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NASA-Chef Jim Bridenstine: Der Mann der leisen Töne

Abgestempelt als Trump-Mann, als Klimaskeptiker, als Raumfahrt-Novize, versucht der neue NASA-Chef Jim Bridenstine nun, international Vertrauen zu gewinnen. Er tut dies mit überraschender Offenheit, mit Fachwissen und mit viel diplomatischem Geschick.
NASA-Administrator Jim Bridenstine

Es läuft etwas falsch in dieser Welt, wenn der Chef der wichtigsten Raumfahrtagentur auf einem der wichtigsten Raumfahrtkongresse öffentlich dazu aufgefordert wird, sich zum menschengemachten Klimawandel zu bekennen – und wenn er für diese Selbstverständlichkeit auch noch tosenden Applaus erhält.

Jim Bridenstine, seit einem halben Jahr Administrator der US-Raumfahrtagentur NASA, muss sich Anfang Oktober 2018 beim Internationalen Astronautischen Kongress (IAC) in Bremen genau dieser – im Grunde demütigenden – Prozedur unterziehen. Doch das Kreuzverhör auf offener Bühne hat seinen Grund: Bridenstine, ein bulliger Typ mit pausbäckigem College-Bubi-Gesicht, mit schlecht sitzenden Sakkos und einer Vorliebe für braune Schuhe, gilt als Trump-Günstling. Er ist gelernter Politiker, der Erste an der Spitze der NASA.

Er ist Wirtschaftswissenschaftler mit wenig Bezug zum Weltraum, von der Leitung eines winzigen Luft- und Raumfahrtmuseums in Tulsa einmal abgesehen, seinem Wahlkreis in Oklahoma. Vor allem aber ist Bridenstine in der Vergangenheit als Klimaskeptiker aufgefallen, als jemand, der Ausgaben für die Klimaforschung als Verschwendung abgekanzelt hat. Und so jemand steht an der Spitze der wichtigsten Raumfahrtagentur der Welt?

Eine Marionette Trumps – oder doch nicht?

Als US-Präsident Donald Trump vor mehr als einem Jahr den bis dahin weitgehend unbekannten republikanischen Abgeordneten zum neuen NASA-Administrator machen wollte, fragten sich daher nicht wenige: Sollte Bridenstine zur Abrissbirne der Raumfahrtbehörde werden, zumindest aber ihres Erdbeobachtungsprogramms – so wie es sein republikanischer Kollege Scott Pruitt, ebenfalls aus Oklahoma, bei der Umweltschutzbehörde EPA versuchte? Oder wollte Trump bewusst einen unerfahrenen, von seinen Gunsten abhängigen Raumfahrtneuling installieren, um bei Weltraumthemen selbst glänzen zu können? Schließlich ist die Raumfahrt immer für starke Bilder gut.

Der neue NASA-Chef | Jim Bridenstine (rechts) bei seiner Amtseinweihung mit Mike Pence, dem Vizepräsidenten der USA, am 23. April 2018.

In Bremen zerstreut Bridenstine solche Bedenken schnell, allein durch sein Auftreten: freundlich, aber doch verbindlich; selbstbewusst, aber nicht nationalistisch; kenntnisreich, aber nicht überheblich. Und, wie er unablässig betont, offen für internationale Zusammenarbeit. Nur: Ist der 43-Jährige wirklich so? Verstellt er sich, um die Partner nicht vor den Kopf zu stoßen? Wird er alsbald von Trump zurückgepfiffen und auf Linie gebracht?

Klar ist: Bridenstine weiß, dass er unter Beobachtung steht, insbesondere im Ausland. Er agiert vorsichtig, diplomatisch, er wägt seine Worte ab, wirkt aber dennoch nicht verkrampft. Ganz anders als während seiner Anhörung im US-Kongress, die sich fast acht Monate lang hinzog. Immer wieder hielten ihm demokratische Abgeordnete seine alten Aussagen zum Klimawandel vor, immer wieder kritisierten sie seine fehlende Fachkenntnis, seinen fehlenden Stallgeruch. Am Ende setzte sich Bridenstine nach einer äußerst knappen Abstimmung dann doch durch, so dass er am 23. April 2018 sein Amt antreten konnte – vor sechs Monaten.

