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News: Nervös geworden

Entgegen der vorherrschenden Meinung wiesen Forscher Stammzellen auch im peripheren Nervensystem erwachsener Tiere nach. Aber nicht immer entwickelten diese sich so, wie es die Forscher erwarteten.
Die Entwicklung eines Embryos im Mutterleib gehört sicherlich zu den faszinierendsten Ereignissen in der Natur. Auf dem Weg vom diffusen Zellhaufen zu einem höchstgradig organisierten Lebewesen spielen auch die so genannten Neuralleisten-Stammzellen (neural crest stem cells, NCSCs) eine wichtige Rolle. Ausgehend vom Neuralrohr, dem embryonalen Vorläufer des Rückenmarks, entsteht durch sie das periphere Nervensystem. Sie bilden also alle Nerven, außer denen von Rückenmark und Gehirn.

Da die Entwicklung des peripheren Nervensystems schon im Mutterleib abgeschlossen ist, ging man bisher davon aus, dass die NCSCs bereits zum Zeitpunkt der Geburt vollständig ausdifferenziert und bei einem Erwachsenen nicht mehr vorhanden sind. Nur im zentralen Nervensystem sollte die Neubildung von Nerven auch bei älteren Säugetieren noch möglich sein.

Doch Suzanne Bixby von der Universtiy of Michigan zweifelte diese Theorie an. Zusammen mit ihren Kollegen fahndete sie bei erwachsenen Ratten nach NCSCs. Fündig wurden die Wissenschaftler im Darm der Tiere [1]. Dort zu suchen war naheliegender als es scheint, wird hier doch die embryonale Entwicklung der peripheren Nerven als letztes abgeschlossen. Die isolierten Stammzellen transplantierten die Forscher dann in Nervenfasern von heranwachsenden Hühnerembryos.

Tatsächlich differenzierten sich die Zellen dabei in unterschiedliche Nervenzelltypen – der Beweis, dass es sich um echte Stammzellen handelte, war geführt. Die Aktivität der entnommenen Zellen nahm zwar mit dem Alter ab, doch selbst aus einer 110 Tage alten Ratte konnten die Wissenschaftler noch NCSCs gewinnen.

Im Gegensatz zu embryonalen NCSCs war die adulte Variante jedoch nicht in der Lage, bestimmte Neurone mit den Transmittern Serotonin und Noradrenalin zu bilden. Gingen die Wissenschaftler bisher davon aus, dass Stammzellen je nach Kulturbedingungen jeden Nervenzelltyp bilden können, verändern sich offenbar die NCSCs um den Zeitpunkt der Geburt herum und verlieren einen Teil ihres Differenzierungspotenzials. Die Neubildung von serotonergen oder noradrenergen Neuronen nach der Geburt ist offensichtlich nicht vorgesehen, denn die Entwicklung dieser Nerven ist bis dahin bereits abgeschlossen.

Außerdem unterschieden sich embryonale NCSCs aus verschiedenen Geweben: Das Team bediente sich für seine Experimente an embryonalen NSCSs, die sie nicht nur aus Darmgewebe isolierten, sondern auch aus dem Ischias-Nerv der Tiere gewonnen hatten. Bei den Versuchen stellten sie fest, dass die Stammzellen aus dem Darm bevorzugt Neurone bildeten, wohingegen die des Ischias-Nervs sich eher in Gliazellen umwandelten [2]. Die Forscher vermuten daher, dass die verschiedenen Gewebetypen des Nervensystems aus unterschiedlichen Stammzell-Typen hervorgehen, und nicht, wie bisher gedacht, aus einem Stammzelltyp, der sich in alle Nervenfasertypen differenzieren kann.

Bixby und ihre Kollegen wissen allerdings noch noch nicht, ob NCSCs auch beim Menschen vorkommen. Ist das der Fall, stünde aber ein interessantes, neues Therapiekonzept zur Verfügung: Verletzungen des peripheren Nervensystems ließen sich heilen, ohne fremdes Gewebe transplantieren zu müssen.

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