Alltag mit einer unverstandenen Krankheit: Über den Versuch, mit ME/CFS zu leben

»Mein Körper regeneriert sich in jedem Moment …«, »Mein Immunsystem arbeitet effektiv …«, »Ich bin gesund …« – das sind einige der positiven Autosuggestionen, die ich mir seit eineinhalb Jahren fast jeden Tag im Bett liegend anhöre. Um überhaupt irgendetwas zu tun. Um nicht zu verzweifeln. Denn Verzweiflung kostet Energie – und Energie bereitzustellen, damit hat mein Körper jetzt offensichtlich ein Problem. Nichts geht mehr. Zumindest nichts mehr so wie früher.
Mit 47 Jahren, schweren Gliedern und unter Schmerzen beuge ich mich aus dem Bett und nehme meine 13 Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel des Tages. Ob eines davon hilft – ich weiß es nicht. Niemand weiß es, denn die Krankheiten, die ich habe, sind bisher nicht verstanden und nur wenig erforscht.
Ich habe wie viele andere in Deutschland Long Covid beziehungsweise ME/CFS – geschätzt sind 1,5 Millionen Menschen hierzulande von den Krankheiten betroffen, davon mehr als eine halbe Million von ME/CFS. Damit habe ich nicht nur ein massives körperliches Problem. Sondern auch ein riesiges Problem der fehlenden medizinischen Anerkennung – und damit einhergehend der nicht vorhandenen Versorgung. Obwohl die Pandemie nun schon seit einigen Jahren abgeebbt ist (und es ME/CFS lange vorher gab), befinde ich mich mit diesen Leiden immer noch in einem Brachland von unwissenden Fachleuten, ahnungslosen Institutionen des Sozialsystems, ignoranten Behörden und fast vollkommen fehlenden Versorgungsstrukturen.
Ich bin also nicht nur (schwer) körperlich krank, behindert, pflegeabhängig, arbeitsunfähig, meist bett- oder hausgebunden, ich kann mich damit noch nicht einmal an jemanden wenden. Im Gegenteil, wie den meisten Betroffenen wird mir oft Simulantentum, fehlender Wille oder ein »Mindset-Problem« unterstellt.
Themenwoche: »Long Covid und ME/CFS«
Für die meisten von uns ist die Covid-19-Pandemie vorbei – nicht so für die vielen Menschen, die mit den Folgen von Long Covid oder ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) leben müssen. Unsere Themenwoche soll sie sichtbar machen: Schwerstbetroffene, darunter Kinder und Jugendliche. Was weiß man über die Ursachen von ME/CFS? Welche Schäden verursacht das Coronavirus im Gehirn? Welche Rolle spielen reaktivierte Erreger wie das Epstein-Barr-Virus? Und vor allem: Was macht Hoffnung?
Alltag mit einer unverstandenen Krankheit: Über den Versuch, mit ME/CFS zu lebenME/CFS: »Meine Hoffnung ist groß, dass wir bald wirksame Therapien haben«
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Alle Inhalte zur Themenwoche »Long Covid & ME/CFS: Leben auf Sparflamme« finden Sie auf unserer Übersichtsseite.
Doch es ist gefährlich, Verzweiflung zu äußern. Denn dann gilt man schnell als psychisch labil und bekommt wiederum nicht nur keine Hilfe, sondern wird in eine falsche Schublade gesteckt. Und aus dieser kommt man nur schwer wieder heraus.
Aber worum geht es bei diesen Erkrankungen überhaupt? Ganz genau versteht man es noch nicht, doch nach einer Virusinfektion wie Covid-19, Grippe oder auch Pfeifferschem Drüsenfieber kann das Immunsystem außer Kontrolle geraten. Es richtet sich dann gegen Strukturen im eigenen Körper wie spezielle Zellrezeptoren oder auch die Innenschicht der Blutgefäße, die Endothelzellen.
Es gibt viele Theorien: Die Durchblutung verschlechtert sich, das autonome Nervensystem ist dysreguliert, die Mitochondrien – die Energiekraftwerke der Zelle – sind gestört. Letztlich läuft es wohl darauf hinaus, dass die Energieproduktion in Muskeln, Nervenzellen und im Gehirn nicht mehr gut funktioniert. Auch die Regeneration gerät ins Stocken, sodass man sich immer weiter herunterwirtschaftet, immer weniger Energie zur Verfügung hat, wenn man nicht lernt, mit der Krankheit (und der Verzweiflung, von der Medizin alleingelassen zu werden) umzugehen. Und manchmal hilft selbst der beste Umgang damit nicht.
