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Turteltaube: Erst gerettet, nun zum Abschuss frei gegeben

Ein dreijähriger Jagdstopp verhalf der bedrohten Turteltaube zu einem spektakulären Comeback. Nun gibt die EU wieder Feuer frei – und etabliert ein fragwürdiges Kontrollsystem.
Ein Jäger in grüner Kleidung steht mit einem Gewehr in der Hand auf einem Feld und blickt in die Ferne. Neben ihm läuft ein Hund durch das Gras. Der Himmel ist bewölkt mit einem Hauch von Sonnenuntergang. Die Szene vermittelt eine ruhige, ländliche Atmosphäre.
Ein Jäger im Südwesten Frankreichs macht Jagd auf Vögel. Ab der Saison 2025/26 ist dann auch die Turteltaube im Land wieder nahezu vogelfrei.

Erfolgsgeschichten im Kampf gegen das Artensterben sind selten, diese hier war eine der eindrucksvollsten: Die Turteltaube drohte in vielen europäischen Ländern zu verschwinden, doch ein von der EU verhängtes Jagdverbot bewahrte die Art vor dem Aussterben. In den drei Jahren ohne legale Abschüsse wuchs die Population der Tiere auf eine Größe, die äußerst hoffnungsvoll stimmte.

Doch nun – rechtzeitig zur Ankunft der ersten Turteltauben aus ihren afrikanischen Überwinterungsgebieten – gibt die Europäische Kommission wieder grünes Licht für den massenhaften Abschuss der Tiere. Die Entscheidung fiel Anfang April in Brüssel.

Ein herzliches Willkommen sieht anders aus. »Die EU-Kommission tauscht Turteltaubenleben gegen Wählerstimmen ein«, sagt der Biologe und Vogelschutzaktivist Axel Hirschfeld. Wie viele andere vermutet er hinter der Entscheidung das Wirken von Jagdlobby und rechtspopulistischen Kreisen. Und auch in seiner Forderung nach einer Rückkehr zum Jagdstopp steht er nicht allein da.

Turteltauben | Wegen ihrer innigen Paarbeziehungen gelten die Vögel als Symbol für die romantische Liebe. Sonderlich romantisch ist ihr Leben in der Agrarlandschaft von heute allerdings nicht mehr.

Die Brüsseler Verwaltung hingegen argumentiert, dass die nun festgesetzte Abschussquote von 1,5 Prozent der westeuropäischen Population nachhaltig und verantwortbar ist angesichts der Tatsache, dass sich die Turteltaubenbestände in Teilen ihres Verbreitungsgebiets so gut erholt haben. Konkret heißt das, dass in der bevorstehenden Jagdsaison 2025/26 in Frankreich, Spanien und Italien wieder mehr als 130 000 Turteltauben legal abgeschossen werden dürfen.

Dabei herrscht in Fachkreisen Einigkeit darüber, dass nur das Jagdmoratorium der bedrohten Vogelart zu ihrem spektakulären Comeback verholfen hat. Nachdem Spanien, Frankreich, Portugal und Teile Italiens auf Anweisung der EU die Turteltaubenjagd untersagt hatten, stieg die Zahl der Turteltauben in Westeuropa um 25 Prozent an – das entspricht rund 400 000 zusätzlichen Brutpaaren in nur zwei Jahren. Im April 2024 veröffentlichte ein Forscherteam den Nachweis, dass dieser Boom sogar trotz schlechter Wetterbedingungen stattfand. Das Ergebnis gilt in Fachkreisen umso mehr als Beleg für die Wirksamkeit von Jagdverboten im Kampf um die Bewahrung der Artenvielfalt.

»Vögel der Liebe« im Überlebenskampf

Einig sind sich Artenschutzexperten allerdings auch darin, dass die Erholung nach jahrzehntelanger Talfahrt nicht ausreichte, um die Tiere in ihrem Bedrohungsstatus herabzustufen. In Deutschland beispielsweise wird Streptopelia turtur weiterhin in der zweithöchsten Kategorie als »stark gefährdet« geführt.

»An der schlechten Situation in den Lebensräumen hat sich nichts geändert, und nur der Jagdstopp hat den Turteltauben wieder etwas Luft zum Atmen verschafft«Ariel Brunner, Vogelschützer

Das liegt nicht allein an der Jagd. Wie andere Bewohner der Agrarlandschaft leiden die gefiederten Liebespärchen, die schon Shakespeare als Symbol trauter Zweisamkeit verklärte, unter der intensiven Landwirtschaft, dem damit einhergehenden Insektenmangel und der Zerstörung ihrer Lebensräume entlang von Hecken und kleinen Wäldchen.

