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Altruismus: Nachbarschaftshilfe

Der Mensch gilt für viele als die Krone der Schöpfung. Doch welche unserer Eigenschaften hebt uns eigentlich auf diesen Thron? Unsere vielgelobte Selbstlosigkeit unseren Mitmenschen gegenüber ist es jedenfalls nicht - die praktizieren unsere nahen Verwandten nämlich auch.
Weißbüschelaffe <i>(Callithrix jacchus)</i>
"Survival of the fittest" – der Vater der Evolutionstheorie Charles Darwin hat als erster verstanden, wie hart Mutter Natur mit ihren Kindern ins Gericht geht. Nur wer am besten angepasst, am größten oder stärksten ist, hat eine Chance, im immerwährenden Konkurrenzkampf zu überleben. Für altruistisches Verhalten und Aufopferung für andere bleibt da wenig Platz. Der soziale Mensch galt daher lange als einziges Wesen, das vollkommen selbstlos auch nicht verwandten Artgenossen Hilfe zukommen lässt.

Soziale Gesellen | Die Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus), die zu den Krallenaffen gehören, ziehen ihre Jungen in Gruppen auf. Dabei helfen andere Familienmitglieder, häufig ältere Geschwister, der Mutter bei der Versorgung des Nachwuchses. Ein solches Aufzuchtverhalten bezeichnet man im Englischen als "cooperative breeding".
Nicht einmal unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, schienen an diesem menschlichen Thron zu sägen. Zwar zeigen sie kooperatives Verhalten beim Jagen, der Bewachung von Territorien und bei der Nahrungsverteilung, aber niemals "ohne Hintergedanken". Verhaltensbiologische Experimente enttarnten die sozialen Tiere als durchaus berechnende Akteure. Hilfe wurde nur dann geleistet, wenn entweder ein gegenseitiger Austausch nach dem Motto "eine Hand wäscht die andere" vorhanden war, der Artgenosse darum bettelte oder der Affe eigene Interessen verfolgte. Spontane, wirklich selbstlose Hilfe, so schlossen die Forscher, sei demnach kein Charakterzug unserer gemeinsamen Vorfahren gewesen und habe sich erst nach Aufspaltung von Mensch und Affe entwickelt.

Ein Grund dafür könnte unser Übergang zu einer sozialen Form der kooperativen Jungenaufzucht gewesen sein, vermutete Judith Burkart vom Anthropologischen Institut in Zürich. Bei dieser Strategie helfen alle Gruppenmitglieder bei der Versorgung des Nachwuchses und leben auch sonst in einem prosozialen Miteinander.

Auch im Reich unserer nächsten Verwandten findet sich diese Taktik bei Krallenaffen: Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus) praktizieren diese bei Affen sonst ungewöhnliche Form der gemeinsamen Jungenaufzucht. Würden auch sie Rücksicht auf das Wohl anderer nehmen ohne egoistische Hintergedanken?

Der Versuchsaufbau | Für ihre Experimente verwendete die Schweizer Arbeitsgruppe einen speziellen Käfig, in dem zwei Affen durch ein Gitter voneinander getrennt gehalten werden konnten. Eine Vorrichtung, die aus zwei übereinandermotierten Tabletts mit jeweils zwei Futterschüsseln bestand, wurde bei Versuchsbeginn vor den Käfig geschoben und war nur einem der beiden Affen zugänglich. Dieser Geber-Affe war außerdem in der Lage zu sehen, was sich in beiden Schüsseln befand. Die Versuchsleiter boten ihm dann zwei Wahlmöglichkeiten an: Zog er an dem einen Tablett, bekam sein Nachbar eine Grille als Futter, er aber ging leer aus. Zog er an dem anderen Tablett, kamen weder er noch sein Käfiggenosse in den Genuss des Insekts.
Die Schweizer Arbeitsgruppe entwickelte einen speziellen Käfig, in dem zwei Affen durch ein Gitter voneinander getrennt gehalten werden konnten. Eine Vorrichtung, die aus zwei übereinander angebrachten Tabletts mit jeweils zwei Futterschüsseln bestand, wurde bei Versuchsbeginn vor den Käfig geschoben und war nur einem der beiden Affen zugänglich. Dieser Geber-Affe war außerdem in der Lage zu sehen, was sich in beiden Schüsseln befand. Die Versuchsleiter boten ihm zwei Wahlmöglichkeiten: Zog er an dem einen Tablett, bekam sein Nachbar eine Grille als Futter, er aber ging leer aus. Wählte er die andere Platte, kamen weder er noch sein Käfiggenosse in den Genuss des Insekts.

Bei den Versuchspärchen übernahm immer einer von fünfzehn festgelegten Affen die "Geber"-Rolle, während als "Empfänger" Familienmitglieder ausgewählt wurden. Diese waren unterteilt in Mütter, Väter und männliche sowie weibliche Aufzuchthelfer. Insgesamt untersuchten die Wissenschaftler so 57 Paare auf ihre prosoziale Fürsorge.

Befand sich nun ein Affe im Käfig, wählte der Geber signifikant häufiger das gefüllte Tablett und verschaffte so seinem Zellengenossen eine leckere Mahlzeit.
Bedrohte Altruisten | Callithrix jacchus gehört zur Familie der Krallenaffen. Dieser wohlbekannteste Vertreter ist in den Wälder Brasiliens beheimatet. Seit einigen Jahren steht sein Name allerdings auf der "Roten Liste" der vom Aussterben bedrohten Tierarten.
Auch als Burkart und ihre Kollegen nicht-verwandte Artgenossen als Geber und Empfänger wählten, zeigten sich die Tiere spendabel. Einzig die weiblichen Helfer machten keinen Unterschied in der Tablettwahl, ob nun ein Empfänger hinter dem Gitter saß oder nicht.

Also nehmen auch Weißbüschelaffen Rücksicht auf ihre Artgenossen und kümmern sich ohne egoistische Hintergedanken um deren leibliches Wohl. Womit Burkart und ihre Kollegen ihre Vermutung bestätigt sahen, dass die kooperative Jungenaufzucht diesen Entwicklungsschritt ausgelöst haben könnte. Warum Homo sapiens aber heute auf Kindergärten setzt, während Weißbüschelaffen durch die Bäume toben, dürfte wohl andere Gründe haben.

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