hatte man bereits eine Glasperle in der Mumie entdeckt. Entgegen den Mutmaßungen handelte es sich dabei aber weder um eine Giftkapsel noch um eine Kugel, mit der Sidler erschossen wurde. Die Perle stammte wahrscheinlich von einem kirchlichen Gewand und ist bei der Konservierung absichtlich oder versehentlich ins Körperinnere gelangt.
Insgesamt scheint der Pfarrer, ein langjähriger Pfeifenraucher, ein angenehmes Leben geführt zu haben, wie die Untersuchung ebenfalls zeigte: »Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Sidler eine für die damalige Zeit recht hochwertige Ernährung genossen hat, die auf europäischen Getreidesorten, tierischen Produkten und möglicherweise auch Binnenfischen basierte«, schreiben die Wissenschaftler in einer Mitteilung: Schwere körperliche Arbeit habe er hingegen nicht verrichten müssen. Nur zum Lebensende hin wurde die Versorgungslage schlechter, was eine Folge des Österreichischen Erbfolgekriegs gewesen sein könnte, der dem Land schadete. Und Sidler war wohl auch jahrelang Kettenraucher, der zum Lebensende hin eine Lungentuberkulose entwickelte, wie die Forscher ebenfalls entdeckten. Nach Abschluss der Untersuchungen wurde der Pfarrer erneut in seiner Heimatgemeinde beigesetzt – unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, wie der ORF berichtete.
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