Umso alarmierter reagieren Naturschützer nun auf die Freigabe der Jagd. Ariel Brunner, Direktor der Vogelschutzorganisation BirdLife Europa, nennt die Entscheidung verantwortungslos. »An der schlechten Situation in den Lebensräumen hat sich nichts geändert, und nur der Jagdstopp hat den Turteltauben wieder etwas Luft zum Atmen verschafft«, sagt Brunner, dessen Organisation im zuständigen EU-Fachgremium gegen die Freigabe gestimmt hatte. »Die gewonnene Zeit müssen wir nutzen, um die Renaturierung voranzubringen, statt Jägern ein paar Jahre lang Spaß an der Jagd zu ermöglichen und dann wieder bei null anzufangen.«

Auch die deutsche Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus kritisiert die Entscheidung, die Jagd auf Turteltauben wieder zu öffnen. »Der Bestand zeigte gerade wieder einen Hoffnungsschimmer«, sagt sie. »Es scheint, als würde die Jagdlobby in der Kommission mächtige Fürsprecher haben – anders ist diese Entscheidung für mich nicht zu begreifen.«

Erst schießen, dann simsen?

Die EU-Kommission rechtfertigt die neuerliche Jagdfreigabe neben den gestiegenen Zahlen der Vögel vor allem damit, dass ein funktionierendes System der Kontrolle geschaffen worden sei. So könne man sicherstellen, dass wirklich nur die frei gegebene Zahl von Turteltauben geschossen werde. Doch daran gibt es erhebliche Zweifel. Denn das System beruht vollständig auf dem Vertrauen in die Redlichkeit der Jägerinnen und Jäger. Sie müssen nach jedem Abschuss über die Zahl der geschossenen Tiere per App oder SMS Meldung machen. Wirklich kontrollierbar ist die Einhaltung der Quoten so nicht.

Wie wackelig das System der Kontrolle ist, zeigt die Praxis beispielsweise in Frankreich. Dort wollen die Behörden die Einhaltung der für das Land festgesetzten Jagdquote auf Turteltauben mittels einer Smartphone-App namens »ChassAdapt« überwachen, über die Jäger jede geschossene Taube melden sollen. Der Schönheitsfehler: Nur 14 Prozent der französischen Jägerinnen und Jäger haben die Melde-App überhaupt installiert, wie eine Studie belegt.

Jagdkritiker Hirschfeld analysiert seit vielen Jahren europäische Jagdstatistiken und die Auswirkungen der Jagd auf bedrohte Vogelarten. Gerade ist er wieder auf Malta, um das Ausmaß der Jagd auf Turteltauben in diesem Frühjahr zu dokumentieren. »Wir haben in den letzten Jahren durchgängig beobachtet, dass schon in den Tagen vor Beginn der Jagdzeit auf Malta mehr Turteltauben geschossen werden, als die Quote für die gesamte Jagdzeit erlaubt«, berichtet Hirschfeld. Das Reporting-System mit App oder per SMS-Meldung sehe nur auf dem Papier gut aus, lautet sein Urteil. »In der Praxis lädt es zum Betrug durch Unterlassen geradezu ein – es werden de facto kaum Abschüsse gemeldet.«

Für Hirschfeld zeigt der durchschlagende Erfolg des Jagdstopps bei der Turteltaube, wie groß die Gefahr der illegalen und legalen Jagd für viele Vogelarten in Europa ist. »Die richtige Konsequenz aus der Bestandserholung wäre gewesen, Turteltauben von der Liste jagdbarer Arten zu streichen«, sagt er – und nicht auf die Forderungen der Jägerlobby einzugehen.

Wenn die EU ihre Haltung nicht korrigiere, drohe der Turteltaube in wenigen Jahren das Schicksal der verwandten Wandertaube. Der nordamerikanische Vogel war im 19. Jahrhundert die häufigste Vogelart der Erde. Massive Nachstellung brachte sie innerhalb weniger Jahre zum Aussterben. Heute sind die Präparate der Tauben in vielen Museen der Erde ausgestellt – als Mahnung gegen das Artensterben durch eine zu starke Verfolgung.

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