Der charmante Mr. Bridenstine

Es müssen intensive Monate gewesen sein. Wer dem charmanten Mr. Bridenstine zuhört, merkt schnell, dass der vermeintliche Raumfahrtlaie tief in der Materie steckt, und ebenso über breite Allgemeinbildung verfügt. Bridenstine zitiert den Westfälischen Frieden, die Grundlage für Europas Friedensordnung, genauso selbstverständlich wie Artikel 6 des Weltraumvertrags, der Nationalstaaten auch für private Raumfahrtaktivitäten auf ihrem Territorium verantwortlich macht.

Er rattert routiniert die Zahlen und Fakten rund um den Weltraumschrott herunter, nur um bei anderer Gelegenheit spontan zu einem Exkurs über die Erforschung von Bier auf der Internationalen Raumstation ISS anzusetzen – nicht ohne augenzwinkernd hinzuzufügen, dass dort, ginge es nach ihm, dann doch lieber kalorienfreies Mountain Dew erforscht werden sollte, eine stark koffeinhaltige US-Limonade.

Verbale Fehltritte, wie sie bei Neulingen in der Raumfahrtpolitik unweigerlich vorkommen, die schon mal »Columbia« (die abgestürzte US-Raumfähre) und »Columbus« (das europäische Forschungsmodul auf der ISS) verwechseln, sucht man bei Bridenstine hingegen vergebens. Wenn er schon politisch umstritten ist, dann will er sich – so scheint es – zumindest bei den Fakten keinesfalls eine Blöße geben.

Für den NASA-Chef wäre es der perfekte Zeitpunkt, um nachzutreten. Aber so ist Bridenstine nicht

Trotzdem bleibt Bridenstine ein Trump-Mann, der bei Twitter lieber Videos des konservativen Senders »Fox News« verbreitet statt von CNN, dem Erzfeind seines Chefs. Und er macht daraus auch keinen Hehl. Ein ums andere Mal zitiert Bridenstine in Bremen Trumps Direktiven zur Weltraumpolitik, die der Präsident ihm und der NASA erteilt hat – allen voran die Aufgabe, im kommenden Jahrzehnt erneut zum Mond zu fliegen. Er tut dies allerdings ohne die übermäßig nationalistische Rhetorik seines Vorgesetzten, ohne das Versprechen, Amerika auch im Weltall wieder großartig zu machen, ohne die Forderung nach einer uneingeschränkten Führungsrolle der USA im All.

21,5 Milliarden Dollar für die Raumfahrt

Bridenstine, der gerne aufrecht auf seinem Stuhl sitzt, den Rücken durchgedrückt, das Kinn gereckt, mit stetem Blickkontakt zum Gegenüber, macht das subtiler: 42,5 Milliarden Dollar würden alle Raumfahrtagenturen zusammen pro Jahr ausgeben, erzählt er. Die NASA allein liege bei 21,5 Milliarden Dollar, was sie schlichtweg auf Basis der Zahlen zur Nummer eins mache. »Wir wollen diese Rolle behalten«, sagt Bridenstine, »aber wir schaffen das nicht ohne die Unterstützung unserer internationalen Partner.«

Es ist eine Maxime, die der NASA-Chef in Bremen unablässig wiederholt und variiert: »Gemeinsam können wir im Weltall Dinge erreichen, die niemandem allein gelingen.« Oder: »Die Position der NASA ist: Wir wollen mit allen kooperieren.« Oder: »Zusammenarbeit und partnerschaftliches Verhalten – so sollten wir die Dinge angehen.«

Bridenstine, ein ehemaliger Marineflieger, ist dabei aber auch Pragmatiker. Ihm ist bewusst, dass er die vom Präsidenten gestellte Aufgabe einer Rückkehr zum Mond nicht aus eigener Kraft stemmen kann. Etwa 100 Milliarden Dollar haben die ersten Mondlandungen im Rahmen des Apollo-Programms gekostet, umgerechnet auf die heutige Kaufkraft. Als ehemaliger Abgeordneter weiß Bridenstine nur zu gut, dass ihm der Kongress einen ähnlichen Betrag nicht einmal ansatzweise spendieren wird. Der NASA-Chef braucht internationale Hilfe.

Dabei schreckt er auch nicht vor Optionen zurück, die bislang als undenkbar galten: Seit geraumer Zeit verbietet ein jährlich verlängerter Bann des US-Kongresses die Zusammenarbeit mit China in der Raumfahrt. Bridenstines Vorgänger Charles Bolden, Vietnam-Veteran, Astronaut, General, vor allem aber ein Obama-Mann, hat das Thema China daher gescheut wie ein Vampir das Tageslicht.

