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Jane Goodall: Die Hoffnungsspenderin

Sie war eine außergewöhnliche Frau. Nun ist die weltberühmte Verhaltensforscherin Jane Goodall, die jahrzehntelang für eine bessere Welt kämpfte, im Alter von 91 Jahren gestorben. Ein Nachruf auf eine beharrliche Wissenschaftlerin und Aktivistin.
Jane Goodall sitzt in einem Raum und schaut nachdenklich zur Seite. Der Hintergrund ist unscharf, was die Aufmerksamkeit auf die Person lenkt. Die Szene wirkt ruhig und konzentriert.
Jane Goodall war eine Weltbürgerin und setzte sich international für Tier- und Umweltschutz ein.

»Noch eins?«, fragte mich Jane Goodall amüsiert, als ich das dritte Aufnahmegerät auf den Tisch des Münchner Hotelzimmers legte. Ich wollte gerade anfangen, mich zu erklären, schließlich hatte mich bei einem meiner ersten Interviews mein einziges Diktiergerät kläglich im Stich gelassen. Doch die berühmte Forscherin winkte ab: »I don’t blame you.« – »Machen Sie nur, kein Problem.«

Ja, Jane Goodall war keine Frau, die andere Menschen vorverurteilte. Meinen Fragen lauschte sie hingegen so aufmerksam, wie man es sonst selten erlebt. Sie strahlte eine solche Ruhe und Präsenz aus, dass ich mich fragte, ob sie wohl regelmäßig meditierte (was sie, wie ich später erfuhr, nicht tat).

Unerschrocken und geduldig

Auf dieses Treffen hatte ich fast eineinhalb Jahre lang gewartet. Warum ich Jane Goodall unbedingt interviewen wollte? Warum hätte ich das nicht wollen sollen? Sie war unbestreitbar nicht nur die berühmteste Schimpansenforscherin der Welt, sondern auch eine faszinierende Persönlichkeit. Im Alter von 23 Jahren ergriff sie die erstbeste Gelegenheit, um mit dem Schiff nach Afrika zu reisen. Ohne jede Vorerfahrung gelang es ihr als Erste, das Vertrauen wild lebender Menschenaffen zu erlangen und sie im Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania zu beobachten. Später promovierte sie – ohne je studiert zu haben – mit einer Ausnahmegenehmigung an der University of Cambridge. Was sie vor anderen auszeichnete? Wahrscheinlich ihre unermüdliche Geduld und Unerschrockenheit. Obwohl sie ihr Handeln selbst nie als mutig empfand, schließlich war sie ja einfach nur ihrem Kindheitstraum gefolgt. Später bezeichnete Goodall die ersten Jahre in Gombe als die wohl schönsten ihres Lebens.

Jane Goodall bei der Feldforschung | Jane Goodall als junge Frau mit Schimpansen im Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania. Standbild aus dem 2017 veröffentlichten Dokumentarfilm »Jane«.

Dabei lief ihre Feldforschung alles andere als gut an. Monatelang nahmen die Tiere Reißaus, sobald sie die neugierige Forscherin erblickten. Doch Goodall machte weiter. Jeden Morgen bei Anbruch der Dämmerung kletterte sie (stets mit der gleichen hellen Hose und dem gleichen Hemd bekleidet) auf ihren Beobachtungsposten, eine kleine Anhöhe in der Nähe ihres Camps. Später erkrankte sie an Malaria oder wurde von den Schimpansen gar wie ein Feind behandelt. Die Tiere bewarfen sie mit Ästen und Zweigen und versuchten, sie einzuschüchtern und zu vertreiben. Darüber hinaus war das Territorium alles andere als ungefährlich. Es gab damals noch Leoparden und Flusspferde im riesigen, unberührten Regenwald an den Ufern des Tanganjikasees. Heute ist er Ackerland gewichen, nur noch ein 35 Quadratkilometer großer Nationalpark ist übrig.

Die grausame Seite der Menschenaffen

Durch ihre Beobachtungen zeigte Goodall der Welt, wie ähnlich Schimpansen uns Menschen sind. Sie sind genauso wie wir zu Liebe fähig, umarmen und küssen einander, knüpfen lebenslange Bande, zeigen verschiedenste Eigenheiten und Vorlieben. Gleichzeitig sind sie (ebenso wie Menschen) zu unvorstellbarer Gewalt und Brutalität fähig, zu Kannibalismus und Mord. Eine Beobachtung, die Goodall zutiefst schockierte.

Sie werde oft gefragt, ob sie Schimpansen den Menschen vorziehe, schrieb die Wissenschaftlerin einst. Ihre Antwort: »Manche Schimpansen ziehe ich manchen Menschen vor und manche Menschen manchen Schimpansen.« Denn Goodall betrachtete die Tiere als Individuen mit Persönlichkeit – in den 1960er Jahren eine Revolution.

