Nahrungsergänzungsmittel: Wie viel Protein ist genug?

Protein ist zum Schlagwort in Gesundheits- und Wellness-Kreisen geworden. Auf Social Media preisen Influencer eiweißhaltige Produkte als Wundermittel gegen Übergewicht und zum Muskelaufbau an. Wer auf Tiktok nach »200 Gramm Protein pro Tag« sucht, findet dutzende Videos mit Tipps, wie man auf diese Menge kommt – was wohlbemerkt dem Gehalt von mehr als sieben Steaks entspricht. Der Markt reagiert mit einer Flut von Produkten: Proteinpulver, Riegel, Kekse, Joghurt und sogar Popcorn versprechen die tägliche Eiweißzufuhr zu steigern.
Woher dieser Protein-Hype kommt, ist unklar. Produkte mit beworbenem Eiweißgehalt gibt es schon seit den 1860er Jahren, erklärt Hannah Cutting-Jones, Ernährungshistorikerin an der University of Oregon. Das Konzept der Makronährstoffe – Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß – war unter anderem durch den deutschen Chemiker Justus von Liebig eingeführt worden. Er hatte einen preiswerten Ersatz für echtes Fleisch auf den Markt gebracht: »Liebigs Fleischextrakt«, dessen Nährwert sich später allerdings als gering herausstellte.
Seitdem sind »Proteine der einzige Makronährstoff, der nie verteufelt wurde«, sagt Cutting-Jones und bezieht sich damit auf den schlechten Ruf, den Fett und Kohlenhydrate im Lauf der Jahrzehnte erworben haben. In den frühen 2000er Jahren erschienen zahlreiche Studien, die einen Zusammenhang zwischen hoher Proteinzufuhr und Gewichtsabnahme zeigten. Etwa zu der Zeit begannen Lebensmittelhersteller, Molke – ein Nebenprodukt der Käseherstellung – in Proteinpulver zu verwandeln.
Social Media haben diesen Trend weiter befeuert: Eine kleine Umfrage unter Hobbysportlern ergab, dass 40 Prozent der Teilnehmer und Teilnehmerinnen ihre Informationen zu Proteinpräparaten hauptsächlich aus sozialen Netzwerken beziehen. »Es gibt Influencer, die keinerlei Ausbildung in Ernährungsfragen haben, aber für diese proteinreichen Produkte werben«, sagt Cutting-Jones.
Viel Protein hilft nicht immer viel
Die meisten Ernährungsrichtlinien raten gesunden Erwachsenen zu etwa 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Doch Fitness-Influencer und -Influencerinnen propagieren oft deutlich höhere Mengen, vor allem für diejenigen, die Krafttraining betreiben, eine Sportart, bei der der Schwerpunkt auf dem Muskelaufbau liegt. Der Verzehr von Eiweiß nach dem Training liefert dem Körper die nötigen Bausteine, um die Muskeln zu regenerieren und wieder aufzubauen. Ethan Balk, klinischer Ernährungsberater an der New York University, sieht auf Tiktok immer wieder Leute, die 2,2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht empfehlen – fast das Dreifache der offiziellen Empfehlung. »Die Bodybuilder-Szene schwört darauf«, sagt Balk. »Aber die Forschung stützt das kaum.«
Eine große Übersichtsarbeit zeigte: Proteinpräparate können bei gesunden Erwachsenen, die Krafttraining betreiben, tatsächlich Muskelmasse und -kraft steigern. Doch der Effekt stagniert ab einer täglichen Menge von 1,6 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht – mehr bringt keinen zusätzlichen Nutzen. Alles darüber hinaus sei Verschwendung, sagt Nancy Rodriguez, Ernährungswissenschaftlerin an der University of Connecticut.
Schadet zu viel Eiweiß der Gesundheit?
Der Verbraucherzentrale zufolge kann eine tägliche Proteinzufuhr von mehr als zwei Gramm pro Kilogramm Körpergewicht über einen langen Zeitraum potenziell die Nieren schädigen. Das gelte insbesondere für Menschen, deren Nierenfunktion ohnehin schon eingeschränkt ist. Für gesunde Erwachsene fehlen allerdings belastbare Daten, um einen Grenzwert festzulegen. Aufnahmemengen bis zum Doppelten der empfohlenen Menge von 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag seien aber unproblematisch.
Zudem weist der Verein darauf hin, dass aufgespaltenes Molkenprotein (der Hauptinhaltsstoff des auch »Whey-Protein-Pulver« genannten Präparats) oft bitter schmeckt, weshalb den Produkten meist Süßstoffe beigesetzt sind. Einige davon stehen im Verdacht, in hohen Dosen schädlich zu sein.
Für wen Proteinpräparate nützlich sind
Einige Studien deuten darauf hin, dass ältere Menschen, insbesondere Frauen nach der Menopause, mehr Eiweiß benötigen als jüngere, um gesunde Knochen und Muskeln zu erhalten. Diesen Bedarf müssen sie allerdings nicht zwingend mit Nahrungsergänzungsmitteln decken. Eine ausgewogene Ernährung reiche oft aus, so Rodriguez.
Eine klinische Studie von 2015 untersuchte die Wirkung einer ergänzenden Einnahme von Molkenprotein (auch als Whey-Protein bekannt) auf die Knochendichte von älteren Menschen – einen wichtigen Indikator für die Stabilität der Knochen. Versuchspersonen einer Kontrollgruppe erhielten stattdessen ein Kohlenhydratpräparat. Das ernüchternde Ergebnis: Beide Produkte unterschieden sich in ihrem Effekt nicht.
Zum gleichen Ergebnis kam eine Untersuchung aus dem Jahr 2021, die den Effekt von Eiweiß- und Kohlenhydratprodukten auf die Muskelmasse und -kraft verglichen hat. Proteinzufuhr als alleinige Maßnahme gegen Knochen- und Muskelschwund ist für Ältere demnach nutzlos. Allerdings kann im Alter der Appetit nachlassen, was die Proteinzufuhr erschwert. Für solche Fälle »können Proteinpräparate eine gute Lösung sein«, sagt Balk.
Auch Menschen, die Medikamente zur Gewichtsreduktion wie Wegovy oder Zepbound einnehmen, profitieren möglicherweise von Proteinerzeugnissen. Die Arzneien ahmen das appetitregulierende Hormon GLP-1 nach, was zu schnellem Gewichtsverlust führen kann. Nicht selten verlieren die Betroffenen dadurch Muskelmasse, haben aber gleichzeitig zu wenig Appetit, um genug Eiweiß zu essen. Eine Untersuchung an Ratten hat gezeigt, dass eine tägliche Eiweißzufuhr die Wirkung solcher Therapien auf den Stoffwechsel verbessert. Klinische Studien am Menschen stehen jedoch noch aus.
Mehr Eiweiß aufzunehmen, wird auch Personen geraten, die sich einer chirurgischen Gewichtreduktion unterziehen. Man legt ihnen nahe, »die Proteinzufuhr zu erhöhen, um während und nach der Gewichtsabnahme Muskelmasse und -qualität zu erhalten«, so Balk.
Bevor Ärzte ein Proteinpulver empfehlen, sollten sie jedoch die Ernährung ihrer Patienten genau prüfen. »Ich bin dagegen, einfach pauschal ein Ergänzungspräparat zu verschreiben«, sagt Rodriguez. »Es muss einen klaren Grund geben – und das Mittel sollte in das gesamte Ernährungskonzept integriert sein.«
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