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Eurasien: Neandertaler breiteten sich über tausende Kilometer hinweg aus

Fachleute haben unter tausenden Knochensprengseln von der Krim einen neuen Neandertaler entdeckt. Seine engsten Verwandten lebten einst tausende Kilometer entfernt in Sibirien.
Zwei Personen wandern unter einem großen Felsüberhang in einer natürlichen Umgebung. Der Fels ist hell und von Vegetation umgeben. Die Szene vermittelt ein Gefühl von Abenteuer und Erkundung in der Natur.
Neandertaler nutzten den Felsüberhang auf der Krim womöglich als Refugium, bevor sie vor ungefähr 40 000 Jahren endgültig verschwunden waren.

Seit geraumer Zeit vermuten Fachleute, dass sich einige der letzten Neandertaler vor 47 000 bis 42 000 Jahren auf die Krim zurückgezogen hatten – bevor die Frühmenschen endgültig von Homo sapiens ersetzt oder assimiliert wurden. Allerdings gab bislang kein Knochenfund verlässliche Gendaten jener finalen Neandertaler preis. Nun haben Fachleute aus tausenden Knochenresten vom Fundplatz Starosele auf der Krim das Fragment eines solchen Neandertalerknochens identifiziert. Das fünf Zentimeter lange Bruchstück reicht 46 000 bis 45 000 Jahre zurück, wie eine Forschergruppe um Emily Pigott, Konstantina Cheshmedzhieva und Thomas Higham von der Universität Wien in der Fachzeitschrift »PNAS« berichten. Zudem zeigen die Gendaten, dass der neu entdeckte Neandertaler »Star 1« eng mit Frühmenschen seiner Art aus dem sibirischen Altai-Gebirge verwandt ist – mehr als 3000 Kilometer entfernt von der Krim.

Mithilfe eines Peptidmassenfingerprints hatten die Forscher unter den vielen Knochenfragmenten 150 Stück gefunden, die noch genügend Reste des Proteins Kollagen enthielten und sich darüber bestimmen ließen. Alle Knochen waren von 1993 bis 1994 ausgegraben worden und befinden sich an der Universität Erlangen-Nürnberg, wo Pigott und ihre Kollegen sie untersuchten.

Das Ergebnis ihrer Analyse: Die allermeisten Knochen, 93 Prozent, stammen von Tieren aus der Gattung der Pferde. Wie Schnittspuren belegen, hatten Frühmenschen sie unter dem Felsüberhang von Starosele zerlegt. Eines der vielen Knochenstücke stellte sich jedoch als »hominid« heraus. Den Forscherinnen und Forschern gelang es, die mitochondriale DNA des Fragments auszulesen. Obwohl die mtDNA nur einen Teil der genetischen Informationen preisgibt, reichten die Daten aus, um »Star 1« als entfernten Verwandten anderer Neandertaler im Altai-Gebirge zu identifizieren. Diese Frühmenschen lebten zu verschiedenen Zeiten; ihre Überreste fanden sich in der berühmten Denisova-Höhle sowie an benachbarten Plätzen, der Tschagyrskaja- und der Okladnikow-Höhle.

»Star 1« | Das fünf Zentimeter lange Fragment stammt vermutlich vom Oberschenkelknochen eines Neandertalers.

Wie die Wiener Forscher vermuten, waren die Neandertaler von Westen nach Osten gewandert. Das bestätigen auch die Steinwerkzeuge, die sich sowohl auf der Krim als auch in der Altai-Region fanden. Sie lassen sich der Kultur beziehungsweise dem Technokomplex des Micoquien zuweisen, das seinen Ursprung vor etwa 60 000 Jahren in Mittel- und Westeuropa hatte. Die Frühmenschen nutzten nicht nur ähnliche Geräte, sondern ernährten sich auch auf ähnliche Weise – vor allem von Pferden.

Dass Neandertaler von Europa nach Sibirien marschiert waren, haben bereits frühere Studien nahegelegt. Pigott und ihre Kollegen kombinierten nun die vorhandenen Erbgutdaten und Funde der eurasischen Neandertaler und vermuten, dass die Frühmenschen in zwei oder drei Ausbreitungswellen nach Osten gezogen waren: vor ungefähr 170 000 Jahren, vor 120 000 bis 100 000 Jahren und vor etwa 60 000 Jahren. So scheinen die Neandertaler eher während der Warmzeiten die günstigen Bedingungen genutzt zu haben, um von Europa bis ins Altai-Gebirge zu ziehen.

  • Quellen
Pigott, E. M. et al., PNAS 10.1073/pnas.2518974122, 2025

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