Symptome, die keiner sehen will
Die Symptome sind im ganzen Körper vorhanden, was logisch ist, wenn das Nerven- und Gefäßsystem angegriffen ist. Ich habe Schmerzen in Händen, Augen, Kopf und Nacken, leide unter einer Muskelschwäche, unter Atembeschwerden, kognitiven Schwierigkeiten wie Brainfog (dem Gefühl, keinen klaren Gedanken fassen zu können) und unter Fatigue, einer bleiernen Kraft- und Energielosigkeit. Ich weise Durchblutungsstörungen und Störungen des autonomen Nervensystems auf, habe zum Beispiel Probleme mit dem Kreislauf, der Verdauung, der Herzfrequenz und dem Schlaf. Doch statt dass die verschiedenen Fachgebiete der Medizin alarmiert werden und integrativ nach einem Lösungsansatz suchen, bekommt man als betroffene Person leicht zu hören: »Na, wer so viele Symptome hat, muss sich das ja wohl einbilden.« Das habe ich selbst so erlebt. Erst nach und nach – und gegen viele Widerstände – setzt sich durch, dass es sich hier mitnichten um eine eingebildete Schwächlingskrankheit handelt (weil vor allem Frauen darunter leiden – da kann man das leicht unterstellen) und auch nicht um ein psychosomatisches Leiden. Dennoch gibt es bislang keine Hilfe.
Dabei wäre es so einfach, einen kleinen Pulsoxymeter an den Finger der Betroffenen zu klemmen – und zu sehen, dass die Sauerstoffsättigung schon in Ruhe oder spätestens bei kleinen Belastungen ungewöhnlich niedrig ist. Von diesem als stille Hypoxie bezeichneten Phänomen berichten viele Patienten. Oder zu merken, dass der Puls bei manchen um über 30 Schläge pro Minute emporschnellt, wenn in eine aufrechtere Position gewechselt wird.
Aber es gibt keine standardisierte Diagnostik, keine anerkannten Therapien, wenig Evidenz. Die meisten Ärztinnen und Ärzte gehen bei ihrer Diagnostik nicht über ein normales Blutbild hinaus: »Tipptopp, alles in Ordnung, Sie müssen sich jetzt wieder einkriegen. Lesen Sie nicht so viel im Internet und machen Sie mal wieder Sport.« Aha. Danke für nichts. Also machen sich viele missverstanden, frustriert und immer ärmer auf die Suche nach Hilfe anderswo. Ein riesiges Feld der »Alternativheilungsangebote« ist aufgepoppt: teuer und nicht immer seriös. Doch wer will es den Betroffenen verdenken, dass sie sich diesen zuwenden – in der Medizin bekommen sie keine Hilfe, und wenn doch, dann keine Erstattung. Die Kosten für sogenannte Off-Label-Versuche, also wenn Medikamente und Maßnahmen außerhalb der Zulassung angewendet werden, müssen selbst getragen werden. Da ich selbst Ärztin bin, konnte ich zumindest viele solcher Ansätze ausprobieren. Das Risiko und die Kosten liegen bei mir; aktuell sind das über 600 Euro pro Monat. Hilfsmittel werden einem häufig nur nach viel Aufwand bereitgestellt, die richtige Einordnung der Krankheit durch Behörden, Versicherungen und Ämter ist oft gar nicht oder erst nach vielen Widersprüchen und Aufklärungen möglich. ME/CFS ist »systemfremd« – zu Lasten der Kranken.
Alltag im Zeitlupenmodus
Ich diktiere diese Zeilen in mein Smartphone – schreiben und lange tippen kann ich nicht mehr, zu schwierig ist die Feinmotorik für meine Finger. Und wenn ich sitze, sinkt die Durchblutung in meinem Gehirn so stark ab, dass ich mich nicht lange konzentrieren kann. Für diesen Text habe ich in vielen Etappen mehr als drei Wochen gebraucht. Für die Korrekturen werde ich Hilfe benötigen, denn eine solch kleinteilige Konzentration überfordert mein Gehirn. Mein Gehirn, das früher am laufenden Band Texte produziert hat – das war mein Job. Selbst wenn ich nach jeder kognitiven Anstrengung eine mindestens doppelt so lange Pause mache, ist die Gefahr hoch, dass ich mich überlaste.
