Trommelnde Schimpansen: Ist Musikalität älter als die Menschheit?

Musikalität ist tief in der menschlichen Kultur verankert – aber wann in der Evolution ist sie entstanden? Ein internationales Forschungsteam um Catherine Hobaiter von der schottischen University St Andrews hat deutliche Hinweise darauf gefunden, dass die Fähigkeit zum Musizieren älter ist als die Menschheit. Die Fachleute beobachteten während jahrelanger Feldforschung, wie wilde Schimpansen mit Händen und Füßen auf Brettwurzeln von Bäumen trommeln – und zwar rhythmisch, mit gleichmäßig verteilten Schlägen, ähnlich dem Ticken einer Uhr. Solche Isochronie ist ein Kernelement menschlicher Musik. Ferner hatten die Tiere individuelle Trommelstile, und es gab auch Unterschiede zwischen Populationen. Die Fähigkeit, rhythmische Muster zu erzeugen, entstand demnach, bevor Menschen und Schimpansen sich von einem gemeinsamen Vorfahren trennten.
In ihrem natürlichen Lebensraum trommeln Schimpansen typischerweise beim Wandern oder kurz nach dem Ausruhen. Diese perkussiven Ausbrüche, kombiniert mit lauten Kontaktrufen (so genannte Pant-Hoots), erzeugen niederfrequente Sounds, die bis zu einem Kilometer weit hörbar sind. Bereits 2022 beschrieb Hobaiters Team die individuellen Trommelstile der Primaten. Zum Beispiel verwendete ein Alpha-Männchen konstant ein Muster von zwei schnellen Schlägen gefolgt von zwei langsameren, während ein anderes wiederholt zwei schnelle Schläge erzeugte. Die Wissenschaftler deuteten dies als kommunikatives Mittel, das den Tieren dabei hilft, sich im dichten Wald zu finden und zu identifizieren. Aber trommeln sie rhythmisch? Das war bislang unklar.
»Unsere Fähigkeit zur Musikalität beruht unter anderem auf dem Vermögen, rhythmisches Verhalten zu erzeugen«, erklärt Hobaiter. Lediglich in einer früheren Studie hatte man einen in Gefangenschaft lebenden Schimpansen rhythmisch auf einem Eimer trommeln sehen. Um dem genauer auf den Grund zu gehen, untersuchten Hobaiter und ihre Kollegen in der aktuellen Studie die Trommelvariationen verschiedener Gruppen von zwei Unterarten wilder Schimpansen in Ost- und Westafrika. Dabei analysierten sie Daten, die über einen Zeitraum von 23 Jahren zwischen 1999 und 2023 gesammelt worden waren. Insgesamt werteten sie 371 Trommelereignisse von elf Gemeinschaften aus sechs Populationen beziehungsweise Standorten aus – Fongoli, Nimba und Taï (Westafrika) sowie Budongo, Kibale und Gombe (Ostafrika).
Ihren Analysen zufolge haben einzelne Tiere persönliche Trommelmuster, es wurden aber auch größere Unterschiede auf Ebene von Gruppen und Unterarten gefunden: Östliche Schimpansen (Pan troglodytes schweinfurthii) legten eine höhere rhythmische Variabilität an den Tag und trommelten manchmal schnell, manchmal pausierten sie länger zwischen den Schlägen. Westliche Schimpansen (Pan troglodytes verus) produzierten hingegen gleichmäßig verteilte Rhythmen.
© Liran Samuni, Tai Chimpanzee Project
Schimpanse mit Taktgefühl
Ein erwachsener männlicher westafrikanischer Schimpanse aus der Tai-East-Gemeinschaft im Tai-Wald (Elfenbeinküste), der mit isochronen Trommelintervallen trommelt.
Die Ursache für diese Unterschiede bleibt unklar. Umweltfaktoren scheinen sie nicht zu erklären. »Bei westlichen Schimpansen lebt die Taï-Population in einem Regenwald mit massiven Bäumen und riesigen flachen Brettwurzeln, während die Fongoli-Population einen Savannenwald bewohnt, mit kaum Brettwurzeln«, erklärt Erstautorin Vesta Eleuteri von der Universität Wien. »Dennoch trommeln beide Populationen mit demselben isochronen Rhythmus.« Die Unterarten sind sich physisch ähnlich, daher sind anatomische Unterschiede ebenfalls unwahrscheinlich.
Stattdessen könnte die soziale Struktur eine Rolle spielen. »Westliche Schimpansen sind toleranter gegenüber Außenstehenden und tendenziell sozial kohäsiver, während östliche Schimpansen aggressiver sind und sich häufiger in Untergruppen aufteilen«, erklärt Eleuteri. Diese soziale Fragmentierung könnte östliche Populationen dazu veranlassen, ihre Rhythmen stärker zu variieren, um über Entfernungen zu kommunizieren oder sich mit individuellen Mustern abzuheben. Während weitere Forschung notwendig ist, um abschließend zu klären, ob es tatsächlich unterschiedliche Trommelkulturen gibt, hebe die Studie die Verhaltenskomplexität und Flexibilität der Schimpansen hervor – und die Wichtigkeit, die Populationen zu erhalten. »Wenn wir Schimpansengruppen verlieren, verlieren wir auch ihre lokalen Verhaltensweisen – ihre Rhythmen sterben mit ihnen«, warnt Hobaiter.
»Wenn wir Schimpansengruppen verlieren, verlieren wir auch ihre lokalen Verhaltensweisen – ihre Rhythmen sterben mit ihnen«Catherine Hobaiter, Primatologin
»Arbeiten wie diese liefern ein Puzzleteil zum Verständnis der Ursprünge und Evolution der Musikalität«, sagt Andrea Ravignani von der Universität La Sapienza in Rom, der an der Studie beteiligt war. »Die Daten deuten darauf hin, dass wir einen entscheidenden Baustein mit Schimpansen teilen: perkussive, musikähnliche Rhythmen«, fügt der Biologe hinzu.
Auch Aniruddh Patel von der Tufts University hält dies für eine bedeutende Studie und weist darauf hin, dass Schimpansen zwar rhythmische Fähigkeiten zeigen, ihr Trommeln jedoch kurz ist (in der Regel unter zwei Sekunden). Damit hebe es sich von menschlichen Trommelritualen ab, die mehrere Minuten dauern und feste Taktstrukturen aufweisen. »Unsere Neigung, strukturierte und anhaltende taktbasierte Rhythmen zu erzeugen, könnte bald nach der Abspaltung von unserem letzten gemeinsamen Vorfahren entstanden sein – durch die Ausarbeitung kurzer, rhythmischer Trommelmuster, wie wir sie heute bei wild lebenden Schimpansen beobachten«, sagt der Psychologe. Auch sei das anhaltende, rhythmisches Trommeln möglicherweise lange vor unserer Fähigkeit entstanden, Bewegungen mit Musik zu synchronisieren. Bei Schimpansen sei das nicht zu beobachten.
Henkjan Honing, Professor für Musikkognition an der Universität Amsterdam, stimmt dem zu und weist darauf hin, dass einige Tierarten wie Kakadus oder Seelöwen offenbar zu Taktempfinden und Synchronisation fähig sind. »Schimpansen zeigen eine Sensibilität für einige Komponenten der Rhythmuskognition, und diese Studie stützt die Annahme, dass das Taktempfinden beim Menschen nicht plötzlich entstand, sondern sich allmählich entwickelte.«
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