Fragt man andere Forscher, welche von Goodalls Erkenntnissen die wichtigste sei, sagen viele: der Werkzeuggebrauch. Auch Goodall selbst war sofort klar, was ihre Beobachtung bedeutete, als sie dem Schimpansen David Greybeard dabei zusah, wie er mit einem Ast Termiten aus einem Loch angelte und genüsslich verspeiste. Sie war ihm an diesem Morgen im Jahr 1960 wie so oft auf einem seiner Streifzüge durch den Wald gefolgt, jenem Tier mit den schönen, wachen Augen und dem ruhigen, freundlichen Gemüt, der als Erster seine Angst vor ihr verloren hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt galt die Fähigkeit, Werkzeug zu verwenden oder herzustellen, als dem Menschen vorbehalten. Aufgeregt schrieb Goodall ein Telegramm an ihren Mentor, den Anthropologen Louis Leakey. Und erhielt die berühmt gewordene Antwort: »Nun müssen wir entweder Werkzeug neu definieren, den Menschen neu definieren oder Schimpansen als Menschen akzeptieren.«

Fragt man hingegen Jane Goodall, welche Erkenntnis über die Tiere sie selbst am meisten fasziniert hat, erhält man eine andere Antwort: Wichtig seien ihr vor allem ihre Befunde zur Mutter-Kind-Bindung, etwa dass es unter Schimpansen schlechte und gute Mütter gibt und die Nachkommen von letzteren später besser im Leben zurechtkommen. Sie habe von den Tieren überhaupt viel darüber gelernt, was es heiße, Mutter zu sein. Die Quintessenz ihrer Forschung sei jedoch, dass wir einen respektvollen und rücksichtsvollen Umgang mit der Umwelt pflegen müssen. Um diese Botschaft so vielen Menschen wie möglich nahezubringen, hat sie bis zuletzt gekämpft, unermüdlich, aber mit Humor, Verständnis für andere Sichtweisen und auch mit einer Portion Selbstironie.

Jane Goodall war neugierig auf den Tod

Der Arzt und Entertainer Eckart von Hirschhausen hat Jane Goodall einmal gefragt, wie sie selbst dem Tod entgegensehe. Ihre Antwort offenbarte, dass ihr auch im Alter von damals 83 Jahren die Neugier nicht abhandengekommen war: »Irgendwie freue ich mich darauf«, sagte sie. »Denn entweder ist der Tod schlicht das Ende – und das wäre ja völlig in Ordnung. Oder es ist irgendetwas jenseits von unserem Dasein, und das wäre dann eine wahnsinnig spannende Entdeckung.«

Obwohl Jane Goodall eine außerordentliche Gelassenheit ausstrahlte, war sie doch ihr Leben lang eine Getriebene. Zunächst getrieben von dem Wunsch, Tarzan zu heiraten (wie sie sicherlich tausende Male in Interviews erzählte), und der damals für ein junges Mädchen irrwitzigen Idee, nach Afrika zu gehen und mit Tieren zu arbeiten. Irgendwann von der Faszination für unsere nächsten Verwandten und dem Wunsch, deren Wesen zu verstehen und alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sie zu beschützen. Doch die Forscherin begriff bald, dass man Tiere und ihren Lebensraum nur dann schützen kann, wenn man die Lebensbedingungen der Menschen verbessert. 1986 verließ sie ihre damalige Heimat Gombe, um weltweit für den Naturschutz zu werben.

Jane Goodall | Der Verhaltensforscherin gelang es als Erste, das Vertrauen wild lebender Menschenaffen zu erlangen. Sie entdeckte, wie ähnlich sich Schimpansen und Menschen sind – im Guten wie im Schlechten.

Naturschutznomadin ohne Unterlass

»Ist die Welt heute besser als damals, als Sie Ihr Leben als Aktivistin begannen?«, habe ich sie gefragt. Sie verneinte. Die Umweltzerstörung schreite immer weiter voran, die Abholzung der Wälder, die Verschmutzung der Meere, die Überbevölkerung und der Konsum. Das war vermutlich auch der Grund, warum sich Jane Goodall keine Pause gönnte, auch nicht in einem Alter, in dem andere schon seit mehr als 20 Jahren im Ruhestand sind. Sie lebte das Leben einer Naturschutznomadin: Sie schlief in Hotelbetten und hielt alle paar Tage in anderen Ländern Vorträge. Dem Regisseur Lorenz Knauer, der ihr Leben verfilmt hat, sagte sie: »Die Zeit läuft mir davon. Ich habe das Gefühl, ich muss immer noch mehr tun, obwohl ich ja schon alles gebe.«

Als ich Jane Goodall im Dezember 2017 für das Interview traf, war sie nur für zwei Tage in München, anschließend ging es direkt weiter nach Malaysia, obwohl sie sichtlich schlecht zu Fuß war. Sie war auf dem Münchner Bahnhof gestürzt und hatte sich am Bein verletzt, zum Fototermin stützte ich sie. Als ich sie fragte, ob sie mit ihrer Arbeit weitermachen wolle, sagte sie: »Eigentlich nicht.« Ich war überrascht. Und wünschte ihr, sie möge sich selbst mal eine Pause gönnen, vielleicht um Zeit in ihrem Haus in England zu verbringen, in dem sie aufgewachsen war. Doch ihren Job – Hoffnung geben – wollte sie bis zuletzt nicht anderen überlassen. Am 1. Oktober 2025 ist sie im Alter von 91 Jahren gestorben: Ihr Vermächtnis wird bleiben.

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