»Alles ist schwer geworden. Jedes Vogelgezwitscher vor dem Fenster wird zu einem unerträglich lauten Gekreische«
Denn mein Antrieb, meine Kreativität, mein Wunsch, auf Missstände aufmerksam zu machen, hat sich durch die Krankheit überhaupt nicht geändert. Ich möchte laut schreien, durch die Gegend rennen, alle schütteln, ellenlange brennende Texte schreiben, an die Regierung appellieren, meine ärztlichen Kolleginnen und Kollegen informieren – aber es bleiben nur kurze Momente, in denen das möglich ist. Leiser und kürzer, als ich mich kenne. Auch viele andere Betroffene investieren ihre Restkraft, um ME/CFS sichtbar zu machen. Das Risiko, sich dabei zu übernehmen, bleibt allerdings – und mit den Folgen sitzt (oder vielmehr liegt) man dann wieder ganz allein da.
Nach eineinhalb Jahren mit der Krankheit geht es mir besser, doch mein Alltag besteht immer noch zu 60 bis 80 Prozent aus Liegen, teils im abgedunkelten Raum. An vielen Tagen brauche ich Gehörschutz, das Haus kann ich nur noch mit dunkler Sonnenbrille und nicht an allen Tagen verlassen. Ich mache nach 30 bis 60 Sekunden Bewegung für zirka 30 Sekunden eine Pause. Damit die Durchblutung hinterherkommt, meine Muskeln wieder Energie bereitstellen. Ich mache das seit vielen Monaten so. Auf diese Weise kann ich meine Aktivität immer wieder steigern, aber ein derart reglementiertes Leben macht keinen Spaß. Und der nächste Infekt, der wieder zum Rückschlag führt, kommt mit vier Kindern im Haus bestimmt.
Wer mich vorher kannte, kann nicht nachvollziehen, dass eine so fröhliche, aktive und optimistische Person nun Meditationen mit positiven Affirmationen braucht, um dieses lebendige Begrabensein überhaupt noch aushalten zu können. Bitte lesen Sie über diesen Begriff nicht einfach hinweg. Viele Betroffene beschreiben ihr Leben nun genau so: am Leben zu sein, ohne lebendig zu sein.
Das unverstandene Alleinstellungsmerkmal von ME/CFS
Alles ist schwer geworden. Nicht nur die körperlichen Gebrechen sind kaum zu ertragen: die bleischwere Fatigue, die nicht mit normaler Müdigkeit vergleichbar ist, die Reizverarbeitungsstörung, die jedes Vogelgezwitscher vor dem Fenster zu unerträglich lautem Gekreische macht. Auch die Widerstände im System muss man ganz allein schultern. Wäre da nicht die immer größer werdende Community der Erkrankten, man würde wohl tatsächlich verzweifeln. Manche tun das auch. Sie nehmen sich das Leben.
Hilfe in der Not
Denken Sie manchmal daran, sich das Leben zu nehmen? Haben Sie keine Hoffnung mehr? Dann wenden Sie sich bitte an Menschen, die Ihnen helfen können, etwa an Ihren Hausarzt, niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychiater oder die Notdienste von Kliniken. Kontakte vermittelt der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117.
Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den Nummern 0800 1110111 und 0800 1110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de
Der Bundesverband ME/CFS Fatigatio e.V. bietet eine allgemeine Telefonbetreuung an, um über ME/CFS zu informieren und Fragen zu klären. Viele Informationen über die Erkrankung liefert auch die Seite der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS.
Denn ME/CFS hat besondere Tücken: eine spezielle Form der Belastungsintoleranz – die sogenannte Post-exertionelle Malaise (PEM). Wagt man den Versuch einer Reaktivierung über die niedrigen Belastungsgrenzen hinaus, droht ein Crash, ein körperlicher Zusammenbruch.
Das allgemeine Energieniveau ist durch die Krankheit ohnehin schon deutlich gemindert, manchmal sogar so stark, dass nicht einmal mehr das Umdrehen im Bett, das Essen oder die basale Hygiene allein gelingen. Wenn man sich dann bemüht, dieser Situation durch Anstrengung zu entkommen, droht eine zeitversetzte extreme Verschlechterung des Gesamtzustands – manchmal für Tage, manchmal für Wochen, manchmal für immer.
