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Außerkörperliche Erfahrungen: Wie sich der nahende Tod anfühlt

Nach einer Reanimation können sich manche Überlebende an die Zeit erinnern, in der ihr Herz nicht mehr schlug. Sie erzählen, wie sie ihren Körper verließen und wieder zurückkehrten.
Grauhaariger Mann liegt auf dem Boden und wird mit einem Defibrillator behandelt
Manche Menschen berichten nach einem Herzstillstand von Nahtoderfahrungen. (Symbolbild)

Wenn das Herz eines Menschen stillsteht, bedeutet das nicht, dass er nichts mehr spüren kann. Laut Berichten von Überlebenden nehmen einige noch wahr, was mit ihnen passiert, und jeder fünfte erinnert sich an Nahtoderfahrungen. Rund ein Dutzend solcher Fälle hat eine Forschungsgruppe jetzt in der Fachzeitschrift »Resuscitation« dokumentiert. Fazit: Es ist denkbar, dass Menschen trotz Herzstillstand noch etwas empfinden und sich ihrer Situation bewusst sind.

Für die aufwändige Feldstudie arbeiteten 37 Personen zusammen, geleitet vom Kardiologen Sam Parnia von der New York University, der für seine Nahtodforschung bekannt ist. Zwischen Mai 2017 und März 2020 begleiteten sie in mehr als 20 Krankenhäusern in England und den USA Reanimationsversuche: Sie kamen immer dann dazu, wenn jemand im Krankenhaus einen Herzstillstand hatte und mindestens fünf Minuten lang reanimiert wurde. Im Mittel dauerte die Reanimation 23 Minuten. Von den betroffenen 567 Erwachsenen konnten nur neun Prozent das Krankenhaus wieder verlassen. Zwei bis vier Wochen später waren gut die Hälfte davon – 24 Männer und 4 Frauen, überwiegend aus England – in der Lage, sich befragen und testen zu lassen.

Zu den Tests zählten zwei, die Erinnerungen an Bilder oder Wörter nachweisen sollten, die während der Wiederbelebungsversuche auf einem Tablet oder über Kopfhörer eingespielt wurden. Der erhoffte Nachweis gelang zwar nicht. Doch knapp 40 Prozent erinnerten sich an andere Erlebnisse, zum Beispiel an die Reanimation selbst (7 Prozent) wie die Schmerzen und den Druck auf der Brust, aber auch an ein inneres Erleben wie im Traum (11 Prozent). Am häufigsten waren jedoch Berichte von Nahtoderfahrungen (21 Prozent).

Solche Erinnerungen fanden Parnia und sein Team auch bei einer zweiten Stichprobe: 126 Menschen, die außerhalb eines Krankenhauses einen Herzstillstand erlitten und reanimiert wurden. Die Forschenden entdeckten in den Berichten eine typische Erzählstruktur, angefangen damit, den eigenen Körper zu verlassen, im Raum zu schweben und sich selbst von außen zu sehen. Zu den zentralen Motiven zählte auch, in einen Tunnel in Richtung eines Lichts gezogen zu werden, verstorbene Angehörige zu sehen sowie das eigene Leben noch einmal zu durchleben und die Folgen des eigenen Handelns zu erkennen. Typisch war außerdem das Gefühl, im Tod »nach Hause« zu kommen, nicht zurück ins Leben zu wollen, dann aber doch umzukehren, um eine Aufgabe zu erfüllen.

Aus all diesen Erinnerungen schlossen Parnia und sein Team, dass während des Herzstillstands noch Hirnaktivität vorhanden war. Dafür gab es auch physiologische Anzeichen im EEG. Zwar lagen solche Daten nur von 53 Personen vor – es dauerte in der Regel knapp zehn Minuten, bis ein mobiles Messgerät am Kopf befestigt war und die elektrische Aktivität im Gehirn während der Reanimation aufzeichnete. Doch tatsächlich ließ sich in den folgenden zehn Minuten noch bei 75 Prozent dieser Personen phasenweise ein »normales oder nahezu normales« EEG nachweisen. Rund die Hälfte der 28 Überlebenden zeigten vorübergehend keine EEG-Aktivität mehr. Wenn Hirnaktivität messbar war, handelte es sich vor allem um Delta- oder Thetawellen, wie sie sonst in bestimmten Schlafstadien und bei Hirnkrankheiten wie Demenz auftreten.

Unklar bleibt, inwieweit Hirnaktivität und spätere Erinnerungen zusammenhängen. Parnia und sein Team interpretieren die EEG-Daten jedenfalls als »biologische Marker« für Bewusstsein – eine umstrittene Sichtweise. Ihre Erklärung für Nahtoderfahrungen: In einem wachen, gesunden Gehirn filtere eine Art »Bremssystem« weite Teile der Hirnaktivität aus dem Bewusstsein heraus. Im sterbenden Gehirn sei dieses System ausgeschaltet, und der Sterbende habe bewussten Zugang zu all seinen Erinnerungen.

»Patienten bei der Reanimation so behandeln, als ob sie wach wären«

Lakhmir Chawla, Intensivmediziner am Veterans Affairs Medical Center in San Diego, Kalifornien, findet die Ergebnisse beeindruckend, wie er gegenüber »Scientific American« erklärte. Er hat selbst bereits sterbende Patienten per EEG untersucht, war an der Forschung von Parnia und seinen Kollegen jedoch nicht beteiligt. Deren Befunde sollten laut Chawla »Klinikärzte dazu anhalten, Patienten bei der Reanimation so zu behandeln, als wären sie wach«. Das werde aber nur selten getan.

»Die herkömmliche medizinische Meinung ist, dass das Gehirn nach fünf- bis zehnminütigem Sauerstoffentzug stirbt«, sagt Parnia. Doch womöglich könne es noch länger ohne Sauerstoff auskommen. Obwohl das Herz nicht mehr schlug, sei das Gehirn bei einzelnen Patienten noch eine halbe bis eine Stunde lang aktiv gewesen.

Erste Hilfe bei Herzstillstand

Das Wichtigste bei der so genannten Herz-Lungen-Wiederbelebung (kardiopulmonale Reanimation) ist die Herzdruckmassage: Man drückt 100-mal pro Minute senkrecht auf die Mitte der Brust. Der Hit »Staying Alive« hilft, den richtigen Rhythmus zu finden. Nach 30-mal Drücken sollte man zur Mund-zu-Mund-Beatmung übergehen: die Nase mit den Fingern zuhalten und zweimal vorsichtig in den Mund atmen, bis sich der Brustkorb hebt. Wer sich das nicht zutraut, sollte bei der Herzdruckmassage bleiben, bis professionelle Hilfe vor Ort ist.

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