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News: Natürliche Verflechtungen

Alles soll ja irgendwie mit allem zusammenhängen - eine vage Behauptung, die schwer zu beweisen sein dürfte. Im Beziehungsgeflecht natürlicher Ökosysteme klingt die Aussage dennoch besonders glaubwürdig. Ist nun ein Beweis gelungen?
"Die Welt ist ein Taschentüchlein" äußert, wörtlich übersetzt, ein spanisch Sprechender, wenn er zufällig den Bekannten eines Bekannten an einem gänzlich unerwarteten Ort kennen lernt. Die deutsche Entsprechung des Sprichworts – "die Welt ist klein" – ist prosaischer, das Körnchen Wahrheit dahinter erhielt mit der small-world-Theorie aber wissenschaftliche Weihen. Jeder der etwa sechs Milliarden Menschen unserer kleinen Welt könnte, dieser Theorie zufolge, jeden beliebigen anderen Erdenbürger über höchstens sechs andere Menschen als Zwischenstationen kontaktieren.

Kleine-Welt-Netzwerke erwiesen sich auch außerhalb menschlicher Beziehungsgeflechte als weit verbreitet: Stromnetze, die Nervenvernetzung unseres Gehirns oder das Internet folgen alle einem gemeinsamen small-world-Strukturprinzip, welches sich offenbar gerade in komplexen Netzwerken mit vielen einzelnen Knotenpunkten selbst organisiert.

Dabei kann die so genannte Konnektivität des Netzes – der verwirklichte Anteil aller möglichen direkten Verbindungen zwischen allen Knoten – überraschend niedrig sein, solange genügend übergeordnete Verbindungsschnittstellen existieren. Solche Schnittstellen sind in small-world-Systemen einzelne Gruppen, Cluster oder Cliquen: Subnetze, zwischen denen nur wenige Verbindungen bestehen, in denen aber einige wenige Netzteilnehmer zusammengefasst sind, die alle engstens miteinander verknüpft sind. Eine derartige Clusterbildung vereinfacht die Komplexität des Gesamtnetzes, denn Verbindungen zwischen wenigen Clustern verbinden gleichzeitig alle darin organisierten Mitglieder.

Wissenschaftler der San Francisco State University um Neo Martinez sowie der Notre Dame University um Alberto Barabási untersuchten nun die Strukturmerkmale der komplexen Nahrungsketten-Netzwerke verschiedener Ökosysteme. Ob auch diese Netze charakteristische small-world-Strukturen aufweisen, war eine bislang umstrittene Frage. Eine Antwort ließe vielleicht exaktere theoretische Rückschlüsse darauf zu, welche Folgen Eingriffe und Störungen in das System haben könnten – und welche Bereiche etwa besonders anfällig gegenüber einem Biodiversitäts-Verlust sind.

Die Forscher untersuchten gesammelte ökologische Daten aus 16 komplexen Nahrungsnetzen verschiedener Habitate mit 25 bis 172 teilnehmenden Arten. Ihre computergestützte Netzwerkanalyse enthüllte Eindeutiges: Keines der natürlichen Systeme war tatsächlich ein reines small-world-Netzwerk. Auffällig untypisch ist insbesondere ein überraschend hoher Grad von Konnektivität: Zwischen den einzelnen Arten der Nahrungsnetze bestanden deutlich mehr direkte Einzelverbindungen als bislang angenommen. Ein Beutetier war demnach nicht nur beispielsweise mit seinem spezialisierten Fressfeind schicksalhaft verbunden, sondern auch – ohne dass dafür offenkundige Ursachen deutlich wurden – mit habitatgleichen Spezies, von denen man angenommen hatte, sie würden in freier Wildbahn kaum interagieren.

Nach bislang gängiger und empirisch belegter Meinung sorgt der Ausfall einer Planstelle eines ökologischen Nahrungsnetzes – beispielsweise, weil eine Art des Ökosystems ausstirbt – für Umwälzungen, die erst über mehr als vier Verknüpfungsstationen des Netzes keine Auswirkungen mehr nach sich ziehen. Nun belegen die neuen Erkenntnisse der überraschend hohen Konnektivität aber, dass etwa 95 Prozent aller Knoten der untersuchten Nahrungsnetze über weniger als drei Zwischenstationen miteinander verbunden sind – im Durchschnitt sind es sogar nur zwei. Das weckt Befürchtungen: Verluste der Artenvielfalt oder die Invasion konkurrenzloser Fremdspezies könnten in Ökosystemen viel mehr Spezies direkt betreffen, als bislang vermutet worden war. "Man sollte nicht so sicher sein, dass man die Auswirkungen von Ökosystem-Eingriffen wirklich vorhersagen könnte", sagt daher Martinez.

Small-world-Modelle jedenfalls beschreiben natürliche Ökosysteme nur unzureichend. Typische Cluster oder Cliquenuntergruppen bildeten sich höchstens in kleineren Nahrungsnetzen, je komplexer aber das Gesamtsystem und je höher die Anzahl der enthaltenen Arten waren, desto stärker waren die Einzelverbindungen zwischen den einzelnen Netzknoten ausgebildet. Ein überraschend eng gewebtes Taschentuch also, unsere kleine Welt.

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