Nur nicht angreifbar machen, nur nicht in politische Scharmützel verstricken lassen, nur nichts an die große Glocke hängen war seine Devise. Bridenstine, der Republikaner, hat genug Selbstbewusstsein, um solche Spiele erst gar nicht mitzumachen. Eines der ersten Bilder, das er vom IAC auf seinem Twitter-Account (Biografie: »Administrator. Ehemann. Vater. Veteran.«) verbreitet, zeigt ihn freudestrahlend während eines Treffens mit Chinas Raumfahrtchef Zhang Kejian.

Insbesondere bei Weltraumdaten und bei der Wissenschaft sei künftig eine verstärkte Zusammenarbeit denkbar, sagt Bridenstine – als »vertrauensbildende Maßnahme«, als »erster wichtiger Schritt«. Aber warum eigentlich nicht auch bei der Mondstation? »Einige dieser Entscheidungen liegen ganz klar ein paar Gehaltsklassen über der eines NASA-Administrators«, fügt Bridenstine sicherheitshalber hinzu. Und: »Wir machen, was immer die US-Regierung von uns will.« Das Thema aber, es ist gesetzt.

Das dickste Brett, das Bridenstine international zu bohren hat, fehlt in Bremen jedoch: Russlands Raumfahrtagentur Roskosmos ist nur mit einem äußerst wortkargen Direktor für internationale Beziehungen vertreten. Der eigentliche Chef, Dmitri Rogosin, glänzt durch Abwesenheit. Er ist allerdings auch entschuldigt: Als ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident Russlands steht Rogosin auf der Sanktionsliste der USA und der EU – Einreiseverbot inklusive. Selbst für einen der wichtigsten Raumfahrtkongresse wird da keine Ausnahme gemacht.

Krisentreffen in Russland

Im Anschluss an den IAC reist Bridenstine, der zuvor lediglich einmal mit Rogosin telefoniert hatte, daher weiter nach Kasachstan, um in Baikonur mit dem Roskosmos-Chef von Angesicht zu Angesicht über die Zusammenarbeit zu reden. Es wird unweigerlich ein Krisentreffen, nachdem eine russische Sojus-Kapsel, deren Start in Richtung Raumstation Bridenstine und Rogosin gemeinsam verfolgen wollten, wegen eines technischen Defekts an der Rakete notlanden muss.

Für den NASA-Chef wäre das der perfekte Zeitpunkt, um nachzutreten: Vor vier Jahren hatte Rogosin den Amerikanern, die ihre eigenen Spaceshuttle-Flüge 2011 eingestellt hatten, deren neue pilotierte Raumkapseln aber erst 2019 einsatzbereit sein werden, offen ins Gesicht gesagt: Sie könnten ja mit einem Trampolin zur ISS starten, wenn sie wegen des Streits mit Russland nicht mehr in der Sojus fliegen wollten. Das saß. Das hinterließ Wunden.

Doch Bridenstine, der Weltraumdiplomat, ist kein Mann der lauten Töne, zumindest derzeit nicht. »Ich gehe fest davon aus, dass wir auch künftig wieder mit einer russischen Sojus-Rakete fliegen werden«, sagt er bei einer Pressekonferenz in Moskau. Und: »Ich habe sehr viel Vertrauen in diese Beziehung.« Das klingt fast schon kitschig. Aber in schweren Zeiten, so die Botschaft, steht man zusammen.

Johann-Dietrich Wörner, Chef der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, der in Bremen auch abseits der Scheinwerfer plaudernd und scherzend mit Bridenstine gesichtet wird, erzählt gerne, sicherlich etwas verklärend: Die gemeinsamen Flüge zur ISS während der Krimkrise hätten Russland und die internationalen Partner näher zusammengebracht – trotz aller politischer Differenzen.

Offenbar braucht die Raumfahrt mit ihren tendenziell großen Egos an der Spitze diesen Druck, dieses verbindende Element der Krise und des Scheiterns, um gemeinsam zu wachsen. Der Sojus-Fehlstart scheint damit, zumal niemand verletzt wurde, durchaus zu keiner ungünstigen Zeit zu kommen.

Für Jim Bridenstine, den Trump-Mann, den mutmaßlich konvertierten Klimaskeptiker, den Raumfahrtneuling, könnte es derzeit jedenfalls kaum besser laufen.

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