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Krebserkrankungen: Nanospäher

Ein spezialisierter Mini-Suchtrupp durchkämmt den Körper gezielt nach Tumoren, heftet sich im Trefferfall wie eine Klette an, liefert Ärzten ein verlässliches Leuchtsignal, verstopft dem entarteten Gewebe die Nachschub-Transportwege und sorgt durch ein Medikament im Gepäck auch gleich noch für einen ersten Schlag gegen den Krebs - ein Traum? Noch, ja. Doch die Wirklichkeit rückt näher.
Nanopartikel an Fibrin-Netzwerk
Erinnern Sie sich an den Filmklassiker "Die fantastische Reise"? Darin wird ein U-Boot samt Besatzung auf Mikrobengröße geschrumpft und in die Blutbahn eines übergelaufenen Diplomaten gespritzt. Eine Stunde bleibt dem Team, um mittels Laserstrahl ein Blutgerinnsel im Gehirn des Mannes zu beseitigen. Mag so manches in dem Streifen heutzutage hoffnungslos verstaubt anmuten, die Idee – einen spezialisierten, selbstständig operierenden Such- und Angriffstrupp auf körperinternes Unbill loszulassen – ist immer noch Science-Fiction. Aber sie ist bei weitem nicht mehr so abgedreht wie vor vierzig Jahren, als der Film entstand.

So erinnern die Arbeiten von Erkki Ruoslahti am Krebsforschungszentrum des Burnham-Instituts für medizinische Forschung in La Jolla und seinen Kollegen durchaus an die Filmvorlage. Gut, sie verzichten auf die miniaturisierte Besatzung – die sie auch gar nicht brauchen. Denn die Wissenschaftler haben aus verschiedenen Bauteilen Nanopartikel zusammengebastelt, die eigenständig Tumoren aufspüren und zumindest erst einmal besser sichtbar machen.

Nanopartikel an Fibrin-Netzwerk | Sie haben ihr Ziel gefunden: Nanopartikel mit Tumoren-Spürhund – eine Peptidkette aus fünf Aminosäuren – haben sich an Plasmaproteinklumpen angelagert. Da diese typisch für Tumoren sind, könnten die Partikel die Bildgebung und womöglich sogar die Therapie bei Krebserkrankungen verbessern. Bislang wurden sie aber nur an Mäusen erprobt.
Der eigentliche Spürhund ist dabei ein Peptid von gerade einmal fünf Aminosäuren: Cystein, Arginin, Glutaminsäure, Lysin und Alanin, oder kurz Creka. Diese kurze Eiweißmolekülkette versahen Ruoslahti und seine Mitarbeiter mit einem Fluoreszenzfarbstoff und spritzten sie krebskranken Mäusen. Entsprechende Leuchtspuren entdeckte das Team ausschließlich im Tumorinneren und den versorgenden Blutgefäßen – nicht aber in gesundem Gewebe. Denn das Peptid, so fanden die Forscher heraus, begeistert sich besonders für verklumpte Plasmaproteine: In genetisch veränderten Mäusen, die das dafür nötige Fibrin nicht herstellen können, fanden sich keine verräterischen Farbspuren. Da diese Klumpen typisch für Tumoren sind, eignen sie sich hervorragend als Zielobjekte.

Im nächsten Schritt befestigten die Forscher ihren signalgebenden Späher an Nanopartikeln aus superparamagnetischem, mit Dextran beschichteten Eisenoxid (SPIO) – ein Kontrastmittel, das bei der Magnetresonanztomografie eingesetzt wird. In Zellkulturen banden die Partikel noch immer fest an vorhandene Proteinklumpen – die erste Bewährungsprobe für den Einsatz als Nano-U-Boot auf besonderer Mission war also bestanden.

Doch wie im Film auch, hat ein solcher Fremdkörper in den Blutbahnen natürlich mit massiver Gegenwehr zu kämpfen. Immunsystem-Patrouillen, die dem Eindringling begegnen, werden mit allen Mitteln versuchen, den vermuteten Feind unschädlich zu machen – im Fall der Nanopartikel also schlicht auffressen. Was auch geschah, als die Wissenschaftler ihr Konstrukt in lebende Mäuse spritzten.

Blieb nur ein verbreitetes Ablenkmanöver: Lockvögel. Bevor sie ihren Tieren die Tumorspäher injizierten, behandelten die Forscher die Mäuse mit Liposomen, die sie mit Nickel beschichtet hatten. Das beschäftigte die Immunabwehr der Nager dermaßen, dass sich nicht nur die Halbwertszeit der zirkulierenden Nanopartikel verfünffachte, sondern auch ihre Treffer-Bindungsquote steigerte. Den Erfolg trübt allerdings ein bedenklicher Wermutstropfen: Einige Mäuse überlebten diese Vorbehandlung nicht. Ohne Nickel aber zeigten sich die Liposomen deutlich weniger wirksam. "Eine Verringerung des Nickel-Gehaltes könnte einen geeigneten Kompromiss zwischen Toxizität und Effektivität darstellen", mutmaßen die Forscher. Hier gilt es also noch zu basteln.

Dafür freuten sie sich über einen weiteren, nicht erwarteten Effekt: Die Nanopartikel binden nicht nur an Klumpen, sie verklumpen auch selbst. Das verstärkt einerseits das Leuchtsignal, verstopft aber andererseits zusätzlich die besiedelten Gefäße. Zwar kappen die Suchtrupps bislang auf diese Weise dem Tumor nur ein Fünftel seiner Nachschubwege, was ihn in seinem Wachstum nicht weiter bremst. Doch ließe sich diese Aktion sicher noch beflügeln, meinen Ruoslahti und sein Team – schließlich gehört das Aushungern von Tumoren durch Abschneiden der versorgenden Blutzufuhr zu den wichtigsten Ansätzen in der Krebsbehandlung. Und damit sind noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft: Vielleicht ließe sich den Nanopartikeln noch eine medikamentöse Huckepackfracht aufschnallen, die dem Tumor chemisch zu Leibe rückt, hoffen die Wissenschaftler.

Bietet die Medizin also demnächst die fantastische Reise, Folge zwei, zur Krebstherapie? So schnell natürlich nicht. Ganz abgesehen davon, dass alle Studien bislang an Mäusen, nicht Menschen gemacht wurden, bleibt vor allem die Frage nach den Risiken und Nebenwirkungen. Denn so schön sich der ganze Plot liest, in den Ergebnissen finden sich einige Punkte, die noch genauer zu untersuchen sind. So fanden die Forscher ihre Nanopartikel beispielsweise auch in hohen Konzentrationen in der Leber. Dort verklumpten sie zwar nicht, aber ob sie den Tieren auf lange Sicht oder in anderer Form schadeten, ist derzeit noch offen. Damit bleibt auch zu klären, inwieweit sich die Partikel mit nachteiligem Effekt in anderen Organen oder Körperregionen ablagern – wie offenen Wunden beispielsweise, die ebenfalls einen reichen Vorrat an Plasmaproteinknäueln bieten.

Noch also ist der signalgebende Tumor-Nanospäher mit Lizenz zum Töten Science-Fiction. Aber was werden wir in vierzig Jahren darüber sagen?

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