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News: Musik erweitert den Horizont

Wissenschaftler scheinen bewiesen zu haben, was Musikliebhaber schon seit vielen Jahren glauben - daß Musik den Horizont erweitert. Ein Bereich des Gehirns, welcher zur Analyse der Tonhöhe eines Tons benutzt wird, ist bei Musikern im Vergleich zu Menschen, die nie ein Instrument gespielt haben, um ungefähr 25 Prozent vergrößert. Die Erkenntnisse deuten darauf hin, daß der Bereich durch Übung und Erfahrung vergrößert wird.
Das Gehirn stellt Musiktöne wie eine Landkarte dar. Benachbarte Nervenzellen auf der Oberfläche (Cortex) des Gehirns reagieren auf benachbarte Noten, ungefähr so, wie sie auf einer Klaviertastatur angeordnet sind. Dieses Arrangement nennt man eine tonotopische Karte. Aber diese Karte ist nicht unveränderlich. Durch Schulung können Unterschiede zwischen Noten besser registriert werden und die tonotopische Karte kann sich zurückbilden, wenn das Innenohr beschädigt wird.

Christo Pantev von der Universität Münster und Kollegen haben entdeckt, daß musikalisches Training den kortikalen Kartenbereich umgestaltet und wachsen läßt. Je jünger die Musiker waren, als sie mit ihrer musikalischen Ausbildung anfingen, desto größer schien dieser Bereich zu sein. Mehr Erfahrung bedeutet eine größere tonotopische Karte (Nature, Ausgabe vom 23. April 1998).

Die Forscher maßen die Größe der Hirnregion, die auf Klaviertöne reagierte. Einige Freiwillige waren Musiker, andere dagegen hatten noch nie ein Instrument gespielt. Egal welches Instrument die Musiker spielten: Bei einem Scan ihres Gehirns reagierte ein größerer Bereich der Cortex, als Klaviertöne gespielt wurden, als bei jedem der Nichtmusiker.

Der Bereich schien nur auf "musikalische" Töne zu reagieren. Einfache Geräusche wie zum Beispiel reine Sinuswellentöne (wie ein "Piepton" von einem Computer) löste in dieser Region keine Aktivität aus. Die klangvolle Qualität der Pianotöne, das Ergebnis von Harmonien und Resonanzen, ist erforderlich, um den musikalischen Bereich zu aktivieren. Die Wissenschaftler gehen davon aus, daß Töne von anderen Musikinstrumenten ähnliche Reaktionen hervorrufen würden.

Es gibt noch andere Bereiche in den Gehirnen von Musikern, die im Vergleich vergrößert sind. Pantev hatte dies früher bei Violinenspielern für den Bereich im Gehirn entdeckt, der Fingerbewegungen steuert. Diese Art von Vergrößerung entspricht der Entwicklung anderer motorischer Fingerfertigkeiten, wie Schreibmaschineschreiben oder sportliches Geschick. Aber mit der tonotopischen Karte wurde diese Größenzunahme erstmals bei einem Areal gefunden, das mit der Erfahrung des Hörens verknüpft ist.

Ein weiterer Bereich auf der linken Seite des Gehirns, in der Nähe des Sprachzentrums, ist bei Menschen mit "absolutem" Gehör – der Fähigkeit, einen Ton ohne Bezug auf andere Töne zu benennen – vergrößert. Dieses Hirnareal scheint für die Fähigkeit verantwortlich zu sein, verbale Bezeichnungen mit Tönen in Verbindung zu bringen. Aber diese Unterschiede können angeboren sein, so daß bestimmte Menschen schon eine gute Veranlagung für die Musik mitbringen, anstatt sich durch Erfahrung zu verändern.

Die Vergrößerung der kortikalen Gehirnregion bei Musikern könnte der Schlüssel zu der Erkenntnis sein, daß Musik dazu beitragen kann, andere Fertigkeiten zu verbessern. Es gibt zahlreiche Belege dafür, daß viele Wissenschaftler auch eifrige Amateurmusiker sind. Ist dies bloßer Zufall? Vielleicht nicht, wie neuere Studien andeuten. Nach ihnen werden auch die mathematischen Fertigkeiten verbessert, wenn Musik auf dem Lehrplan steht. Martin Gardiner von der Brown University in Providence, Rhode Island, untersucht derzeit diese Beziehungen zwischen Musikschulung, Mathematik und Lesen. Er glaubt, daß die Vergrößerung der tonotopischen Karte auch dazu beiträgt, das Verständnis und die Vorstellung zum Beispiel von Zahlenreihen zu erleichtern.

Nach Meinung der Wissenschaftler sollte deshalb das Training und das Hören von Musik gefördert werden. Musikalische Aktivitäten scheinen einige der wenigen Dinge zu sein, die uns nicht schaden, und können unseren Horizont vielleicht mehr erweitern als manche glauben mögen.

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