Narzissmus: Lieber unbeliebt als gar nicht beachtet

Die wenigsten Menschen möchten gern negativ auffallen. Doch eine Minderheit lässt sich lieber kritisieren, als gar nicht beachtet zu werden. Das hat eine Forschungsgruppe um Selma Rudert von der Universität Kaiserslautern am Standort Landau in einer Reihe von Experimenten nachgewiesen. Wie das Team in der Fachzeitschrift »Self and Identity« berichtet, ist das Aufmerksamkeitsbedürfnis mancher Menschen so groß, dass sie lieber Gegenstand von bösem Tratsch sind, als dass niemand über sie spricht.
Für die Versuchsreihe warb die Gruppe rund 2300 Menschen über Onlineplattformen an, darunter war auch eine in Alter, Geschlecht und Herkunft repräsentative US-Stichprobe. Die Versuchspersonen bekamen verschiedene Texte vorgelegt: Sie sollten sich vorstellen, dass Freunde oder Kollegen in ihrer Abwesenheit über sie sprechen – je nach Versuchsbedingung kritisch (also negativ) oder bewundernd (positiv). Wäre es der Versuchsperson lieber, wenn die Leute gar nicht von ihr sprächen oder wenn sie es in der beschriebenen Weise tun?
Erwartungsgemäß wollten die meisten Menschen nicht, dass andere über sie lästern. Sogar knapp jeder Dritte wollte nicht einmal, dass in seiner Abwesenheit gut über ihn gesprochen würde: Nur rund zwei Drittel bevorzugten positive Äußerungen verglichen mit gar keinen. Doch fast jeder Siebte zog es vor, dass andere schlecht als überhaupt nicht über ihn reden. Ob es sich bei den Tratschenden um Freunde oder um Kollegen am Arbeitsplatz handelte, spielte dabei keine besondere Rolle. Männer wollten dabei eher in Kauf nehmen, dass andere über sie herziehen. Noch mehr galt das aber für jene Versuchspersonen, die sich selbst als narzisstisch beschrieben.
Narzissten fühlen sich oft zu wenig beachtet, wie Selma Rudert in einer weiteren aktuellen Studie mit anderen Kollegen berichtet. Die Forschungsgruppe zeigte anhand von Experimenten und Daten aus dem deutschen Sozio-oekonomischen Panel: Je stärker jemand zu »grandiosem« Narzissmus neigt – das heißt zu hohen Ansprüchen und einem starken Wunsch nach Bewunderung und Anerkennung –, desto eher fühlt er sich aus einer Gruppe ausgeschlossen. Das hat verschiedene Gründe: Narzissten interpretieren zweideutiges Verhalten eher als Ausgrenzung, und tatsächlich werden sie auch häufiger gemieden. Umgekehrt fördern Ausgrenzungserfahrungen Narzissmus, wie das Team zusätzlich über eine neuseeländische Langzeitstudie mit mehr als 70 000 Befragten ermittelte. Das narzisstische Geltungsbedürfnis könnte demnach teils darin wurzeln, zu wenig Beachtung erfahren zu haben, und dann wiederum mehr Ausgrenzung nach sich ziehen – ein Teufelskreis.
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