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Posttraumatische Belastungsstörung: Eine Impfung gegen den Schrecken

Viele Soldaten leiden erheblich unter ihren traumatischen Einsatzerfahrungen. Eine präventive psychologische Behandlung könnte künftig helfen, zeigen nun Untersuchungen in Burundi.
Burundische Soldaten der AMISOM-Mission stehen Wache

An einen der vielen Soldaten, die er in den vergangenen Jahren getroffen hat, kann sich der Psychologe Anselm Crombach besonders gut erinnern. Der junge Mann gehörte zur Friedensmission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM), und Crombach hatte mit ihm vor dessen Militäreinsatz im Rahmen seines Projekts im afrikanischen Burundi klinische Interviews geführt und ihn später therapeutisch behandelt. Der Mann war gerade von dem Einsatz in seinen Heimatort zurückgekehrt. Nach den traumatischen Erlebnissen im Kampf gegen die Al-Shabaab-Milizen erwartete ihn auch zu Hause ein Schock: In seiner Abwesenheit hatte ihn seine Frau für einen anderen Mann verlassen und mit diesem ein Kind bekommen. Das brachte offenbar das Fass zum Überlaufen. "Ich bringe die beiden und mich um", drohte der Soldat gegenüber Anselm Crombach.

"Es ist mir letztlich gelungen, ihn im therapeutischen Gespräch von diesem Plan abzubringen", sagt der Konstanzer Forscher. Mit Situationen wie diesen sah sich Crombach in seiner Arbeit mit burundischen Soldaten immer wieder konfrontiert. Viele litten unter Symptomen der so genannten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS): Gedanken an Suizid, aber auch an Rache waren keine Seltenheit. Oft zeigten sie auch Depressionssymptome, konnten keiner geregelten Arbeit nachgehen, gerieten ins soziale Abseits. Und den meisten von ihnen war nicht bewusst, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt. Im Mittelpunkt der therapeutischen Behandlung stand deshalb die Bearbeitung traumatischer Kriegserlebnisse und anderer Gewalterfahrungen – als Opfer und Täter – in der so genannten Narrativen Expositionstherapie (NET). Dabei entwickelt der traumatisierte Patient in den Behandlungssitzungen im Gespräch mit dem Therapeuten einen detaillierten und in sich schlüssigen Bericht seiner Lebensereignisse.

Drei Jahre lang untersuchte Crombach als Mitglied eines Forscherteams aus Wissenschaftlern, Doktoranden und Studierenden der Universität Konstanz in dem bislang weltweit einmaligen Feldforschungsprojekt die Zusammenhänge von traumatischem Stress und Gewaltbereitschaft von Soldaten – vor und nach ihren Einsätzen in Somalia. Eine aktuelle Studie dazu ist im "European Journal of Psychotraumatology" erschienen, eine weitere wird demnächst im "Journal of Peace Psychology" veröffentlicht.

Eine "Impfung" gegen die Folgen belastender Erfahrungen?

Es ist nicht das erste Mal, dass Psychologen Soldaten nach Kriegseinsätzen untersuchen. So befragten unter anderem Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden 2012/2013 Bundeswehrsoldaten nach ihrem Afghanistan-Einsatz. Dabei zeigte sich, welchen herausragenden Stellenwert psychische Vorerkrankungen einnehmen, was einsatzbedingte Folgeerkrankungen angeht. In Burundi hatten die Konstanzer Psychologen nun erstmals die Chance, im Längsschnitt Soldaten zu untersuchen, die durchweg alle bereits durch den langen, blutigen Bürgerkrieg in Burundi – in den Jahren 1993 bis 2005 – traumatisch vorbelastet waren: einige als Soldaten, die meisten, die Jüngeren, aber als Kinder und Jugendliche.

Burundische Truppen bei der Ablösung | Soldaten der Burundi National Defence Forces treffen am 26. August 2013 für einen zwölfmonatigen Dienst im Rahmen der AMISOM-Mission in Mogadischu ein.

Zu diesem Zweck führten die Forscher mit ihnen ausführliche klinische Interviews und, wenn nötig, Therapiegespräche. Ein Ziel war es herauszufinden, ob geeignete Vorbereitungen durch eine eigens dafür entwickelte präventive NET vor dem Einsatz im Krisengebiet das Risiko einer Traumafolgestörung mindern können oder gar wie eine Art "Schutzimpfung" wirken.

Die jetzt vorliegenden Ergebnisse sprechen dafür. Reine Depressionssymptome traten bei jenen Soldaten, die keine "PreNET" erhalten hatten, doppelt so oft auf oder nahmen zu verglichen mit jenen, die eine solche präventive Behandlung erhalten hatten. Bei PTBS traten die Symptome anderthalbmal so oft auf. Gemessen wurde dies anhand einer Erstbefragung vor dem Einsatz und Folgebefragungen direkt nach dem Einsatz.

Auch die Follow-up-Befragungen in Frühjahr 2015 ergaben: Die Chance, dass die PTBS-Symptome zwischen der Erhebung vor dem Einsatz in Somalia und der Follow-up-Erhebung zirka ein Jahr nach der Rückkehr der Soldaten zugenommen hatten (somit eine Verschlechterung eingetreten war), ist anderthalbmal höher bei Soldaten, die keine PreNET erhalten haben, als bei Soldaten, die eine PreNET erhalten haben.