Und für diese Besonderheit der Krankheit fehlt jedes Verständnis. Während man Fatigue vielleicht noch von Krebserkrankungen kennt und eine Belastungsintoleranz von einer Herzinsuffizienz, so ist die PEM das Alleinstellungsmerkmal von ME/CFS. Aktivierung? Belastungstraining? Ein fataler Rat, den Betroffene wie ich oft genug zu hören bekommen. So etwas kann, wie auch die oft empfohlene »aktivierende Reha«, auf gefährliche Weise kontraproduktiv sein. Das macht den Ausweg aus der Erkrankung so verdammt schwer – und die Unterstellung, man würde sich nur nicht genug anstrengen, so schmerzhaft.
»Wenn man sich bemüht, diesem Zustand durch Anstrengung zu entkommen, droht eine zeitversetzte extreme Verschlechterung – manchmal für Tage, manchmal für Wochen, manchmal für immer«
Dabei liegen auch hierzu bereits erste wissenschaftliche Erkenntnisse vor. In den Muskeln von PEM-Betroffenen passiert offenbar etwas anderes als bei Menschen, die zu Studienzwecken wochenlang im Bett lagen. Die Muskeln von Menschen mit Long Covid und ME/CFS wiesen laut einem bisher nur als Preprint veröffentlichten Paper eine deutlich geringere Dichte an Kapillaren auf, den feinsten Blutgefäßen im Körper. Das deutet auf eine gestörte Durchblutung hin. Auch die Funktion der Mitochondrien in den Muskelzellen war beeinträchtigt. Diese wiesen eine reduzierte Atmungskapazität auf. Die Untersuchungen zeigten zudem, dass schneller ermüdende Fasertypen in den Muskeln von bettlägerigen ME/CFS- und Long-Covid-Patienten dominierten, während ausdauernde Typ-I-Fasern bei ihnen vermindert waren. Alles messbar, wenn man es denn sucht?
Was hilft, wenn niemand hilft
In einem PEM-Crash habe ich mehr Schmerzen, vor allem die Augen und Hände tun dann weh, das Atmen wird schwer, die Kreislaufprobleme werden größer. Ein Crash bedeutet meist viele Tage absolute Bettlägerigkeit. Und immer wieder einen Verlust von Hoffnung, irgendwann aus dieser Lage herauszukommen. Ich verpasse dann noch mehr vom Leben, auch vom Familienleben, von meinen Kindern.
Ich versuche, mit dem niedrigen Energieniveau so zurechtzukommen, dass ich meine eigene Belastungsgrenze nicht überschreite und somit einen Crash vermeide. Diese Form des Krankheitsmanagements wird »Pacing« genannt. Das bedeutet: genaues Abwägen aller Aktivitäten, die Energie verbrauchen: Atmen, Denken, Bewegen, Sprechen, Kauen, das Verarbeiten von Emotionen und Reizen. Kann ich es mir leisten, heute noch einmal die Treppe nach unten zu gehen – oder schaffe ich dann das Abendessen mit meiner Familie im Sitzen nicht mehr? Oder anders: Wenn ich im Rollstuhl für 45 Minuten am Schulsommerfest der Kinder teilnehmen möchte, was muss ich an den Tagen vorher und nachher reduzieren, um das zu schaffen?
Manchmal möchte ich mich bei Freundinnen ausweinen, aber nach den vielen Monaten, die ich jetzt krank bin, melden sich nur noch wenige sporadisch. Ich verstehe das. Wenn man mich fragt, was ich in den letzten Tagen getan habe, sage ich meist: nichts. Mein Leben besteht aus dem Versuch, nach einem Crash über Wochen hinweg meine Schrittanzahl von 1000 auf 3000 zu steigern. Spannend ist das nicht. Verständnis und Austausch findet man nur in der Community. Doch auch dieser Austausch erfordert Kraft und Aufmerksamkeit, die gerade bei Schwerstbetroffenen nicht mehr vorhanden ist. Unter weniger schwer Erkrankten, die noch kommunizieren können, ist es vollkommen üblich zu fragen: Kannst du (heute) besser hören oder schreiben? Wie lang darf die Sprachnachricht maximal sein, damit sie dich nicht überfordert? Von einem Arzt habe ich solche Fragen noch nie gehört.
WANTED: Ein System, das sich kümmert
Die meisten Ärzte und Ärztinnen scheinen sowieso irgendwie mit anderen Dingen beschäftigt zu sein. Das ist bei all den Anforderungen, die unser Gesundheitssystem an seine Fachleute stellt, zwar nachvollziehbar, aber die Forschungs- und Versorgungslücke bei Long Covid und ME/CFS wird zu einem echten Problem. Die wenigen, die sich kümmern und auskennen, sind hoffnungslos überlaufen – die Wartelisten reichen bis 2027.
