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Steinzeit-Speere aus Schöningen: Neue Analysen zeigen erstaunliche Schnitztechniken der Frühmenschen

Die Schöninger Speere sind die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Welt. Eine Inventur zeigt: Schon vor 300 000 Jahren waren Frühmenschen Meister im Umgang mit Holz.
Die Schöninger Speere, wie sie im Forschungsmusem Schöningen ausgestellt sind
Die Schöninger Speere sind rund 300 000 Jahre alt und gelten als die mit Abstand ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen weltweit.

Als vor 30 Jahren im Braunkohletagebau Schöningen die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit entdeckt wurden, sorgten die Funde international für großes Aufsehen. Speere, Wurfhölzer und andere Holzwerkzeuge revolutionierten den Blick auf die vor 300 000 Jahren lebenden Frühmenschen. Nun hat ein interdisziplinäres Forschungsteam des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege, der Universität Göttingen sowie der englischen University of Reading unter Leitung von Archäologe Dirk Leder erstmals alle Hölzer untersucht. Dabei brachten modernste bildgebende Verfahren teils überraschende Ergebnisse hervor. So konnten die Forschenden zum ersten Mal neue Formen der Holzbearbeitung und des Holzdesigns nachweisen, wie etwa die Spalttechnik. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift »PNAS« veröffentlicht.

Die insgesamt 187 hölzernen Funde zeigen ein breites Spektrum an Holzbearbeitungstechniken, der Verwendung des Werkstoffs und der Umarbeitung. »Der erstaunlich gute Erhaltungszustand der Schöninger Hölzer ermöglicht es uns erstmals, die Holzbearbeitungstechniken mit modernsten Mikroskopieverfahren detailliert zu dokumentieren und zu identifizieren«, sagte Mitautor Tim Koddenberg von der Universität Göttingen. Unter den Gegenständen sind demnach mindestens 20 Jagdwaffen und 35 weitere Werkzeuge, die wohl für den häuslichen Gebrauch eingesetzt wurden, etwa zur Bearbeitung von Tierhäuten.

Die Fundstätte in einem Braunkohletagebau lag damals an einem Seeufer. Die Objekte wurden seit den 1990er Jahren zusammen mit Steinwerkzeugen und Tierknochen in Ablagerungen aus etwa zehn Meter Tiefe geborgen. Die dort gefundenen, bis zu 2,5 Meter langen Speere gelten als die mit Abstand ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen weltweit. Sieben weitere Objekte wurden vermutlich als Wurfhölzer ebenfalls zur Jagd eingesetzt.

»Jagdwaffen waren nicht einfach nur Stöcke mit Spitzen, sondern technisch fortgeschrittene Werkzeuge«, schreibt die Gruppe in dem Forschungsartikel. Die Objekte seien überwiegend aus Fichten gefertigt worden, aber auch aus Kiefern und Lärchen. Das Rohmaterial stammte nicht aus der direkten Umgebung, sondern vom nahe gelegenen Höhenzug Elm oder sogar aus ferneren Regionen wie dem Harz. Die Funde zeugen demnach von langer Erfahrung in der Holzbearbeitung, technischem Knowhow und von komplexen Arbeitsvorgängen. So wurde teilweise die Rinde entfernt, ein Teil der Oberfläche abgeschliffen und Enden angespitzt.

»Es lässt sich eine deutlich umfangreichere und vielfältigere Bearbeitung von Fichten- und Kiefernhölzer nachweisen als bislang gedacht«, wird Erstautor Leder zitiert. Ausgewählte Holzstämme seien zu Speeren und Wurfhölzern verarbeitet worden, während beschädigte Objekte auch repariert oder recycelt wurden. »Geht man davon aus, dass Holzbearbeitungstechnologien bereits so lange existieren wie Stein- und Knochentechnologien, wirkt sich das eindeutig auf unser Verständnis der technologischen Komplexität zu einer bestimmten Zeit aus«, schreibt die Forschungsgruppe in ihrem Artikel. »Das bedeutet, dass wir die kognitiven Fähigkeiten prähistorischer Gesellschaften dort, wo keine Holzartefakte erhalten sind, möglicherweise unterschätzen.«

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