Direkt zum Inhalt

News: Muskelspiele im Wasser

Um im trüben Wasser nicht erfolglos nach einem Weibchen zu fischen, begibt sich der männliche Austernfisch mit Nebelhorn-ähnlichen Rufen auf Partnersuche. Seine lauten Paarungssignale erzeugt er mithilfe der Kontraktion von Muskeln, die seine Schwimmblase umgeben. Diese schnell agierenden, aber kraftlosen Muskeln haben sich im Laufe der Evolution derart verfeinert und an ihre spezielle Aufgabe angepasst, dass sie das Tier für keinen anderen Zweck als die Partnerwerbung einsetzen kann.
Als Bewohner von seichten, trüben Wasserläufen hat der Austernfisch (Opsanus tau) einen markanten Paarungsruf entwickelt, mit dem er die Aufmerksamkeit der Weibchen auf sich zieht und sie zu einem Nistplatz lockt. Diese arttypischen Geräusche verdankt er bestimmten Muskeln um seine Schwimmblase, die ihre Aufgabe in einem atemberaubenden Tempo vollbringen: Bis zu 200-mal pro Sekunde ziehen sie sich zusammen und entspannen sich wieder – eine Leistung, die unter den Wirbeltieren ihresgleichen sucht. Denn die Muskeln des Austernfisches kontrahieren sich fünfmal so schnell wie jene, die für den Flügelschlag eines Kolibris verantwortlich sind und sogar 50-mal schneller als jene, welche die Beine eines Sprinters in Bewegung setzen.

Doch eine solch einzigartige Leistung fordert auch in der Natur ihren Preis, wie Lawrence Rome und seine Kollegen von der University of Pennsylvania nun enthüllten. Sie fanden heraus, dass der Austernfisch über zwei Arten von hochspezialisierten Skelettmuskeln verfügt, die sich offensichtlich im Laufe der Evolution weit auseinanderentwickelt haben und nun verschiedene Aufgaben erfüllen: Während das Tier die sich extrem schnell kontrahierenden Muskeln einsetzt, um Paarungsrufe zu erzeugen, benutzt es die sich langsam zusammenziehenden Muskeln, um sich im Wasser fortzubewegen.

Wie weitere Berechnungen ergaben, sind die Schwimmblasenmuskeln zwar sehr schnell, aber recht kraftlos: Sie erzeugen mit gerade mal fünf bis15 Prozent lediglich einen Bruchteil der Kraft, welche die anderen Muskeln aufzubringen vermögen. Um eine ähnliche Leistung wie jene Muskeln zu erbringen, welche die Bewegung des Tieres koordinieren, müssten sie das dreifache Volumen des Fisches einnehmen.

Eigentlich ist es in der Natur nicht weiter verwunderlich, dass sich ein biologisches System auf eine Funktion spezialisiert und damit die schrittweise Reduzierung anderer Fähigkeiten einhergeht. So nahmen die Forscher bisher an, dass die langsam agierenden Muskeln von Fischen zwar nicht in der Lage sind, die Aufgaben der "schnellen" Muskeln zu übernehmen, wohl aber umgekehrt die sich schnell kontrahierenden Muskeln durchaus die langsamen Muskeln ersetzen können.

Doch nun wurden sie eines Besseren belehrt, denn im Fall des Austernfisches ist die Veränderung der Schwimmblasenmuskeln auf molekularer Ebene offenbar derart weit fortgeschritten, dass diese nunmehr präzise auf die Erzeugung von Paarungsrufen abgestimmt sind und keine andere Aufgabe mehr zu bewältigen vermögen. Die beiden verschiedenen Skelettmuskeltypen des Austernfisches sind demnach nicht gegenseitig austauschbar.

Auch wenn wir Menschen den sich extrem schnell zusammenziehenden Schwimmblasenmuskeln des Fisches nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen haben, so agieren dennoch unsere Augenmuskeln vermutlich mit hoher Geschwindigkeit. Wie Rome betont, gibt es Hinweise, dass die Augenmuskeln geringere Kräfte erzeugen als unsere für die Bewegung zuständigen Muskeln. Aus diesem Grund können sie höchstwahrscheinlich ebenfalls als so hochspezialisiert betrachtet werden, dass sie keine andere Funktion zu erfüllen vermögen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.