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Muscheln: Dominanz dank eigenem Kot

Die meisten Lebewesen wollen ihre eigenen Ausscheidungsprodukte möglichst schnell loswerden. Doch eine Meeresmuschel hat es sich darin sogar zum eigenen Vorteil eingerichtet.
Von Muscheln zersetztes Holz

Holz ist für viele Lebewesen schwer bis gar nicht zu verdauen, für andere ist es hingegen ein gefundenes Fressen. Das gilt beispielsweise für eine ganze Gruppe an Holz zersetzenden Muscheln der Tiefsee. Oft bilden versunkene Boote aus Holz oder Baumstämme kleine Ökosysteme, auf und in denen verschiedene Arten dieser Mollusken über Jahre existieren. Manchmal dominiert jedoch auch nur eine einzige Sippe, die ihre Nahrungsgrundlage in vergleichsweise kurzer Zeit völlig zerlegt und so durchlöchert, dass sie bereits bei leichter Berührung zerbröselt. Janet Voight vom Field Museum in Chicago und ihr Team beschreiben in »Marine Biodiversity«, wie es zu dieser Oberhoheit kommt: Die Weichtiere halten die Konkurrenz dank ihres eigenen Kots fern.

»Es gibt zwei Herausforderungen, denen sich jedes Meereslebewesen stellen muss: reines Wasser zu bekommen, damit die Kiemen mit Sauerstoff versorgt werden können, und seine Abfälle loszuwerden. Denn niemand will in seinen Fäkalien leben. Aber diese Muscheln leben mit ihrem Kot, und sie gedeihen tatsächlich«, sagt Voight. Zusammen mit ihrer Arbeitsgruppe untersuchte sie Holzproben als vielen Meeresregionen der Erde und entdeckte dabei ein überraschendes Muster: Es gibt insgesamt sechs Hauptzweige im Stammbaum der holzbohrenden Muscheln, deren Arten nebeneinander auf dem gleichen Stück Holz vorkommen können. Nur ein Zweig macht davon eine Ausnahme: Alle Proben, die so stark durchbohrt waren, dass sie mit der Hand zerdrückt werden konnten, waren allein von Spezies aus diesem einem Zweig dieses Stammbaums besiedelt worden.

Diese Dominanz rührte allerdings nicht daher, dass besonders viele Larven dieser Muscheln in der Nähe des Holzes vorkamen oder sie in wärmeren Gewässern gediehen. Voight und Co führen es dagegen auf eine anatomische Besonderheit zurück, die in einem sehr spezifischen Lebensstil endet: Ihre Anatomie zwingt sie letztlich dazu, dass sie in ihren eigenen Fäkalien hausen. »Wenn sich diese Muscheln in Holz bohren, übernimmt ihre kleine Schale das Bohren«, sagt Voight. Währenddessen ragen die Siphons der Muscheln, röhrenförmige Anhängsel zur Aufnahme von sauerstoffhaltigem Wasser und zur Abgabe von Abfallstoffen, hinter ihnen hervor.

»Bei den meisten holzbohrenden Muscheln sind diese beiden Siphons gleich lang und ragen in die Wassersäule hinein«, so Voight. »Aber bei diesen verwandten Bohrmuscheln ist der Auslasssiphon kurz und bleibt innerhalb des Bohrlochs im Holz. Folglich kacken sie in ihr Bohrloch. Die Ausscheidungen bleiben bei den Muscheln und bilden einen Schornstein, der sich um den Siphon wickelt. Das ist natürlich nicht besonders hygienisch, aber es scheint den Tieren nicht zu schaden.«

Das Team vermutet, dass diese Kotkamine ein Hinweis für andere Larven dieser Arten sein könnten: Der frei schwimmende Nachwuchs nimmt den Kot wahr und lässt sich anlocken. In der Folge siedeln sich mehr und mehr Artgenossen an und machen sich im Holz breit, weshalb kein Platz mehr für artfremde Konkurrenz bleibt. Dabei müssen sich die Muscheln an sauerstoffarme, verschmutzte Bedingungen angepasst haben. Vorherige Studien hatten gezeigt, dass diese Tiere mit extrem wenig Sauerstoff auskommen. Dazu haben sie bestimmte Anpassungen entwickelt wie eine Schleimhautauskleidung ihrer Fäkalienschlote sowie eine hämoglobinähnliche Substanz in ihrem Blut: Diese nimmt mehr Sauerstoff auf. Beides verringert wohl das Risiko einer Schwefelvergiftung durch den Kot.

Diese Muscheln kommen in allen Weltmeeren vor – mit einer großen Ausnahme: Im Südpolarmeer konnte man sie bislang nicht nachweisen. Die starken zirkumpolaren Strömungen um die Antarktis verhindern, dass Holz auf natürliche Weise in diese Gewässer gelangt. Folglich fehlen die darauf angewiesenen Mollusken.

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