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Kalter Blob über Skandinavien: Mysteriöse Kälte im wärmsten Jahr

Weltweit war es 2023 sehr warm – mit einer auffälligen Ausnahme. Skandinavien bildete im Winter eine Kälteinsel in der Hitze, entgegen allen Wettervorhersagen. Was war schiefgegangen?
Skandinavische Kälte
Globale Temperaturanomalien zwischen Oktober 2023 und Januar 2024.

Die extreme Wärme des Rekordjahres 2023 gibt Fachleuten nach wie vor Rätsel auf. Die Temperaturen waren teils so hoch, dass Klimamodelle sie nicht reproduzieren konnten. Doch inmitten der globalen Hitzewelle entstand im letzten Jahresdrittel ein ungewöhnlich kalter Fleck, der ebenso mysteriös ist. Zwischen Oktober 2023 und Januar 2024 hatte der Winter Skandinavien fest im Griff. Teile Schwedens und Finnlands waren mehr als drei Grad kälter als im Mittel der letzten 30 Jahre, die nördliche Ostsee gefror einen Monat früher als sonst. Vor allem aber hat die Anomalie nahezu alle Wettermodelle kalt erwischt: Die saisonalen Vorhersagen für den Winter lagen um rund drei Grad daneben.

Tatsächlich war die skandinavische Kälte gar nicht so extrem – noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wäre so ein Winter dort durchschnittlich gewesen. Der Blick auf globale Temperaturkarten zeigt allerdings, dass dort etwas Ungewöhnliches geschah. Inmitten tiefroter Flächen, die Erwärmung um drei Grad und mehr zeigen, sticht ein merkwürdiger, eng umrissener Fleck negativer Temperaturabweichungen heraus. Und niemand weiß warum. Ein Team um Mika Rantanen von Finnischen Meteorologischen Institut hat nun analysiert, wie dieser Kälteblob zu Stande kam und weshalb Wettermodelle ihn nicht detektierten. Wie die Arbeitsgruppe in der Fachzeitschrift »Weather« berichtet, geht die ausgeprägte Kälteinsel auf ungewöhnliche atmosphärische Bedingungen zurück.

Der erste Faktor war demnach ein ausgeprägter Gegensatz zwischen einer Zone mit überdurchschnittlich hohem mittlerem Luftdruck bei Island und einem Bereich in Osteuropa mit dem niedrigsten Luftdruck seit 80 Jahren. Da Hochdruckgebiete im Uhrzeigersinn rotieren und Tiefdruckgebiete entgegengesetzt, strömte an der Grenze zwischen beiden oft kalte Luft aus Nordosten nach Skandinavien hinein. Der zweite Faktor war der Jetstream, der sich zwischen Oktober und Januar weit nach Südosten verschoben hatte. Skandinavien lag fast die ganze Zeit auf dessen kalter nördlicher Seite.

Bemerkenswert daran ist, dass zuvor nahezu keines der saisonalen Vorhersagemodelle die außergewöhnliche Kälte prognostiziert hatte – selbst als sie praktisch direkt bevorstand. Die Fachleute um Rantanen machen zwei weitere Faktoren für das ungewöhnliche Wettermuster verantwortlich; und die könnten auch erklären, warum die Wettervorhersage scheiterte.

Zum einen nämlich seien lang anhaltende Kälteanomalien in Skandinavien im 21. Jahrhundert bisher immer mit dem pazifischen Wettermuster El Niño zusammengefallen. Dessen Entwicklung und Fernwirkungen lassen sich bis heute nur schwer zutreffend simulieren. Außerdem bestehe die Möglichkeit, dass der Ausbruch des Vulkans Hunga Tonga-Hunga Ha'apai an der Anomalie beteiligt sei. Laut einer aktuellen Studie erwärmt der zusätzliche Wasserdampf in der Atmosphäre die Erde fast weltweit – bloß in Skandinavien führt er demnach zu einer winterlichen Abkühlung um rund ein Grad. Solche Ereignisse seien für Modelle ebenfalls schwer zu erfassen.

Allerdings beantwortet die Analyse, ebenso wie vergleichbare Aufschlüsselungen anderer Extremereignisse, eine ganz entscheidende Frage nicht: Aus welchem Grund das Wetter des Jahres 2023 an so vielen Stellen der Erde so extravagante Kapriolen schlug, ist nach wie vor nur unzureichend bekannt.

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