Anhaltende Wirkung

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen die Forscher, was Depressionssymptome anging: Die Wahrscheinlichkeit, dass Depressionssymptome zwischen der Erhebung vor dem Einsatz in Somalia und der Erhebung direkt nach der Rückkehr zunehmen, ist ebenfalls beinahe doppelt so hoch bei Soldaten, die keine PreNET erhalten haben, wie bei Soldaten, die eine PreNET erhalten haben.

"Die Follow-up-Erhebung einige Zeit nach der Rückkehr aus Somalia war deshalb so wichtig für unsere Ergebnisse, weil sich beispielsweise deutliche Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung erst zeitverzögert zeigen", erläutert Crombachs Kollegin Corina Nandi, Doktorandin an der Universität Konstanz. Gemeinsam mit Anselm Crombach führte sie die Feldforschung im Militärcamp in der Nähe der burundischen Hauptstadt Bujumbura durch und leitete auch die einheimischen Psychologen und Psychologiestudierenden der kooperierenden Université Lumière an.

Gefangene in Mogadischu | Während eines nächtlichen Einsatzes haben Soldaten der AMISOM-Mission in Mogadischu mutmaßliche Angehörige der Al-Shabaab-Milizen für Verhöre festgesetzt.

Zum Hintergrund der Untersuchung: Insgesamt wurden zwischen Herbst 2012 und Frühjahr 2015 knapp 1000 männliche Soldaten nach ihren Lebensumständen und Gewalterfahrungen befragt. Etwa 400 von ihnen waren Bürgerkriegsveteranen, die nicht mehr im aktiven Kriegseinsatz waren; die übrigen 550 waren AMISOM-Soldaten und jeweils für ein Jahr in Somalia im Einsatz. Einige der Probanden zeigten deutliche Symptome einer PTBS, andere nicht. Für die PreNET-Untersuchungen wurden letztlich 120 Soldaten ausgewählt, die keine, wenig oder starke PTBS-Symptome zeigten. 60 von ihnen erhielten die präventive Intervention, die anderen nur die bisher in der Armee übliche Einsatzvorbereitung.

Für große Armeen zugeschnittene preNET

Katalysator für das Projekt war ein früherer Forschungsaufenthalt Anselm Crombachs in der Hauptstadt Bujumbura gewesen. Für seine Doktorarbeit forschte der heute 32-Jährige über Straßenkinder. Durch Kontakte seines Kooperationspartners Manassé Bambonye von der Université Lumière entstand die Idee, mit dem burundischen Militär zusammenzuarbeiten. Crombachs Kollege Roland Weierstall, Privatdozent und Psychotherapeut an der Uni Konstanz, war sofort begeistert, zumal er selbst im Kongo an Feldstudien zur Entwicklung von Gewalt beteiligt gewesen war. Er nahm Kontakt zur burundischen Armee auf und übernahm, da Crombach damals noch Doktorand war, die Koordinierung des Projekts. Doch zunächst ließ die offizielle Genehmigung des burundischen Verteidigungsministeriums auf sich warten. "Dann gab es dort plötzliche Neubesetzungen mehrerer Posten, wodurch sich die Genehmigung zur Durchführung des Projekts und damit dessen Start erneut verzögerte", berichtet Weierstall.

Doch das Warten hat sich für die Konstanzer Forscher wie auch für die burundischen Soldaten offenbar gelohnt. Die von dem Psychologen entwickelte und auf die besonderen Umstände in einer großen Armee zugeschnittene PreNET scheint ein geeignetes Instrument zu sein. Ein eigenes Format für die präventive Intervention zu entwickeln, war notwendig: Weil jeweils große Bataillone in den Einsatz geschickt werden, sind zeitliche wie personelle Möglichkeiten für eine über mehrere Wochen oder gar Monate ausgedehnte Intervention natürlich begrenzt. Stattdessen führten Crombach und Nandi mit den ausgewählten Probanden zwei Gespräche von jeweils zwei- bis dreistündiger Dauer auf Grundlage einer Narrativen Expositionstherapie.

"Ein nächster Schritt kann nun sein, darüber nachzudenken, wie sich eine Prävention auch bei anderen Berufsgruppen wie etwa Feuerwehrleuten anwenden ließe, die ebenfalls mit lebensbedrohlichen Stresssituationen konfrontiert werden", resümiert Roland Weierstall.

Appetitive Aggression

Aus allen geführten Interviews wurden auch Rückschlüsse auf den Grad der appetitiven Aggression des jeweiligen Soldaten gezogen. Die Untersuchungen zeigen, dass ein hohes Maß an appetitiver Aggression offenbar zu einer erhöhten Widerstandsfähigkeit, also Resilienz, gegenüber Traumatisierungen führen kann.

Im Gegensatz zu reaktiver Aggression – zum Beispiel als Verteidigung in einer bedrohlichen Situation – steckt hinter appetitiver Aggression ein regelrechtes Hochgefühl, das die Hemmungslosigkeit, Gewalt auszuüben, befördert. In diesem Zusammenhang können womöglich die Meldungen von Human Rights Watch von 2014 über gewalttätige burundische Soldaten gesehen werden: Einige AMISOM-Soldaten, die eigentlich als Schutz für die Bevölkerung vor Ort sein sollten, sollen auf ihren Stützpunkten in Mogadischu schutzbedürftige somalische Frauen und Mädchen sexuell misshandelt haben.

Einen anderen Aspekt gilt es nun noch weiter auszuloten: die Auswirkungen auf das Erbgut der Betroffenen. "Es konnte bereits nachgewiesen werden, dass traumatische Lebensereignisse auch epigenetische Veränderungen hervorrufen können, was bei der traumatisierten Person zu einer veränderten Stressanfälligkeit führen kann", sagt Roland Weierstall.

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