Das ist fatal. Auch viele junge Menschen sind betroffen, die im Arbeits- und Sozialleben komplett ausfallen. Und auch immer mehr Kinder und Jugendliche können die Schule nicht besuchen oder ihre Ausbildung nicht beenden. Damit ist das Ganze nicht nur ein persönliches oder medizinisches Problem oder privates Pech, sondern ein gesamtgesellschaftliches Riesendilemma. Und ein drängendes.
Allerdings eines, das bisher niemanden groß interessiert. Obwohl sich die geschätzten Kosten dieses Problems auf 63 Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Zum Vergleich: Das entspricht knapp 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und übersteigt wohl die Kosten, die durch Krebserkrankungen entstehen.
Viele Menschen mit Long Covid erholen sich im Lauf der Zeit wieder, doch das kann Jahre dauern. Bei ME/CFS hingegen liegt die Spontangenesungsrate laut Studien bei wenigen Prozent. Die Erkrankten (und die Kosten) werden also nicht einfach verschwinden, wenn sie weiter ignoriert werden. Im Gegenteil: Durch neue Infektionen wird das Problem größer.
Aber die Patienten, gerade wenn sie schwerstbetroffen sind, können nicht auf dieses Problem aufmerksam machen. Nicht auf ihr eigenes, nicht auf das für die Gesellschaft. Sie liegen still und leise im Bett, abgeschottet von Leben und Hilfe, kommen nicht mehr in eine Arztpraxis oder in eine der wenigen spezialisierten Ambulanzen, die es überhaupt gibt. Wer es noch ertragen kann, hört vielleicht eine Meditation oder einen Podcast – mit positiven Durchhalteparolen. Wie traurig es ist, dass dieser Skandal mitten in unserer modernen Gesellschaft und Medizin stattfindet!
Was bleibt, bis sich endlich etwas ändert? »Ich atme ein …«, »Ich bin hoffnungsvoll und zuversichtlich …«, »Ich atme aus …«
Wichtige Begriffe rund um Long Covid
Fatigue: Darunter versteht man eine massive psychische und physische Kraft- und Energielosigkeit. Die Betroffenen sind nicht mehr in der Lage, Aktivitäten des täglichen Lebens nachzugehen. Fatigue tritt auch bei anderen chronischen Erkrankungen auf, etwa bei multipler Sklerose oder Krebs. Anders als hier verbessert sich das Symptom bei ME/CFS nicht durch Sport oder Schlaf.
Long Covid: Der Begriff bezeichnet gesundheitliche Beschwerden, die über die akute Krankheitsphase hinaus andauern – also länger als vier Wochen nach der Sars-CoV-2-Infektion. Long Covid ist als Oberbegriff für verschiedene Verlaufsformen gängig, darunter auch Post-Covid oder ME/CFS.
Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS): Meist durch eine Virusinfektion wie Covid-19 ausgelöste schwere Multisystemerkrankung. Typisch sind eine Verschlechterung der Symptome nach Belastung (PEM) und eine massive Energielosigkeit (Fatigue). Betroffene leiden unter anderem häufig unter Konzentrations- und Gedächtnisproblemen, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Schmerzen in verschiedenen Bereichen des Körpers und einer Überempfindlichkeit, etwa auf Licht oder Geräusche.
Pacing: Eine Form des Krankheitsmanagements, bei der Patienten lernen, die zur Verfügung stehende Energie zu nutzen, ohne die eigenen Belastungsgrenzen zu überschreiten. Ziel ist es, eine PEM zu vermeiden.
Post-Covid: Nach Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) handelt es sich um gesundheitliche Beschwerden, die mindestens zwölf Wochen nach einer Sars-CoV-2-Infektion fortbestehen oder erneut auftreten und nicht anderweitig erklärbar sind. Der Begriff dient der medizinischen Abgrenzung innerhalb des Long-Covid-Spektrums und beschreibt insbesondere längerfristige oder chronische Verläufe.
Post-exertionelle Malaise (PEM): Das Kernsymptom von ME/CFS ist eine verzögerte Verschlechterung des Zustands oder das Auftreten neuer Symptome nach körperlicher oder geistiger Anstrengung. Betroffene bezeichnen das oft als Crash. Auslöser können bereits Sitzen, Stehen oder äußere Reize wie Licht sein. Meist tritt eine Zustandsverschlechterung 12 bis 48 Stunden nach der Überlastung auf und hält dann Tage bis Wochen an; in schweren Fällen ist sie dauerhaft.
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