Inseln: Monstermäuse fressen Millionen Küken
Irgendwann im 19. Jahrhundert gelangten Hausmäuse (Mus musculus) auf die Atlantikinsel Gough – wahrscheinlich als blinde Passagiere an Bord eines Wal- oder Robbenfängers. Seitdem haben sie sich auf dem abgeschiedenen Eiland, von Fressfeinden unkontrolliert, massiv vermehrt, einen Größenschub durchgemacht – und einen enormen Fleischhunger und Blutdurst entwickelt. Jedes Jahr fressen die Nager schätzungsweise zwei Millionen Eier und Küken verschiedener Seevogelarten, wie eine Studie von Alexander Bond vom Natural History Museum in Tring mit Kollegen vom RSPB Centre for Conservation Science in »IBIS« ermittelt hat. Die Verluste sind so hoch, dass sie mittlerweile das Überleben verschiedener Arten wie des Tristanalbatrosses (Diomedea dabbenena) oder des Schlegelsturmvogels (Pterodroma incerta) ernsthaft gefährden.
Mäuse auf Gough sind um die Hälfte größer als ihre Verwandten auf dem Festland, und dennoch konnten Biologen lange nicht glauben, dass die nur 30 bis 40 Gramm schweren Tiere tatsächlich zehn Kilogramm schwere Albatrosküken töten können. Doch 2005 belegten Filmaufnahmen das Jagdverhalten der Mäuse: Sie attackieren in Gruppen von bis zu neun Mäusen meist nachts die im Nest oder in einer unterirdischen Bruthöhle sitzenden Vögel und beißen sie blutig. Die Attacken enden damit, dass der Nachwuchs entweder bei lebendigem Leib gefressen wird oder verblutet. Da es auf Gough bis zur Ankunft der Nagetiere keine vierbeinigen Fressfeinde gab, haben die Seevögel keine Anpassungsstrategie dagegen entwickelt – sie wehren sich also nicht. Betroffen von den Nachstellungen sind fast alle der 22 hier brütenden Seevogelarten sowie die beiden nur hier vorhandenen Landvogelspezies: Gough gilt wegen dieser Vielfalt und seiner Bedeutung als Nistplatz als eines der wichtigsten Inselökosysteme im Südatlantik.
»Wir wussten, dass eine große Zahl an Eiern und Küken den Mäusen zum Opfer fällt. Aber das wahre Ausmaß hat uns erschüttert«, so Alexander Bond: »Die Vögel auf Gough brauchen unsere Hilfe!« Für ihre Studie hatten die Biologen den Bruterfolg von zehn Seevogelarten auf der Insel überwacht und die Zahl der flügge gewordenen Jungtiere mit der von verwandten Arten auf Eilanden ohne eingeschleppte Fressfeinde verglichen. Besonders hart trifft es erwartungsgemäß Spezies, die in Erdhöhlen nisten, zu denen die Mäuse leichten Zugang haben. Die schwersten Verluste erleiden zudem jene Seevögel, die im Winter hier brüten, weil dann das Nahrungsangebot wie Samen oder Insekten für die Mäuse knapper ist und sie deshalb verstärkt auf Küken und Eier umsteigen. Sieben der zehn Arten erlitten besonders hohe Verluste, weshalb die Wissenschaftler um ihr Überleben in naher Zukunft fürchten. Weltweit existieren beispielsweise nur noch 2000 Tristanalbatrosse, von denen 99 Prozent auf Gough nisten. Erwachsene Vögel sind langlebig, aber die geringe Anzahl an überlebendem Nachwuchs reicht nicht aus, um langfristig Verluste auszugleichen.
Die britische Vogelschutzorganisation RSPB plant daher ein ambitioniertes Bekämpfungsprogramm, um die Seevögel zu retten. Ab 2020 sollen die Mäuse auf Gough bekämpft und innerhalb weniger Jahre ausgerottet werden – was kein einfaches Unterfangen ist. Die Insel ist abgelegen, gebirgig und wird regelmäßig von Sturmtiefs überzogen. Erfahrene Hubschrauberpiloten sollen die Mäuse deshalb aus der Luft bekämpfen, indem sie spezielle Nagergifte ausbringen. Regionen, in die Hubschrauber nicht gelangen können, müssen vom Boden aus erreicht werden. Unmöglich ist das Unterfangen allerdings nicht: Auf der deutlich größeren subantarktischen Insel South Georgia mit noch heiklerem Wetter gelang es Ökologen beispielsweise, Ratten auf diese Weise zu vernichten – heute gilt das Gebiet offiziell als rattenfrei. Um das Projekt zu finanzieren, sucht der RSPB allerdings noch Sponsoren. »Wir haben die einzigartige Chance, Gough und seine Arten zu retten«, sagt Ian Lavarello, der oberste Repräsentant von Tristan da Cunha, zu dessen Territorium Gough gehört: »Unternehmen wir nichts, werden wir diese wunderbaren Seevogelmegakolonien verlieren.«
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